Prokon bewältigt Vergangenheit mit 500-Mill.-Euro-Bond
– Herr Wuttke, Herr Dr. von Stechow, was hat Sie gereizt, Vorstand bei Prokon zu werden?Wuttke: Prokon verfügt über ein Kerngeschäft, das vor der Insolvenz gut funktioniert hat und auch nicht der Auslöser dafür war. Diese Geschäftsbereiche werden auch in Zukunft gut laufen. Unser Unternehmen hat mit der Projektentwicklung, dem Betrieb von Windparks einschließlich der technischen Betriebsführung und mit dem Stromhandel großes Potenzial. Dieses auszuschöpfen, finde ich reizvoll.Von Stechow: Attraktiv ist es auch, das Geschäftsmodell der Genossenschaft in der Energiewirtschaft noch fester zu verankern. Gerade eine Energiegenossenschaft ist in der Lage, die Energiewende dezentral und bürgernah in der Fläche umzusetzen und ihren Mitgliedern langfristig gegebenenfalls eine maßvolle Rendite zu bieten.- Ist es nicht riskant, neu in ein Unternehmen zu kommen, das gerade ein Insolvenzverfahren hinter sich hat?Wuttke: Prokon ist mit einem sehr guten Ansatz aus dem Insolvenzverfahren herausgekommen, der Insolvenzverwalter hat gute Arbeit geleistet. Die Rahmenbedingungen in Deutschland sind mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stabil, auch wenn dieses mit neuen Herausforderungen wie dem Ausschreibungsverfahren gerade verändern wird. Mit unserem genossenschaftlichen Ansatz sehen wir da mehr Chancen als Risiken.- Beschäftigen Sie sich noch mehr mit der Vergangenheit des Unternehmens, oder können Sie sich voll und ganz auf die Zukunft und das Geschäft von Prokon konzentrieren?Von Stechow: Wir werden uns auch weiterhin zu einem gewissen Anteil nicht nur mit der Zukunft, sondern auch mit der Vergangenheit beschäftigen. Der Insolvenzplan ist umzusetzen, wozu die Emission der angekündigten 500-Mill.-Euro-Anleihe gehört. Wir werden diese Anleihe über 15 Jahre tilgen und Zinsen zahlen. Aber zugleich richten wir unseren Fokus auf die neue Prokon und das Neugeschäft.Wuttke: Es gibt auch einen positiven Teil der Historie, der in die Zukunft reicht. Prokon hat Anlagen mit einer Kapazität von 557 Megawatt im Eigenbestand. Dies ist das Rückgrat des Unternehmens. Diesen Bestand und die Kapazitäten wollen wir weiter ausbauen.- Ist Prokon mit knapp 300 Mitarbeitern heute richtig aufgestellt?Von Stechow: Ja. Die neue Prokon konzentriert sich auf ihr Kerngeschäft, zu welchem die aktuelle Mitarbeiterzahl gut passt. Prokon hat heute eine gute Kostenstruktur, die wir auch mit Blick auf die veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen erhalten wollen. Wenn wir so wachsen, wie wir es uns vorstellen, werden wir mittel- bis langfristig zusätzliche Mitarbeiter einstellen.- Kommen wir zur Anleihe: Wie viele und welche Gläubiger beziehungsweise ehemalige Inhaber von Genussrechtskapital werden bedient?Von Stechow: Es handelt sich technisch gesprochen um Gläubiger der Gruppen 1 und 2, wie im Insolvenzplan festgelegt. Gläubiger der Gruppe 1 sind diejenigen, die zugestimmt haben, dass ein Teil ihrer Forderungen in Genossenschaftsanteile umgewandelt wurde. Zur Gruppe 2 gehören jene, die keine Forderungen in Genossenschaftsanteile umgewandelt haben, sondern über die Anleihe und eine Barauszahlungsquote bedient werden. Diese beiden Gruppen können jetzt die Anleihe beziehen. Es handelt sich um etwa 63 000 Bezugsberechtigte. Insgesamt hatte Prokon vor dem Insolvenzverfahren rund 75 000 Gläubiger.- Wie hoch ist die Insolvenzquote? Und welcher Anteil wird von der Anleihe abgedeckt?Von Stechow: Von 100 Euro, die ein Genussrechtskapital-Gläubiger in Prokon investierte, wurden 23,3 % durch Umwandlung in Geschäftsguthaben bedient beziehungsweise stellen die Barauszahlungsquote dar. 34,5 % der Forderungen werden bedient durch das Recht, die Anleihe zu beziehen. Gemäß der Planung werden die Anleihegläubiger am Ende also mit einer Erstattung von knapp 60 % ihrer ursprünglichen Forderungen rechnen können. Das ist eine vergleichsweise gute Quote.