Ohne Chipmangel wäre der Absatz 15 Prozent höher gewesen
Joachim Herr
Herr Goetz, trotz aller Unsicherheiten ist Daimler Truck für 2022 optimistisch. Welches sind die drei entscheidenden Gründe für Ihre Zuversicht?
Der Auftragseingang in allen Kernmärkten ist unverändert superstark. Die Kunden signalisieren uns, dass sie die Fahrzeuge dringend brauchen. Der hohe Dieselpreis spielt nur eine untergeordnete Rolle, weil sie diesen Anstieg an ihre Kunden weitergeben. Hinzu kommt ein Vorzieheffekt in Brasilien, wo vom nächsten Jahr an die Abgasnorm Euro 6 gilt.
Und die anderen zwei Punkte?
Wir können wegen der starken Nachfrage höhere Preise durchsetzen. Das müssen wir auch wegen der gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Material und Energie. Drittens reduzieren wir weiter die Kosten, auch mit der Fokussierung von Investitionen sowie der Ausgaben für Forschung und Entwicklung.
Angesichts des hohen Dieselpreises warnt der Logistikverband BGL in Deutschland vor einem Existenzkampf der Speditionen. Der starke Anstieg könne erst zeitverzögert weitergegeben werden. Werden Bestellungen storniert?
Nein, nicht mehr als üblich. Es gibt auch in den besten Zeiten Stornierungen. Derzeit ist das Niveau sogar extrem niedrig, und die Kunden verschieben nicht einmal wie in anderen Zeiten Auslieferungen.
Wie hoch sind die Preiserhöhungen, die Daimler Truck durchgesetzt hat?
In Nordamerika haben wir mit den Kunden 5% mehr für Lkw nachverhandelt. In Europa ist die Größenordnung ähnlich. Die Welt hat sich massiv verändert. Das sieht auch der Spediteur so. Wir hatten damit gerechnet, dass wegen höherer Preise ein Teil der Aufträge storniert wird. Aber in den USA haben wir in den ersten Monaten dieses Jahres sogar deutlich Marktanteile gewonnen.
Neue Aufträge nimmt Daimler Truck wegen des vollen Orderbuchs vorerst nicht an. Warum?
Im vergangenen Jahr haben wir die Bücher im August und September für Neubestellungen aufgemacht, als die Nachfrage sehr hoch war. Danach haben die Preise für Material und Energie stark angezogen. Jeder zusätzliche Monat, den wir abwarten, gibt uns mehr Sicherheit, Preisentwicklungen in den Aufträgen berücksichtigen zu können.
2021 hat Daimler Truck den Absatz um 20% gesteigert, den Umsatz währungsbereinigt aber nur um 13%. Woran liegt das?
Wegen des Chipmangels konnten wir vor allem von unserer S-Klasse weniger Fahrzeuge verkaufen, als es möglich gewesen wäre: Das sind der Actros von Mercedes-Benz und der Cascadia von Freightliner in Nordamerika. Die brauchen die meisten Chips. Der ungünstigere Produktmix im vergangenen Jahr ist aber kein strukturelles Problem, denn im Auftragsbestand war das Gegenteil der Fall. Wenn sich die Chipversorgung entspannt, wird uns das helfen.
Für dieses Jahr peilen Sie einen Absatz von 500000 bis 520000 Fahrzeugen an. Das wären etwas weniger als 2019 und deutlich weniger als die 548000 von 2018. Wie sähe es ohne den Chipmangel aus?
Im vergangenen Jahr hätten wir dann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zumindest die 520000 gesehen, vielleicht sogar 540000. Wenn sich morgen die Chipkrise lösen ließe, läge die Zahl sicherlich in diesem Jahr zwischen 520000 und 550000, obwohl wir in den ersten Monaten wegen des Mangels schon viel verloren haben.
Seit gut drei Monaten ist Daimler Truck ein eigenständiges Unternehmen: Wie hat das die Arbeit für Sie als Vorstand verändert?
Die hat sich schon vorher verändert mit unserem ersten Kapitalmarkttag im Mai 2021. Mit der Aufnahme in den MDax und nun in den Dax stehen wir mehr im Licht der Öffentlichkeit. Auch für die Organisation bringt die Selbständigkeit deshalb Änderungen mit sich.
Welche?
Wir sind noch dabei, die Frage nach den Erwartungen der Anteilseigner und des Kapitalmarkts zu beantworten. Die Balance zwischen Öffentlichkeit, Belegschaft und Kapitalmarkt hinzubekommen ist einer der Schwerpunkte unserer Diskussion im Vorstand.
Und zu vermuten ist, dass Ihre Entscheidungswege jetzt kürzer sind.
Ja, das beginnt schon räumlich. Auf Zuruf können wir fünf, sechs Vorstandsmitglieder innerhalb von fünf Minuten zu einem Treffen zusammenbringen. Und es gibt nun keine Kompromisse mehr wegen des Pkw-Geschäfts.
Das Interview führte .