GASTBEITRAG

Paradigmenwechsel in der Finanzierungslandschaft

Börsen-Zeitung, 9.3.2013 Die einschlägigen Statistiken lassen unschwer erkennen, dass es keine Unterversorgung der Wirtschaft mit Krediten gibt, weder in Deutschland noch im Euro-Kernland. Wohl haben sich die Finanzierungskonditionen für Bonitäten...

Paradigmenwechsel in der Finanzierungslandschaft

Die einschlägigen Statistiken lassen unschwer erkennen, dass es keine Unterversorgung der Wirtschaft mit Krediten gibt, weder in Deutschland noch im Euro-Kernland. Wohl haben sich die Finanzierungskonditionen für Bonitäten minderer Qualität verschlechtert. Die Umsetzung, aber auch schon die Vorwegnahme von Basel III (schärfere Eigenkapitalregeln, Höchstverschuldungsquote sowie neue Liquiditätsanforderungen im Hinblick auf das Problem der Fristentransformation) limitiert die Kreditvergabe. In Einzelfällen mögen Marktteilnehmer auch gänzlich von externen Finanzierungsquellen abgeschnitten sein. Insbesondere langfristige Finanzierungen werden unter aufsichtsrechtlichen Gesichtspunkten nicht favorisiert. Das ist die Angebotsseite.Schaut man auf den Kreis derjenigen Marktteilnehmer, die potenziell Finanzierungsbedarf haben, so erkennt man, dass die Nachfrage nach Krediten (in einzelnen Branchen) zurückgegangen ist. Das hat unterschiedliche Gründe. Auch und insbesondere liegen diese aber in der Wirtschafts- und Finanzkrise selbst begründet.Unternehmen in Deutschland haben in den letzten Jahren reichlich Liquiditätsreserven aufgebaut. Das ist unternehmerische Erkenntnis, entstanden aus den Nöten und Engpässen, in die Unternehmen im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise geraten sind. Im gleichen Maße wie das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Liquiditätsthemen entstanden ist, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, bestehende externe Verschuldung zu verringern und die Eigenkapitalquote spürbar zu erhöhen. Neues PhänomenEin Phänomen der jüngeren Zeit ist das Auftreten einer neuen Gruppe von Finanzierern aus dem Segment der institutionellen Investoren, hier überwiegend aus der Versicherungsbranche und dem Fondsbereich, zu welchen die in der letzten Zeit viel diskutierten spezialisierten Kreditfonds zählen. Diese sind, durchaus noch zögerlich und abwartend, in den letzten Monaten in den Markt eingetreten, womit sich dem kapitalnachfragenden Unternehmen neue Finanzierungsquellen zu erschließen scheinen.Sicher ist, dass ein scharfer (Verdrängungs-)Wettbewerb hier aber nicht zu erwarten ist. Warum ist das so? Zunächst liegt der Fokus großer Teile dieser Investorenklasse zurzeit auf Bonitäten höherer Qualität, Projekten besonderer Güte und verhältnismäßig einfachen Finanzierungsstrukturen. Daneben ist das Kreditvergabegeschäft in Deutschland nach dem Kreditwesengesetz (KWG) grundsätzlich erlaubnispflichtig. Es existieren Ausnahmen von diesem Grundsatz. Diese erfordern aber einen gewissen Strukturierungsaufwand bzw. setzen die Kooperation mit einer Bank mit KWG-Lizenz voraus. Der derivative Erwerb bestehender Kredite dagegen fällt grundsätzlich nicht unter das KWG. Fehlende TransparenzErschwerend kommt hinzu, dass der Markt dieser Investoren nur eingeschränkt transparent ist, sodass die Ansprache von potenziellen Finanzierungspartnern und der Abschluss eines Finanzierungsprojektes alles andere als einfach ist. Schließlich ist überhaupt nicht gewiss, ob alternative Kreditgeber überhaupt ultimativ und nachhaltig neben Banken als die bislang klassischen Kreditgeber treten können: Ankündigungen des Finanzstabilitätsrates (Financial Stability Board) legen nahe, dass solche alternative Kreditgeber, also Hedgefonds oder andere Finanzinvestoren, die ohne Banklizenz operieren, sowie auch außerhalb der Bilanz geführte Zweckgesellschaften, zukünftig dem gleichen Regulierungsrahmen unterworfen werden wie Banken.Wie wird sich der Finanzierungsmarkt in der Zukunft ändern? Unternehmen aller Größen- und Industrieklassen werden in der Zukunft in noch stärkerem Maße evaluieren (müssen), ob und inwieweit (weiteres) Innenfinanzierungspotenzial besteht und kurz- bis mittelfristig gehoben werden kann. Hierfür sprechen eine Reihe von Gründen. An erster Stelle stehen hier natürlich Opportunitätskosten