- Gibt es eine Erwartung, wie viele Gläubiger die Anleihe zeichnen werden?Von Stechow: Wir gehen davon aus, dass der größere Teil der Bezugsberechtigten die Anleihe auch zeichnen wird. Es gibt auch ein öffentliches Angebot neben dem Bezugsrecht: Jeder, der möchte, kann über seine Depotbank die Prokon-Anleihe zeichnen. Die Erwerbsfrist endet am 21. Juni, von Juli an ist die Anleihe handelbar.- Wie sieht es aus für diejenigen, die nicht zeichnen wollen?Von Stechow: Diejenigen, die das Angebot nicht annehmen, bekommen nach dem Insolvenzplan einen Verwertungserlös abzüglich Verwertungskosten. Aufgabe der neuen Prokon ist es, die nicht bezogenen Anleihen im Markt zu veräußern. Dafür haben wir zwölf Monate Zeit. Der dabei erzielte Erlös abzüglich Kosten wird an diese Gläubiger ausbezahlt.- Die Anleihe ist mit einem Kupon von 3,5 % pro Jahr ausgestattet und hat eine Laufzeit von 15 Jahren. Was macht Sie sicher, dass Zins- und Tilgungslast der Anleihe über die Laufzeit zu stemmen sind?Von Stechow: Es gibt Gründe, die für den Bezug der Anleihe sprechen. Der Insolvenzverwalter hat geprüft, welche Zins- und Tilgungslast der neuen Prokon durch die Bestandswindparks, im Wesentlichen aus Windparks in Deutschland, für welche die Vorgaben des EEG 2012 beziehungsweise früherer EEGs gelten, zuzumuten ist. Auf dieser Basis wurde die Anleihe strukturiert. Die Zahlungsflüsse sind auf Basis des EEG kalkulierbar.- Wie verhält sich die Belastung durch die Anleihe zur Ertragslage?Von Stechow: 2015 hat Prokon ein operatives Ergebnis vor Abschreibungen (Ebitda) von rund 66 Mill. Euro verbucht. Bei einer Tilgungsrate von 7,2 % pro Jahr und einer Verzinsung von 3,5 % Zinszahlung fällt bei einem Anleihevolumen von 500 Mill. Euro anfänglich eine Belastung von rund 55 Mill. Euro an, die in den Folgejahren immer geringer wird. Es bleibt entsprechend ein Puffer für die Fortentwicklung unseres Geschäfts. Das stimmt uns positiv.- Die Lasten durch die Anleihe werden die neue Prokon nicht erdrücken?Von Stechow: Nein, davon ist nicht auszugehen. Gerade in den Anfangsjahren haben wir ein hohes Maß an Visibilität. Wir werden die Zins- und Tilgungszahlungen aus dem laufenden Cash-flow leisten.- Die Gewinn-und-Verlust-Rechnung ist nach dem Rumpfgeschäftsjahr 2015 noch nicht sehr aussagekräftig. Müssten Sie die Anleihe nicht höher verzinsen?Von Stechow: Eine Verzinsung von 3,5 % ist im gegenwärtigen Marktumfeld nicht schlecht. Es handelt sich um eine mit den Windparks besicherte Anleihe. Prokon hat vor der Insolvenz mit hohen Zinsversprechen schlechte Erfahrungen gemacht. Die Anleihe ist ordentlich, aber zugleich moderat verzinst.- Was bedeuten die gerade von der Bundesregierung beschlossene Reform des EEG und die Änderungen bei der Förderung der regenerativen Energien für die Ertragslage von Prokon?Wuttke: Wir werden uns im Neugeschäft auf das Ausschreibungsverfahren einstellen und uns dem verschärften Wettbewerb bei einzelnen Projekten stellen. Laut Bundesregierung sollen Projekte mit bis zu 2 800 Megawatt pro Jahr ausgeschrieben werden. Das ist weniger, als der Markt hergibt, und weniger, als sinnvoll wäre. Aber wir glauben, dass wir als einer der größeren Teilnehmer im Markt sehr gut aufgestellt sind. Wir haben unsere Einkaufs- und Betriebskosten im Blick und verfügen mit unseren Erfahrungen über eine gute Kalkulationsbasis.- Die EEG-Reform hat keine negativen Auswirkungen auf die Bedienung der Anleihe?Wuttke: Nein, sofern sich die Änderungen nicht rückwirkend negativ auf die Bestandswindparks auswirken. Das können wir derzeit aber nicht erkennen.