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Predictive Analytics: Schöne neue Datenwelt

Börsen-Zeitung, 7.5.2016 Google und Amazon erstellen Persönlichkeitsprofile und durchforsten blitzschnell riesige Datenmengen auf Muster und Korrelationen, um Voraussagen in Echtzeit zu ermöglichen. Da insgesamt rund 3,2 Mrd. Menschen im Internet...

Predictive Analytics: Schöne neue Datenwelt

Google und Amazon erstellen Persönlichkeitsprofile und durchforsten blitzschnell riesige Datenmengen auf Muster und Korrelationen, um Voraussagen in Echtzeit zu ermöglichen. Da insgesamt rund 3,2 Mrd. Menschen im Internet surfen und permanent Daten produzieren, steckt darin viel Potenzial. Entsprechend erfreuen sich Analytics-Verfahren auch bei Banken und Versicherern immer größerer Beliebtheit. Sie möchten Zusammenhänge erkennen, Prognosen ableiten und diese für Entscheidungen nutzen. Darüber hinaus bieten Big-Data-Analysemethoden schnelle und detaillierte Möglichkeiten, Risikoanalysen durchzuführen sowie wertvolle Ansätze, um bis dato unbekannte Muster in vorhandenen Datenbeständen zu erkennen und diese für fundierte Entscheidungen im Risikomanagement zugänglich zu machen. Warnsignale entdeckenExperten sehen Predictive Analytics als einen der wichtigsten Big-Data-Trends, insbesondere im Bereich Risikomanagement. Das Analytics-Reifegradmodell von Gartner unterscheidet vier Reifegradstufen. Die Descriptive Analytics untersucht Daten aus der Vergangenheit, um potenzielle Auswirkungen auf die Gegenwart zu verstehen. Die Diagnostic Analytics konzentriert sich auf Ursache-Wirkungs-Beziehungen oder Wechselwirkungen. Die Predictive Analytics berechnet Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Ereignisse. Bei Prescriptive Analytics geht es um die Frage: “Wie müssen wir handeln, damit ein zukünftiges Ereignis (nicht) eintritt?” Im Kern werden Maßnahmen simuliert, etwa basierend auf stochastischen Szenarioanalysen sowie Sensitivitätsanalysen.Ein Mehrwert für Versicherungen liegt dabei in der individuellen Ansprache von Bestands- und Neukunden. Bei Banken sind die Einsatzmöglichkeiten sowohl im Privatkunden- als auch im Geschäftskundenbereich sehr vielfältig. Für sie ist das Potenzial im Risikomanagement, insbesondere im Liquiditätsmanagement, am größten. Denn durch gezielte Analysen können etwa Kosten für kurzfristige Kredite reduziert werden. Außerdem dienen Analysemethoden als Frühwarnsystem, um schwache Signale zu entdecken und gegenzusteuern, etwa bei Marktverschiebungen, bei veränderten Kundenpräferenzen, aber auch zur Verhinderung von Wirtschaftskriminalität. Weiterhin können Informationen zusammengeführt werden, um für die Kreditvergabe die Zahlungsmoral von Kunden vorherzusagen.Parallel dazu steigen die Anforderungen, die dahinter liegenden Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu verstehen. Banken und Versicherungen, die sich täglich mit dem Management von Risiken und Chancen auseinandersetzen, sind darauf angewiesen, aus den vorliegenden Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Denn die Tatsache, dass ein Muster existiert, setzt voraus, dass dieses in der Vergangenheit entstanden ist. Dies wiederum heißt nicht zwangsläufig, dass eine Schlussfolgerung aufgrund dieses Musters auch für die Zukunft Gültigkeit besitzt.Risikomanager und auch Big-Data-Analysten tappen nicht selten in die Falle, wenn sie den Unterschied zwischen Korrelationen und Kausalitäten nicht auf dem Radar haben, Informationen falsch interpretieren und falsche Schlussfolgerungen ziehen. Big-Data-Protagonisten erwidern, dass Big-Data-Methoden vor allem bei Fragestellungen erfolgreich sind, die sich aufgrund extrem hoher Komplexität nicht mehr durch einfache Gesetze beschreiben lassen. In diesem Kontext geht es bei Big Data gar nicht um große Datenmengen, sondern um eine Veränderung des Denkansatzes zur Gewinnung von Erkenntnissen. Die Kausalität spielt dabei keine Rolle. Erklärt wird im besten Fall, was passiert, nicht aber warum.Doch es gibt auch kritische Stimmen. Die Ergebnisse der Untersuchung zu “Chancen durch Big Data und die Frage des Privatsphärenschutzes” des Fraunhofer Instituts belegen, dass Google zwar mit Abstand die meistgenutzte Suchmaschine ist. Aber danach folgt bereits die privatsphärenfreundliche Suchmaschine DuckDuckGo. Folglich gibt es bei Teilen der Internetnutzer ein gewisses Misstrauen gegenüber der Datenverarbeitung und -nutzung im Internet. Dies könnte zu einem veränderten Mediennutzungsverhalten führen. Und das wiederum birgt die Gefahr eines volkswirtschaftlichen Schadens für alle Anbieter webbasierter Technologien. Datenflut verknüpfenMit Big Data wird die Hoffnung verknüpft, dass wir zukünftig die Welt besser verstehen werden und etwa die Treiber für Risikoeintritte über schwache Signale rechtzeitig erkennen und gegensteuern. Dahinter liegt die Erwartung, dass eine Zunahme der Quantität an Daten auch zu einer neuen Qualität führt. In der Welt von Predictive Analytics und Big Data ist jedoch eine korrekte Interpretation der Ergebnisse wichtig. Wenn die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge nicht verstanden werden, bleiben die Muster und Korrelationen weitgehend zufällig. Wir müssen die Datenflut mit Theorien und Gesetzen verknüpfen und uns mit der Frage beschäftigen, wie viel Sicherheit und Vorhersehbarkeit auf der einen Seite sowie Freiheit und Risiko auf der anderen Seite gewünscht sind.In diesem Kontext führen vor allem auch der Missbrauch von Big-Data-Korrelationen sowie die Konzentration in Datenmonopolen zu gesamtgesellschaftlichen und individuellen negativen Folgen. Diese Schattenseiten von Big Data sollten zu transparenten und verbindlichen Regeln und einer breiten Diskussion über die Chancen und Grenzen der neuen schönen Datenwelt führen.—-Frank Romeike ist geschäftsführender Gesellschafter der RiskNET GmbH und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Risikomanagement und Regulierung e.V; Andreas Eicher ist Chefredakteur beim Kompetenzportal RiskNET. Der Beitrag wird demnächst im Jahrbuch 2016 des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung erscheinen (www.firm.fm).In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Frank Romeike und Andreas EicherDie modernen Orakel unserer digitalen und vernetzten Zeit heißen Big Data und Datenanalysen.——-