Öffentlicher Druck auf Compliance im Gesundheitswesen nimmt zu
– Herr Sitte, Herr Weinreich, seit Mitte 2016 ist Korruption im Gesundheitswesen explizit strafbar. Die Einführung der Paragrafen 299a und 299b in das Strafgesetzbuch hat Konsequenzen für die Industrie, aber auch für Ärzte, die zur regelmäßigen Fortbildung verpflichtet sind. War das die Absicht des Gesetzgebers?Weinreich: Ursprünglich wollte der Gesetzgeber Mitte 2016 eine Gesetzeslücke schließen, die dazu führte, dass Vertragsärzte vom geltenden Korruptionsstrafrecht nicht erfasst wurden. Er hat im Strafgesetzbuch zwei neue Paragrafen geschaffen, die Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen bestrafen. Die Einführung der Vorschriften hat aber generell die Diskussionen um Compliance im Gesundheitswesen neu befeuert.- Wer ist konkret von den Straftatbeständen betroffen?Weinreich: Der Paragraf 299a Strafgesetzbuch bestraft die Angehörigen der Heilberufe, die in ihren beruflichen Entscheidungen auf Grund eines ihnen oder einem Dritten gewährten Vorteils beeinflusst werden, Paragraf 299b die entsprechenden Tathandlungen des Dritten. Täter kann jeder Angehörige eines Heilberufes sein. Nicht nur Ärzte, sondern auch Krankenpfleger und Hebammen sind betroffen, Heilpraktiker hingegen nicht. Damit ist der Gesetzgeber weit über das ursprüngliche Ziel hinausgegangen. Und neben der Unsicherheit darüber, wer sich nach der neuen Vorschrift strafbar machen kann, ist auch noch immer nicht eindeutig, welche Handlungen eigentlich erfasst sind. – Ist der Paragraf so ungenau formuliert?Weinreich: Er ist auslegungsbedürftig, und seit Inkrafttreten ist bisher kein Gerichtsurteil zu den neuen Paragrafen veröffentlicht worden. So konnte sich bislang auch keine Praxis herausbilden, an der sich die Marktteilnehmer orientieren können. Gleichzeitig senden die Staatsanwaltschaften unterschiedliche Signale. Während die Staatsanwaltschaft in Hessen erklärte, dass die neuen Vorschriften mit Bedacht ausgelegt und geprüft werden müssen, sorgte eine Aussage aus den Reihen der Staatsanwaltschaft Thüringen im Mai 2017 für Aufregung. Demnach sei bereits dann von einem sogenannten Anfangsverdacht auszugehen, wenn ein Arzt sich von einem Unternehmen zur Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung einladen lässt. – Welche Folgen hat dies für Betroffene?Sitte: Ein Anfangsverdacht zieht zwingend ein Ermittlungsverfahren nach sich – für viele Betroffene ist das bereits eine sehr belastende Situation. Ermittlungen sind zudem eine öffentlichkeitswirksame Katastrophe und können das Image eines Unternehmens oder Arztes stark beschädigen, oft mit enormen wirtschaftlichen Folgen. Auch wenn sich ein Vorwurf nicht erhärtet, lässt sich der entstandene Schaden kaum mehr beseitigen. Nach der Ankündigung der Staatsanwaltschaft etwa ging die Bereitschaft der Industrie merklich zurück, mit Ärzten aus Thüringen zusammenzuarbeiten. Eine einheitliche Linie der Staatsanwaltschaften wäre hilfreich – allerdings wurde gerade erst beschlossen keine Schwerpunktstaatsanwaltschaften für diesen Bereich einzurichten. Immerhin hat die Generalstaatsanwaltschaft Thüringen im Dezember 2017 erklärt, dass ein Anfangsverdacht nach den neuen Paragrafen nicht allein deshalb bestehe, wenn die Kosten des Arztes zur Teilnahme an eine Fortbildung übernommen werden.- Wie reagiert die Gesundheitsindustrie auf die neue Rechtslage? Sitte: Auf Verbandsebene wurden die Vorgaben an die Mitgliedsunternehmen noch einmal erheblich verschärft. Der größte deutsche Verband für Unternehmen der Medizintechnik präsentierte am 1. Januar 2018 eine neue Version des verbindlichen Verhaltenskodex. Danach sollte eine einseitige Zuwendung an einen Arzt in Form der Übernahme der Kosten an einer Fortbildungsveranstaltung in Zukunft nicht mehr erfolgen. Noch weiter geht der europäische Dachverband der Medizintechnik, Medtech Europe, der seinen Mitgliedern ein solches direktes Sponsoring mit Wirkung zum 1. Januar 2018 insgesamt verbietet. Auch die übrigen Industriekodizes für den Pharma- und Medizintechnikbereich werden voraussichtlich früher oder später entsprechende Verbote einführen. Die Folgen für die gesetzlich vorgeschriebene Fortbildung der Ärzte und deren Qualität sind noch nicht abzusehen.—-Konstantin Sitte und Piet Weinreich sind Rechtsanwälte im Münchner Büro der Kanzlei Osborne Clarke. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.