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Pandemie verschärft Stellenabbau in der Lkw-Industrie

Von Joachim Herr, München Börsen-Zeitung, 30.6.2020 Mit Kurzarbeit allein lassen sich die Folgen nicht ausgleichen: Die Coronavirus-Pandemie kostet Arbeitsplätze. Früh trifft es die Lkw-Industrie, denn einen Auf- oder Abschwung bekommt die Branche...

Pandemie verschärft Stellenabbau in der Lkw-Industrie

Von Joachim Herr, MünchenMit Kurzarbeit allein lassen sich die Folgen nicht ausgleichen: Die Coronavirus-Pandemie kostet Arbeitsplätze. Früh trifft es die Lkw-Industrie, denn einen Auf- oder Abschwung bekommt die Branche als eine der ersten zu spüren. Zuletzt kündigte Volvo einen Stellenabbau an. 4 100 der 104 000 Arbeitsplätze sollen im zweiten Halbjahr wegfallen, ausschließlich außerhalb der Produktion.Kurz zuvor hatte der schwedische Konkurrent Scania seine Mitarbeiter mit einer Analyse aufgeschreckt. “Wir haben schätzungsweise 5 000 Mitarbeiter mehr, als wir brauchen”, stellte Vorstandschef Henrik Henriksson fest. Das entspricht fast jedem zehnten Arbeitsplatz. Wegen Corona müsse Scania die Geschäftstätigkeit reduzieren. Zu viel Personal gibt es nach Ansicht der Leitung vor allem im globalen Vertrieb, im Service und in der Verwaltung.Der Münchner Nutzfahrzeughersteller MAN, der wie Scania zum VW-Tochterkonzern Traton gehört, hatte schon vor Ausbruch der Seuche in Europa mit der Arbeitnehmerseite Gespräche über einen Stellenabbau begonnen. MAN mangelt es an Effizienz. Joachim Drees, der Vorstandsvorsitzende, appelliert an die Belegschaft: “Wir müssen unsere Profitabilität deutlich steigern, um unsere zukünftige Wettbewerbsposition zu stärken und die hohen Investitionen zur Transformation von MAN vornehmen zu können.”Daimler hatte bereits im November 2019 ein strammes Programm angekündigt. Bis Ende 2022 sollen im Nutzfahrzeuggeschäft die variablen Kosten um 250 Mill. Euro sinken, die Personalkosten um 300 Mill. Euro, vor allem in der Verwaltung in Deutschland. In Brasilien baute Daimler Trucks schon im vergangenen Jahr “in erheblichem Umfang” Stellen ab. “Wir sparen in allen Weltgegenden, investieren aber überall weiter”, sagte Martin Daum, der Vorstandsvorsitzende von Trucks & Buses, in der Jahrespressekonferenz. “Grüne Revolution”Das ist der Spagat, den alle Hersteller versuchen müssen: Die Nachfrage ist zusammengebrochen, allein in Europa sank die Zahl der Neuzulassungen von Lkw und Bussen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 38 % (siehe Grafik). Wegen der stark geschrumpften Umsätze steht das Liquiditätsmanagement ganz oben auf der To-do-Liste.Gleichzeitig müssen die Unternehmen weiter in die Entwicklung von Alternativen zum Dieselmotor investieren. Traton-Vorstandschef Andreas Renschler betont plakativ die Chancen: “Die Corona-Evolution kann und muss zur grünen Revolution werden.” Immerhin: Nach Ansicht des Analysehauses Jefferies sind die Lkw-Produzenten auf die neuen CO2-Vorgaben der EU besser vorbereitet als die Hersteller von Personenwagen. Dazu passt die im April von Daimler Trucks und Volvo bekannt gemachte Partnerschaft in der Entwicklung von Brennstoffzellensystemen für Lkw und Busse.Die Coronakrise erschwert allerdings die Anstrengungen, nicht nur aus finanziellen Gründen. Sie verzögert auch Gespräche mit der Arbeitnehmerseite über den Stellenabbau. Zu Verhandlungen sei es noch nicht gekommen, heißt es von Traton. Ende Juli solle es dazu möglichst Neuigkeiten geben. Daimler teilt auf Anfrage mit: “Derzeit befinden wir uns in der Umsetzungsphase der Maßnahmen” zur Kostensenkung. Details zum Zeitplan könnten nicht genannt werden.Freilich ist es nicht die erste Krise, in der Unternehmen die Gelegenheit nutzen, Kosten zu senken. In kritischen Zeiten lässt sich ein Stellenabbau leichter durchsetzen. Auch Scania ergreift nun die Chance. Dabei war dort die Notwendigkeit für einen so umfangreichen Stellenabbau vor dem Corona-Ausbruch nicht akut, wie zu hören ist. Jetzt sollen Flexibilität und Profitabilität verbessert werden. Den nächsten Aufschwung – wann auch immer – will die Branche schlanker angehen.Scania war im ersten Quartal dieses Jahres mit einer operativen Marge von 8,6 (i.V. 11) % der profitabelste Hersteller in Europa. In der Nähe blieb Volvo mit 6,8 (12,2) % in der Lkw-Sparte. Abgeschlagen lagen Daimler Trucks & Buses (2,8 %) zurück sowie MAN mit einem Verlust – nicht nur wegen der Anlaufkosten für die neue Lkw-Generation. Hoffen aufs KonjunkturpaketFür das nun beendete zweite Quartal haben sich die Unternehmen auf drastische Rückgänge von Absatz, Umsatz und Ergebnis eingestellt. Inzwischen läuft der Betrieb in allen Werken von Traton wieder, ein Teil der Beschäftigten ist noch in Kurzarbeit. Daimler Trucks fertigt seit Juni auch wieder in allen Fabriken. “Um auf den jeweiligen Markt und die Nachfragesituation reagieren zu können”, werde flexibel produziert.Traton-Chef Renschler hatte sich Investitionszuschüsse vom Bund und der EU erhofft und davon einen Schub fürs Geschäft erwartet. Daraus wurde nichts. Dennoch verspricht er sich einiges vom Konjunkturpaket: “Die befristete Senkung der Mehrwertsteuer und die Erhöhung der degressiven Abschreibung können erste Impulse setzen, die schwache Nachfrage nach Nutzfahrzeugen wieder anzukurbeln.”