Politikum Doppelstimmrecht

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 22.4.2015 Das Ringen um Doppelstimmrechte erhitzt die Gemüter in der laufenden Hauptversammlungssaison in Frankreich. Nachdem das Übernahmerecht in dem Land 2014 angepasst wurde, erhalten...

Politikum Doppelstimmrecht

Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDas Ringen um Doppelstimmrechte erhitzt die Gemüter in der laufenden Hauptversammlungssaison in Frankreich. Nachdem das Übernahmerecht in dem Land 2014 angepasst wurde, erhalten Anteilseigner, die einem Unternehmen mindestens zwei Jahre die Treue gehalten haben, automatisch ein Doppelstimmrecht. Zuvor bedurfte es einer Regelung in der Satzung, um dieses Vorrecht einzuräumen, das es in verschiedenen Ausprägungen auch in anderen europäischen Ländern gibt.Für Unternehmen ist es teilweise ein willkommenes Instrument, um kurzfristig orientierten, wenn nicht gar aktivistischen Aktionären ein Bollwerk langfristig ausgerichteter Anteilseigner entgegenzusetzen. Institutionelle Investoren, die seit Jahren das Prinzip des “one share, one vote” predigen, sehen Doppelstimmrechte dagegen als protektionistisches Mittel, mit denen dominante Großaktionäre zulasten von Minderheiten ihren Einfluss ausbauen können – ohne zusätzlichen Kapitaleinsatz.Wie das aufsehenerregende Beispiel Renault zeigt, braucht ein Großaktionär nun allenfalls kurze Zeit Geld in die Hand zu nehmen, damit er mehr Gewicht bekommt: Er muss sich die Hauptversammlungsmehrheit sichern, um Anträge gegen die automatischen Doppelstimmrechte abzuschmettern. Danach kann er sich von den Titeln getrost wieder trennen, wird ihm doch seine Treue in Stimmrechten vergütet.Das zum 1. April 2014 in Kraft getretene “Loi Florange” hat die Regeln im französischen Übernahmerecht in einigen grundlegenden Punkten verändert, um feindliche Übernahmen besser abwehren zu können. Dazu gehören die Stimmrechtsprämien, aber auch die Möglichkeit, Geschütz gegen Übernahmeofferten ohne vorheriges Votum der Hauptversammlung aufzufahren, was Beutezüge erschwert. Alte TraditionEin Doppelstimmrecht hatte vor der Reform sowieso mehr als die Hälfte der im Börsenindex CAC 40 geführten Unternehmen in ihrer Satzung verankert. Die bislang dem “one share, one vote” verpflichteten Unternehmen müssen, um den Status quo zu verteidigen, innerhalb von zwei Jahren bis 1. April 2016 einen Hauptversammlungsbeschluss gegen das automatische Doppelstimmrecht herbeiführen. Bei Vinci ist der Antrag zur Verhinderung des Loyalitätsrechts angenommen worden, bei Vivendi wurde er abgelehnt, so dass sich Großaktionär Vincent Bolloré auf größeren Einfluss ohne Kapitaleinsatz freuen kann.Das Loi Florange, das die Eigentümerverhältnisse durcheinanderwirbeln kann, galt zugeschnitten auf Staatsbeteiligungen wie im Fall von Renault. Denn so kann Paris Aktienengagements reduzieren, ohne in gleichem Maße Stimmrechte einzubüßen. Es ist ja erklärtes Ziel des Staates, Firmenanteile zu versilbern. So wurde ins Übernahmerecht auch eine Sonderregelung für das Auslösen von Pflichtangeboten eingezogen. Denn wer durch Doppelstimmrechte die kritische Schwelle von 30 % überschreitet, muss dann keine Offerte für alle Aktionäre unterbreiten, wenn er vor Inkrafttreten des Gesetzes über dieser Schwelle war, seitdem Aktien verkauft hat und nun mit den Treuestimmrechten wieder darüber ankommt.Auch in Frankreich galten Doppelstimmrechte schon vor mehr als zehn Jahren als überholt. Auf Druck von Investoren haben viele Konzerne diese Sonderbehandlung abgeschafft, während sie sich zuvor breiter Beliebtheit im Börsenleitindex CAC 40 erfreute. Der Forderung internationaler Investoren nach “one share, one vote” fügten sich einst auch Renault und Vivendi. Treue Aktionäre wurden stattdessen manchmal mit einem Dividendenaufschlag belohnt. Auch Stimmrechtsbegrenzungen waren willkommene Instrumente, um sich gegen unerwünschte Annäherungen zu schützen – im Übrigen nicht nur in Frankreich.In Deutschland sind Mehrfachstimmrechte durch das Gesetz zu Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich 1998 abgeschafft worden. In der Diskussion über EU-weit einheitliche Rahmenbedingungen für Übernahmen war das Festhalten einiger Länder an Mehrfachstimmrechten aus deutscher Sicht harsch kritisiert worden und als zentrales Übernahmehindernis gebrandmarkt worden. Ein Level Playing Field, also faire Wettbewerbsbedingungen, könnten nicht verwirklicht werden, wenn diese Sonderrechte weiterbestünden, so die Kritik. BlickwechselDie Finanzmarktkrise und die zunehmende Umtriebigkeit aktivistischer Investoren haben die Diskussion in den Unternehmen teilweise wieder in eine andere Richtung gelenkt. Auf Kritik an Doppelstimmrechten reagierte Roger Barker, Director Corporate Governance der renommierten britischen Boardmitglieder-Vereinigung Institute of Directors, in einem Leserbrief in der “Financial Times” durchaus verständnisvoll für den französischen Weg.Langfristig ausgerichtete Anleger unterstützen aus Sicht von Barker die Unternehmen bei Investitionen und Produktinnovationen, die ja oft einen langen Atem brauchen. Diese strategischen Anstrengungen würden behindert, wenn aktivistische Kampagnen die Konzerne dazu brächten, über Aktienrückkäufe und andere bilanzpolitische Manöver ihren Börsenwert kurzfristig nach oben zu treiben. Das Mantra des “one share, one vote” sei für ein Unternehmen nur dann von Wert, wenn eine ausreichende Zahl von Investoren bereit sei, ihre Stimmrechte im Interesse eines “langfristigen Kapitalismus” zu nutzen, meint der Vertreter des britischen Institute of Directors.——–Einst auf dem Rückzug, feiern Sonderrechte für Aktionäre in Frankreich ihr Comeback.——-