„Die Idee der Transaktion ist aufgegangen“
Im Gespräch: Sven Seidel und Carsten Sauerland
„Die Idee der Transaktion ist aufgegangen“
CEO und CFO des Pharmahändlers Phoenix über die größte Akquisition der Firmengeschichte, Finanzierung in schwierigen Zeiten und den Einsatz von KI
Von Sabine Wadewitz, Mannheim
Das Management des Pharmahändlers Phoenix blickt mit hoher Zufrieden-heit auf die Integration des größten Zukaufs in der Firmengeschichte. Zur Finanzierung habe ein starker Cashflow beigetragen, so dass die Brückenfinanzierung am Ende nicht in Anspruch genommen werden musste. Keines der erworbenen Geschäfte habe sich zum Problemkind entwickelt, erläutern CEO Sven Seidel und CFO Carsten Sauerland.
Es war eine der letzten größeren Optionen – und der Healthcare-Konzern Phoenix Group hat zugegriffen. Der europäische Marktführer im Pharmagroßhandel hat mit der Übernahme von Teilen des Europageschäfts von McKesson seine Position deutlich ausgebaut. Die intern „Grand-Slam-Akquisition“ genannte Transaktion erweiterte nicht nur die Präsenz in Europa, das Unternehmen hat sich auch die Gesundheitsmärkte in vier neuen Ländern erschlossen: Belgien, Irland, Portugal und Slowenien.
In 29 Ländern vertreten
Für Phoenix ist es die größte Akquisition in der Firmengeschichte und zugleich die Krönung einer stetigen Expansion in Europa seit Gründung des Unternehmens 1994 in Mannheim. Es entstand aus dem Zusammenschluss von vier regionalen deutschen Pharmagroßhändlern. Mit dem jüngsten großen Zukauf, vollzogen im Herbst 2022, ist das Familienunternehmen mit 48.000 Beschäftigten in 29 europäischen Ländern vertreten und bringt es auf eine Gesamtleistung (2023) von 46 Mrd. Euro. Der Konzern beliefert im Großhandel 70.000 Apotheken-Kunden und betreibt selbst mehr als 3.200 eigene Apotheken.
CEO Sven Seidel und CFO Carsten Sauerland machen im Gespräch deutlich, dass diese große Akquisition auf mittlere Sicht nicht übertroffen werden wird, weil es im europäischen Markt keine vergleichbaren Ziele mehr gebe. Die Industrie hat eine sehr lange Tradition, inzwischen ist die Konsolidierung in Europa aber weit vorangekommen. Nur noch wenige Spieler sind im Markt – sowohl im Pharmagroßhandel als auch im Apothekengeschäft. „Was wir als Grand-Slam-Transaktion bezeichnen, war die letzte Möglichkeit einer größeren Akquisition in Europa“, sagt Seidel. Phoenix habe sich als einziger paneuropäischer Healthcare-Provider positioniert. Amerisource Bergen gilt als Konkurrent, der in verschiedenen europäischen Ländern aktiv ist, aber eben nicht in allen.
Risiken im Blick
„Wir sind in der Rückschau sehr zufrieden mit der Transaktion“, unterstreicht Seidel. Die Integration laufe sehr gut, „die Teile wachsen gut zusammen“. Europa sei ein sehr heterogener fragmentierter Markt im Gesundheitswesen. „Es gibt keine einheitliche und umfassende europäische Gesundheitsregulierung. Jedes Land, jedes Portfolio, das wir dazubekommen, reduziert das Risiko, wenn sich in einzelnen nationalen Regulierungen etwas verändert. Die Idee der Transaktion ist aufgegangen“, erläutert Seidel.
Zum Transaktionswert ihrer „Grand-Slam-Akquisition“ hält sich das Unternehmen bedeckt. Es sei Stillschweigen vereinbart worden. In Medien wurde ein Enterprise Value aus Eigenkapital und Schulden von 1,3 Mrd. Euro kolportiert. Finanzchef Sauerland lässt sich für den Enterprise Value nur ein Intervall von mehr als 1 Mrd. und weniger als 2 Mrd. Euro entlocken. Der Wert für das Eigenkapital habe unter 1 Mrd. Euro gelegen.
Starker Cashflow
Die Finanzierung habe auch in schwierigem Umfeld keine Probleme bereitet, unterstreicht Sauerland. „Phoenix konnte die Transaktion weitgehend aus dem Cashflow stemmen.“ Das Unternehmen hatte sich für die Akquisition zwar eine Brückenfinanzierung in Milliardenhöhe gesichert, sie aber am Ende nicht genutzt. „Davon haben wir keinen einzigen Euro in Anspruch genommen und die Kreditlinie wieder gekündigt“, sagt der Finanzchef. Über ein Schuldscheindarlehen hat Phoenix 300 Mill. Euro aufgenommen. „Das war die einzige Refinanzierungsmaßnahme, der Rest war operativer Cashflow“, erklärt Sauerland. Zudem habe die von McKesson übernommene Einheit Geld in der Kasse gehabt.
