OpenAI strebt Bewertung von mehr als 100 Mrd. Dollar an
OpenAI strebt Bewertung von mehr als 100 Mrd. Dollar an
Venture-Firma Thrive Capital und Investorengruppe wollen ChatGPT-Entwickler größte Kapitalspritze seit anderthalb Jahren verabreichen
xaw New York
Die Technologieschmiede OpenAI führt angeblich Verhandlungen über eine Finanzierungsrunde, bei der das Start-up auf eine Bewertung von mehr als 100 Mrd. Dollar kommen soll. Die Venture-Capital-Firma Thrive wolle rund 1 Mrd. Dollar in den Entwickler des Textgenerators ChatGPT stecken und führe damit eine Investorengruppe an, zu der auch Microsoft gehöre, berichtet das „Wall Street Journal". Im Rahmen eines Aktienverkaufs durch Mitarbeiter wurde OpenAI im Herbst 2023 noch mit 86 Mrd. Dollar bewertet. Bereits in den vergangenen Wochen führten Insider wohl Gespräche über weitere Veräußerungen, die einen Unternehmenswert von 103 Mrd. Dollar zugrunde legen.
Abhängig von Microsoft
Die nun angebahnte Finanzierungsrunde dürfte für das Start-up die größte Kapitalspritze bringen, seit Microsoft im Januar 2023 rund 10 Mrd. Dollar in den Vorreiter bei generativer künstlicher Intelligenz (KI) investierte. Im Gegenzug für die insgesamt rund 13 Mrd. Dollar, die der Windows-Konzern seit 2019 in OpenAI steckte, sicherte er sich eine Beteiligung von 49% an den künftigen Gewinnen des Unternehmens, rüstete die Suchmaschine Bing mit KI-Features auf und lancierte einen lernfähigen Copiloten für die Office-Produktsuite. Im November würgte Microsoft-CEO Satya Nadella einen Putschversuch des OpenAI-Verwaltungsrats gegen Sam Altman, den Mitgründer des Start-ups, ab – was Analysten als weiteren Beweis für die Kontrolle des Softwareriesen über die Tech-Schmiede werteten.
Teure Entwicklung neuer Modelle
Altman unterhält indes auch enge Beziehungen zu Venture-Geldgeberin Thrive und ihrem Gründer Josh Kushner, die seit 2023 mehrere 100 Mill. Dollar in OpenAI gesteckt haben. Für Altmans Ziel, eine allgemeine künstliche Intelligenz – also maschinelle Anwendungen, die intellektuelle Aufgaben autonom besser ausführen können als der Mensch – zu entwickeln, benötigt es enorme Computing-Power und große Mengen an Chips. Das kostet: In die Entwicklung des bisher performantesten KI-Modells GPT-4 flossen über 100 Mill. Dollar, die Nachfolgerin soll noch leistungsstärker und damit teurer sein.
OpenAI ist also auf externe Geldgeber angewiesen. Diese sichern sich im Gegenzug für Finanzspritzen keine Anteile an dem als Non-Profit-Gesellschaft aufgelegten Start-up, sondern wie Microsoft eine Gewinnbeteiligung an ihrem For-Profit-Ableger. Derweil steckt nicht nur der Konzern aus Redmond, sondern auch die Big-Tech-Konkurrenz gewaltige Mittel in Kooperationen mit anderen KI-Schmieden wie Anthropic, Inflection AI und Mistral.
Gewaltige Investitionsausgaben
Bei Alphabet schossen die Kapitalaufwendungen im zweiten Quartal um 91,4% auf 13,2 Mrd. Dollar in die Höhe, bei Amazon um 53,8% auf 17,62 Mrd. Dollar auf das höchste Niveau seit 2021. Der Anteil von Alphabet, Amazon, Microsoft, Apple, Meta Platforms, Nvidia und Tesla an den Investitionsausgaben im S&P 500 belief sich bereits im vergangenen Jahr auf 18%. Vor zehn Jahren lag die Quote bei 5%. Bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung sprang sie in der gleichen Zeitspanne von 15% auf 40%. Analysten betonen, dass die Anteile im laufenden Jahr noch deutlich höher ausfallen dürften als 2022.