- Kommen wir zum operativen Geschäft: Welche Ergebnisentwicklung erwarten Sie 2016? Wird die Gewinn-und-Verlust-Rechnung noch belastet von der Insolvenz?Von Stechow: Wir erwarten 2016 ein positives operatives Ergebnis bei Erlösen von 115 bis 125 Mill. Euro. Es ist noch zu früh, um zu prognostizieren, dass wir auch unter dem Strich einen Gewinn vorweisen werden. Das ist aber unser Ziel. Die Insolvenz spielt insofern eine Rolle, als dass wir latente Steuern beachten müssen, die sich aus der Umwandlung in eine Genossenschaft ergeben haben. Das wird uns noch eine Weile beschäftigen. Die Auswirkungen der Insolvenz auf unsere GuV werden aber stetig abnehmen.- Mit welchen Ergebnissen ist in den Folgejahren zu rechnen? Wie sehen Ihre Pläne für Ausschüttungen aus?Von Stechow: Wir gehen in unserer Planung davon aus, mittelfristig einen Jahresüberschuss zu erwirtschaften. Dann würden wir auch mit unseren Mitgliedern über eine Ausschüttung reden. Wir sind durch die Anleihebedingungen allerdings verpflichtet, zuerst die Anleihe zu bedienen.- Ab wann leisten Sie Zinszahlungen, wann beginnt die Tilgung?Von Stechow: Die erste Zinszahlung wird am 12. Oktober 2016 erfolgen. Zum ersten Mal tilgen werden wir im Juni 2017. Ab dann erfolgen die Zahlungen jährlich im Juni – bis zum Jahr 2030.- Ist Prokon, was die Geschäftsfelder angeht, für die Zukunft richtig aufgestellt?Wuttke: Im Insolvenzverfahren wurde, wie das üblich ist, geprüft, in welchen zukunftsträchtigen Geschäftsfeldern das Unternehmen tätig sein kann. Bei uns war und ist die Projektentwicklung ein Kerngeschäftsfeld. Prokon verfügt über 20 Jahre Knowhow. Ein weiteres Kerngeschäftsfeld ist der Betrieb und die technische Betriebsführung von Windparks. Dieses Geschäft wollen wir ausweiten, indem wir auch als Dienstleister auftreten werden für andere Unternehmen wie Bürgerenergiegenossenschaften und Stadtwerke, die mit uns kooperieren. Wachsen wollen wir auch im Stromhandel, mit dem wir den Bürger direkt erreichen. Auf ein komplett neues Geschäftsfeld müssen und werden wir uns aber nicht begeben.- Gibt es noch Altlasten und nichtstrategische Geschäfte, von denen Sie sich trennen wollen?Wuttke: Die Produktion einer Windkraftanlage ist für uns als Genossenschaft kein Thema mehr. Wir werden eher strategische Allianzen bilden mit Unternehmen, die die Turbinenherstellung beherrschen.Von Stechow: Durch die Fokussierung auf das Kerngeschäft entstehen keine Belastungen für die Ertragslage. Allerdings verfolgen wir – wie andere betroffene Wettbewerber auch – aufmerksam die politische Entwicklung in Polen, wo wir derzeit mit zehn Windparks und einer Gesamtkapazität von 90 Megawatt vertreten sind. Die neue Regierung verfolgt eine eigene Strategie im Umgang mit erneuerbaren Energien und hat neue Gesetzesinitiativen gestartet.- Macht Ihnen der energiepolitische Kurswechsel in Polen Sorgen?Von Stechow: Polen ist inzwischen eine zusätzliche Herausforderung. Wir gehen davon aus, dass die wesentlichen Auswirkungen der neuen Politik im Bereich der Projektentwicklung liegen werden, hier müssen wir mit Abschreibungen im oberen einstelligen Millionenbereich rechnen. Diese Maßnahme wird sich entsprechend auf das Ergebnis von Prokon im laufenden Geschäftsjahr auswirken. Da die Abschreibung nicht zahlungswirksam ist, wird unsere Liquidität jedoch nicht reduziert. Auswirkungen auf den Wert unserer derzeitigen Bestandsanlagen sind aus heutiger Sicht jedoch nicht zu erwarten.- Könnte ein Rückzug aus Polen in Betracht kommen?Wuttke: Es gibt derzeit keinen Anlass, unser Engagement in dem Land in Frage zu stellen. Insbesondere weil wir dort mit 90 MW eine vernünftige Kapazität betreiben.