sowie Optimierungs-/Effizienzgesichtspunkte. Unter Binnenfinanzierungsmaßnahmen sind Maßnahmen zur Kapitalbeschaffung aus dem Unternehmen selbst heraus zu verstehen, insbesondere solche aus dem Umsatzprozess (Bildung von Rücklagen) und/oder durch Vermögensumschichtungen (Sale and Lease-back). Voraussetzung ist in jedem Fall ein ertragsstarkes Unternehmen.Flankierend hinzu treten liquiditätssteigernde und -verbessernde Maßnahmen wie das Working-Capital-Management. Ergebnis einer konsequenteren und nachhaltigeren Fokussierung auf Innenfinanzierungs- und Liquiditätsthemen ist dann in nicht wenigen Fällen, dass das Ausmaß externer Finanzierung reduziert wird. In einer Reihe von Fällen mag sie auch eine (teure und aufwendige) externe Fremdfinanzierung entbehrlich machen. B2B-TransaktionenDaneben ist zu erwarten, dass B2B-Finanzierungen an Bedeutung gewinnen werden. Bei einer B2B-Finanzierung finanziert, vereinfacht gesagt, ein Unternehmen ein anderes, mit dem es in Geschäftsbeziehung steht, ohne dass eine externe Finanzierung bereitgestellt wird bzw. ergänzt eine solche. Im Zusammenhang mit Lieferbeziehungen ist hier (in der ganz einfachen Form) an Zahlungsziele und Lieferantenkredite zu denken. Hierunter fallen aber auch das Leasing, Sale and Lease-back und unterschiedlichste absatzfinanzierende Maßnahmen.Im Kontext eines Unternehmenskaufs geht hier der Blick auf das sog. “Vendor Loan”, mit dem eine beim Käufer auftauchende Finanzierungslücke vom Verkäufer abgedeckt wird. Die Vorteile solcher Finanzierungsform liegen auf der Hand: B2B-Finanzierungen sind rasch umzusetzen, ohne großen Vorbereitungs-, Analyse- und Umsetzungsaufwand sowie mit einem überschaubaren Kosten. Hier wird die Entwicklung weitergehen. Silodenken wird relativiertWenn und soweit externe Finanzierung erforderlich, wird es schließlich zu einer weiteren Relativierung des Silodenkens kommen, welches unverändert den Katalog der Fremdfinanzierungsmittel bestimmt. Ansätze dafür gibt es indes bereits. Worum geht es? Bei Finanzierungsinstrumenten wird ganz üblicherweise zwischen Kapitalmarktinstrumenten auf der einen und Finanzierungsinstrumenten außerhalb des Kapitalmarktes (“Private Debt”) auf der anderen Seite – oder anders gewendet zwischen dem öffentlichen Kapitalmarkt und dem privaten Finanzierungsmarkt – unterschieden. Kennzeichnend für Kapitalmarktinstrumente bzw. Wertpapiere sind aus rechtlicher und regulatorischer Perspektive insbesondere Marktzulassungs- und Prospektthemen, Folgepflichten im Hinblick auf den Verbleib im regulierten Markt sowie aus Marktsicht ein hoher Grad an Liquidität des jeweiligen Kapitalmarktinstrumentes. Zur Gruppe der Kapitalmarktinstrumente gehört die Anleihe, mit der Spielart der populären, aber auch in die Diskussion geratenen Mittelstandsanleihe. Strikte TrennungZur zweiten Gruppe gehören die Kredite, vom bilateralem Kredit hin zum Konsortialkredit, mit der Spielart des Schuldscheindarlehens, partiarische Darlehen, bestimmte Formen von Genussrechten und stillen Beteiligungen. Des Weiteren wird aber nicht nur zwischen Kapitalmarktinstrumenten und dem Private-Debt-Markt sorgfältig unterscheiden, sondern auch im Segment der Finanzierungsinstrumente des privaten “Schuldmarktes” selbst existiert eine weitere relativ strikte Trennung der einzelnen Finanzierungsinstrumente.Wie geht nun das kapitalsuchende Unternehmen mit dieser Marktdifferenzierung um? Da gibt es auf der einen Seite den kapitalsuchenden Unternehmer, der nicht vom (im Markt verfügbaren) Finanzierungsinstrument, sondern in erster Linie vom identifizierten Finanzierungsbedarf her kommt. Wichtige Steuerungsparameter aus seiner Sicht sind neben dem mittel- und langfristigen Finanzierungsbedarf insbesondere die Finanzierungs- bzw. Verwendungszwecke, die gegenwärtige und gewünschte Bilanzstruktur, die Zusammensetzung des Investorenkreises, aber natürlich auch eine Vielzahl von Konditionierungsthemen. Hieraus folgt ein bestimmtes Anforderungsprofil.Es gibt auf der anderen Seite aber auch Unternehmen, die aus unterschiedlichen Gründen schnell in ein bestimmtes Finanzierungsinstrument hineingedrängt werden oder sich hineingedrängt fühlen. Hier wird regelmäßig (auch wenn weitere wesensbestimmende Merkmale eines bestimmten