Die Konzerne setzen darauf, dass der Boom um große Sprachmodelle für einen anhaltend hohen Bedarf an Computerressourcen sorgt. Eine starke Position bei KI-Rechenzentren gilt damit als entscheidend für das Wachstum der Cloud-Sparten der Tech-Riesen. Doch fürchten Anleger, dass der Fokus zu einseitig ausfällt.
Kerngeschäfte unter Druck
Bei der Google-Mutter ist die Erholung des Werbegeschäfts von den Corona-Verwerfungen indes abgerissen. Beim Windows-Konzern schlagen sich die Investitionen in Rechenzentren nicht in einem schnelleren Anstieg der Cloud-Erlöse nieder. Und Amazon ringt im E-Commerce mit neuen Konkurrenten, die Plattformen Temu und Shein locken Kunden mit Billigimporten aus China.
Derweil drohen auf dem Wachstumsfeld KI regulatorische Rückschläge. So untersucht die US-Wettbewerbsaufsicht FTC die Partnerschaft zwischen Microsoft und Inflection AI, seither herrscht auch um andere Kooperationen der Tech-Konzerne kartellrechtliche Unsicherheit.
Regulierung trübt Aussichten
Inwieweit Amerikas Wettbewerbsbehörden den KI-Partnerschaften dauerhaft im Weg stehen könnten, ist laut Analysten aktuell zwar noch schwierig einzuschätzen. Allerdings seien lang anhaltende Rechtsstreitigkeiten um die Kooperationen möglich – mit ungewissem Ausgang. „Das könnte heißen, dass andere, ähnlich strukturierte Deals sich als wesentlich schwieriger realisierbar erweisen, weil der regulatorische Fokus sich so stark geschärft hat“, betonte jüngst Karen Kharmandarian, Chief Investment Officer bei der Natixis-Tochter Thematics Asset Management, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Dies habe Folgen für die Innovationsfähigkeit der Tech-Riesen. Neue Entwicklungen seien zuletzt vor allem durch junge Unternehmen wie OpenAI, Inflection AI oder Anthropic und nicht durch die „großen Drei“ getrieben. „Haben Amazon, Alphabet und Microsoft keinen Zugang mehr zum intellektuellen Eigentum und den großen Sprachmodellen der Start-ups, würde dies einen klaren Rückschlag bedeuten“, unterstreicht Kharmandarian.
Gehemmte Entwicklungskraft
Schließlich setzten sie deren KI-Anwendungen in bestehenden Produkten ein und hätten daran Milliardeninvestments in ihren Cloud-Sparten geknüpft. Zwar verfügten die Großkonzerne über ausreichend Finanzkraft, Datensätze und Rechenkapazitäten, um auch intern noch innovativ zu sein. Allerdings werde ihre Entwicklungsfähigkeit dadurch gehemmt, dass Schwächen und Fehlschläge sich stark negativ auf ihre Markenimages auswirken und damit schwer kontrollierbare finanzielle Risiken nach sich ziehen könnten.
OpenAI sucht derweil auch die Nähe zu Apple, deren Aktionäre im Frühjahr noch Druck auf den iPhone-Konzern machten, schnellere KI-Fortschritte zu präsentieren. Mit dem im Juni vorgestellten System Apple Intelligence will der Tech-Riese das Nutzererlebnis auf Endgeräten stärker personalisieren und den Sprachassistenten Siri leistungsfähiger machen.
Nähe zu Apple gesucht
Die neue Software soll sich Informationen aus den iPhone-Apps ziehen und persönliche Daten auswerten können, um komplexe Befehle auszuführen. So soll sie auf Basis von SMS auf Terminkollisionen hinweisen und Antworten auf E-Mails vorschlagen. Bei komplizierteren Aufgaben soll Apple Intelligence überdies ChatGPT hinzuziehen können. Die OpenAI-Software wird für iPhone-Nutzer kostenlos in das neue System integriert; OpenAI zieht daraus den Vorteil, mit einem Schlag auf Millionen Endgeräten vertreten zu sein – und sichert sich den Zugriff auf weitere Datenmassen. Für Altman rückt sein Traum von künstlicher Intelligenz damit trotz eines widrigen Umfeldes näher.