CEO Seidel erinnert mit Blick auf die Finanzierung aus eigenen Mitteln daran, dass es vom Start bis zum Abschluss der Transaktion zweieinhalb Jahre gedauert hat. Phoenix hat sich nach seiner Darstellung in den vergangenen Jahren deutlich robuster aufgestellt, was auch der Cash-Generierung zugutegekommen ist. „Wir sind mit viel Rückenwind auch über die Coronazeit gekommen“, sagt Seidel. Dass Phoenix die Brückenfinanzierung nicht nutzen würde, habe man anfangs nicht erwartet. „Es zeigt, wie sich Phoenix gerade entwickelt.“ Operative Exzellenz sei für das Management ein sehr wichtiges Thema. „Wir wollen im Sinne unseres Versorgungsauftrags aus den Prozessen heraus die bestmögliche Leistung erbringen – mit höchster Qualität, niedrigsten Kosten und geringster Verschwendung“, resümiert Seidel.
Wachstumspotenzial „verschenkt“
Nach der Akquisition liegt die Bruttoverschuldung ohne Leasingverbindlichkeiten laut Sauerland bei rund 2,4 Mrd. Euro. Davon machten Bonds und festverzinsliche Tranchen der Schuldscheindarlehen 800 Mill. Euro aus, ein Drittel sei somit zu festen Konditionen finanziert. An dieser Struktur wolle Phoenix festhalten.
Der Verschuldungsgrad (Nettoverschuldung zu Ebitda) lag vor der Transaktion bei 1,47. Mit so einem niedrigen Wert „verschenkt man Wachstumspotenzial“, sagt Sauerland und ergänzt: „Wir sind mit historisch niedrigen Werten in die Transaktion gegangen.“ Nach dem Deal liegt der Verschuldungsgrad bei 2,97. Phoenix hat ein Unternehmensrating von Standard & Poor’s in der Spekulationsklasse mit „BB “ und stabilem Ausblick. Den Verschuldungsgrad will das Unternehmen nicht weiter erhöhen. „Wir wollen den Leverage abbauen. Das heißt aber nicht, dass wir nur noch Ersatzinvestitionen tätigen“, sagt Sauerland. Dazu sei die Geschäftsentwicklung zu stabil: „Wir laufen auf 1 Mrd. Euro Ebitda zu.“
Mehr Großhandel im Portfolio
Das Phoenix-Management hat die aus der Transaktion erwartete Synergien bislang nicht quantifiziert. Sauerland umreißt den Rahmen so, dass mit einmaligen Integrationskosten von 100 Mill. Euro auf Sicht von vier Jahren wiederkehrende Ergebnisverbesserungen von 150 Mill. Euro erwartet werden. Im laufenden Geschäftsjahr habe Phoenix 40% davon realisiert. Das neue Geschäft habe vom ersten Tag an zum operativen Ergebnis (Ebitda) beigetragen. „Wir haben kein einziges Problemkind übernommen, alle Länder laufen sehr gut und tragen unmittelbar positiv zum operativen Ergebnis bei“, betont Sauerland.
Mit Blick auf die künftige Ertragsentwicklung weist Seidel darauf hin, dass der Großhandel traditionell margenschwächer ist als das Apothekengeschäft. Mit der Transaktion sei nun etwas mehr Großhandel hinzugekommen, insbesondere durch das Frankreichgeschäft. Phoenix habe dort mit der OCP die Nummer 1 erworben, so dass sich die Kostenstruktur im Vergleich zur alten Phoenix etwas verschlechtert habe. „Wir haben per saldo etwas mehr Großhandel als früher, deshalb geht die Marge runter“, fasst es Finanzchef Sauerland zusammen.
Probleme in der Lieferkette
Die Probleme in der Lieferkette halten an. „Jede zweite Großhandelsbestellung kommt unvollständig an“, bekräftigt Seidel. „Wir laufen weiterhin mit hohem manuellen Aufwand quasi hinter den Produkten her.“ Das sei in der automatisierten Welt des Großhandels durchaus kostenaufwendig. In Deutschland gebe es nach wie vor Knappheit bei Fiebersäften und Antibiotika, teilweise seien auch Krebsmedikamente schwer zu bekommen. Europaweit sehe die Situation ähnlich aus, es betreffe aber von Land zu Land unterschiedliche Produkte.
Data Academy geschaffen
Zentrales strategisches Thema ist auch für Phoenix die digitale Transformation. Ziel sei, in der Schnittstelle zum Kunden digitaler zu werden – sowohl in der Anbindung der Lieferanten als auch in Richtung Apothekenkunden. Auch interne Prozesse soll die Digitalisierung unterstützen. „Wir als Intermediär sitzen auf einem Berg von Daten, die dem Management helfen können, bessere Entscheidungen zu treffen“, sagt Seidel. „Wir haben eine Data Academy aufgebaut und nutzen ChatGPT für Phoenix.“ Sauerland ergänzt: „Mitarbeiter müssen zum Beispiel keine historischen Finanzdaten mehr suchen.“
Seidel räumt ein, dass sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei Phoenix noch im Teststadium befindet. „Ziel ist, dass die Kolleginnen und Kollegen über KI schneller und effizienter Zugang zum Unternehmenswissen bekommen. Handel ist heute oft noch stark bauchgetrieben, das kann durch Datenanalyse unterstützt werden.“