anerkannten Finanzierungsinstruments für ein konkretes Finanzierungsvorhaben nicht oder nicht optimal passen) eine frühzeitige Einstufung beispielsweise als Schuldscheindarlehen, Kredit oder Mittelstandsanleihe vorgenommen. Problematische EinengungEine zu frühzeitige Kategorisierung und eine zu schnelle Ausrichtung am Katalog der verfügbaren Finanzierungsinstrumente führt nun aber zu einer problematischen Einengung. Der Wunsch nach einer zügigen Einordnung und Kategorisierung verstellt den Blick auf den hohen Grad an Flexibilität, den das deutsche Recht (Schuld- und Gesellschaftsrecht) mitbringt. Ein großer Wermutstropfen ist indessen unverändert die mangelhafte Verzahnung mit dem Bilanz- und Steuerrecht – genannt seien hier die bilanz- und steuerrechtliche Behandlung von eigenkapitalnahen Genussrechten sowie einige Nachteile des Sanierungssteuerrechts. Die berechtigte Forderung lautet, das Handels-, Bilanz und Steuerrecht in Anwendungs- und Auslegungsfragen besser aufeinander abzustimmen. Hier stellen sich beträchtliche Herausforderungen.Es bleibt aber dabei, dass es der vom deutschen Recht zur Verfügung gestellte äußerst flexible Rahmen erlaubt, in einem ungewöhnlich hohem Maße Bausteine zu einer maßgeschneiderten Finanzierung zu kombinieren. Angeraten werden kann deshalb nur, dass nicht der Katalog der klassischen Finanzierungsinstrumente das Finanzierungsanliegen in restriktiver Weise bestimmen sollte, sondern umgekehrt sollte Ausgangspunkt einer jeden Finanzierungsentscheidung vielmehr immer zunächst die oben genannten Finanzierungsparameter sein. Keine gelebte PraxisNun könnte man meinen, all das sei gängige und gelebte Praxis. Tatsächlich werden Finanzierungen in den unteren Ticketgrößen jedoch ganz häufig vom Kreis der verfügbaren Instrumente, also vom Rechtskleid, her betrachtet und bestimmt. Nur großvolumige Finanzierungen folgen typischerweise dem oben dargestellten Muster, bei dem der Finanzierungsbedarf das “Kleid” bestimmt.Ein gutes Beispiel für ein hybrides Finanzierungsinstrument, welches vom Finanzierungsbedarf her gedacht wird und welches Bausteine/Elemente unterschiedlicher Finanzierungsinstrumente miteinander kombiniert, ist das Schuldscheindarlehen. Dieses ist rechtlich betrachtet ein echtes Darlehen und kein Kapitalmarktinstrument oder Wertpapier, mit einer vergleichsweise überschaubaren Komplexität und einer komfortablen Fungibilität. Kombinatorik und InnovationDie Entwicklung zu mehr Kombinatorik und Innovation wird indessen noch weiter gehen: Es ist eine Frage der Zeit, dass in (einzelnen) Schuldscheindarlehen eine Konsortialbindung, wie wir sie aus dem Konsortialkredit her kennen, eingeführt wird. Sie erlaubt es dem jeweiligen Unternehmen, von den Banken – im Hinblick auf die Ausübung von Kündigungsrechten – eingeforderte Verzichtserklärungen (“Waiver”), aber auch Vertragsänderungen mit einer Bankenmehrheit (statt Einstimmigkeit) herbeizuführen. Der einzelne Investor/Kreditgeber hätte dann, so wie es zurzeit gängige Marktpraxis ist, im Hinblick auf die genannten Vorgänge kein Vetorecht mehr. Dies ist bedeutsam insbesondere für Restrukturierungsszenarien.Es ist nicht so sehr die Frage nach der Ausweitung des Kreises potenzieller Kapitalgeber über die Banken hinaus, die – jedenfalls für den Bereich der langfristigen Finanzierungen, wo sich Banken eher als Vermittler denn Finanzierer sehen werden – die zukünftige Debatte bestimmen wird bzw. bereits bestimmt, sondern (1) vielmehr die Frage, ob und inwieweit externe Finanzierungen angesichts optimierter Innenfinanzierung und verstärkter Bereitstellung und Inanspruchnahme von B2B-Finanzierungen erforderlich sind sowie (2) die (dem Grunde nach ewige, aber jetzt wieder aktuelle) Frage nach der Bonitätsverbesserung durch insbesondere eine bessere Eigenmittelausstattung. MaßgeschneidertUnternehmen und Investoren sorgen auf diesem Weg selbst dafür, dass die Bankenfinanzierung für sie attraktiv bleibt. Darüber hinaus wird sie in der Zukunft vielfältiger und maßgeschneiderter sein wird als jemals zuvor. Das bedeutet auf der anderen Seite aber auch, dass alternative Finanzierungsgeber für Unter-nehmen in dem Maße, wie Bankenfinanzierungen wieder verstärkt nachgefragt und angeboten werden, an Attraktivität einbüßen.