- Wie ist die Neugeschäftsentwicklung insgesamt, und welche Erwartungen haben Sie in diesem Jahr?Von Stechow: In den Bestandswindparks dürften wir wie geplant sehr stabil bleiben. Bei der Projektentwicklung gehen wir davon aus, dass wir in diesem Jahr noch Genehmigungen von bis zu 100 Megawatt erhalten werden. Diese Anlagen werden nach jetziger Planung erfreulicherweise alle auf Basis des alten EEG vergütet. Bis Ende 2017 können wir die installierte Kapazität in Deutschland auf dieser Basis erhöhen. In Polen ist in Anbetracht der neuen Gesetzgebung nicht mit neuen Projekten zu rechnen, beim Bestandsgeschäft erwarten wir eine Entwicklung wie geplant. Im derzeit noch kleinen Bereich Energiehandel wollen wir wachsen, um die Idee des Grünstromproduzenten, der auch Stromverkäufer ist, weiter in der Bevölkerung zu verankern.Wuttke: Der Energiehandel wird, was Umsatz und Ergebnis angeht, eine geringere Rolle spielen. Der Handel ist ein hart umkämpfter Bereich mit geringeren Margen. Aber mit unserer Aufstellung als Genossenschaft wollen wir innerhalb unserer Mitgliedschaft und darüber hinaus wachsen und neue Stromkunden gewinnen.- Denken Sie über eine Expansion in weitere Auslandsmärkte nach?Wuttke: Derzeit nicht, aber wir beobachten die Entwicklungen fortlaufend.- Haben Sie ausreichend Eigenkapital? Wie soll das Wachstum finanziert werden?Von Stechow: Unser Konzept sieht vor, dass wir bei der Projektentwicklung sogenannte Einzweckgesellschaften gründen und diese durch Projektfinanzierungen mit Kapital ausstatten. Das heißt, in diesen Projektgesellschaften wollen wir Dritte mit Mehr- oder Minderheitsbeteiligungen einbinden – im Wesentlichen Genossenschaften, Stadtwerke und andere.- Können Sie mit einer Eigenkapitalquote von 27 % gut leben?Von Stechow: Ja. Auf unserer Fremdkapitalseite haben wir die nun zu emittierende Anleihe, die schon zu Beginn der Genossenschaft angelegt war, sowie einen kleinen zweistelligen Mill.-Euro-Betrag an übrigen Verbindlichkeiten. Pläne für eine neue Aufnahme von weiterem Fremdkapital gibt es nicht. Der Insolvenzplan erlaubt aber noch eine Grundsatzvereinbarung mit Banken für eine Betriebsmittellinie von knapp 50 Mill. Euro. Einen entsprechenden Vertrag wollen wir in Kürze unterzeichnen.- Prokon gehört als Energiegenossenschaft derzeit rund 38 000 Mitgliedern. Welche Basis halten Sie für erforderlich?Wuttke: Wir wollen unsere Mitgliederbasis erweitern. Wir sind die größte Energiegenossenschaft in Deutschland. Wir wollen die Energiewende vor Ort fördern. Dazu würden wir gern Partner von Bürgerenergiegenossenschaften und anderen werden. Zugleich wollen wir jüngere Menschen, die ein großes Interesse an erneuerbaren Energien haben, als Mitglieder gewinnen. Von ihnen erhoffen wir uns neue Impulse. Um sie zu gewinnen, müssen wir eine geeignete Form der Ansprache finden. In fünf bis sieben Jahren sollte Prokon mehr als 100 000 Mitglieder haben.- Sie suchen junge Mitglieder, weil das Durchschnittsalter Ihrer derzeitigen Mitglieder hoch ist? Wie wollen Sie neue Mitglieder gewinnen?Von Stechow: Die Idee, dass wir ein grüner, mittelständischer Energieversorger sind, der auf Augenhöhe mit Bürgern die Energiewende fördern will, ist für breite Bevölkerungsschichten und junge wie alte Menschen attraktiv. Dass wir als Genossenschaft über einen demokratischen Entscheidungsprozess verfügen, stärkt die Akzeptanz unseres Geschäftsmodells zusätzlich. Unsere Aufgabe in den kommenden Monaten ist es, uns auf breiter Ebene bekannt zu machen und unser Geschäftsmodell und unsere Ziele zu erklären. Wer sich für die Energiewende einsetzen will, für den bietet Prokon als hundertprozentig grüner Energieerzeuger ein überzeugendes Modell.- Wie wird dann die Eigenkapitalausstattung von Prokon aussehen?Von Stechow: Es ist davon auszugehen, dass wir in den kommenden Jahren schrittweise das Geschäftsguthaben – über Gewinnthesaurierungen und Einzahlungen neuer Mitgliedsbeiträge – und damit die Eigenkapitalquote erhöhen werden. Dazu wird auch die schrittweise Tilgung der Anleihe beitragen. Aus geschäftlichen Gründen ist eine Eigenkapitalstärkung derzeit nicht erforderlich.- Könnten Übernahmen ein Thema werden?Von Stechow: Dass wir Dritte übernehmen, sieht unsere Mittelfristplanung nicht vor. Auf Basis unserer genossenschaftlichen Struktur ist es zugleich ausgeschlossen, dass wir übernommen werden. Wir werden jedoch versuchen, Partner für unsere Windparkgesellschaften zu finden.—-Das Interview führte Carsten Steevens.