Prüferzunft wiegelt im Fall Wirecard ab

Kammerpräsident warnt vor "Vorverurteilung" und mahnt "gründliche Aufarbeitung" an - Intransparente Berufsaufsicht

Prüferzunft wiegelt im Fall Wirecard ab

Die Wirtschaftsprüferkammer warnt mit Blick auf den Wirecard-Skandal vor blindem Aktionismus auf politischer Ebene. Der Fall müsse gewissenhaft aufgearbeitet werden, bevor Reformen auf den Weg gebracht würden. Viele Vorschläge für gesetzliche Verschärfungen seien nicht neu und nicht zielführend, meinen Branchenvertreter.swa Frankfurt – Die Wirtschaftsprüferkammer wendet sich gegen politische Schnellschüsse als Reaktion auf den Wirecard-Skandal. Der Reputationsschaden in der Branche sei immens, der Berufsstand müsse sich aber gegen “pauschale Vorurteile” wehren, sagt Kammerpräsident Gerhard Ziegler. “Der Fall muss gründlich aufgearbeitet werden. Mögliche Maßnahmen können aber erst diskutiert werden, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen.” Der Berufsvertreter warnt vor “Vorverurteilungen” und “vorschnellen Schlüssen”, auch bei Reformen. In Deutschland würden jährlich mehr als 40 000 Jahresabschlüsse geprüft, davon sei nun einer mutmaßlich “kriminell”, versucht die Branche abzuwiegeln.Die Prüferkammer will sich aktiv in Regulierungsvorhaben einbringen. Dass die Bundesregierung bereits Mitte Juli Ergebnisse für mögliche Reformen vorlegen will, sehen die Berufsvertreter kritisch. “Hauruck-Entscheidungen” halten sie für unangebracht. Ziegler lehnt einige der Regulierungsvorschläge ab. “Es sind immer wieder die gleichen Argumente”, moniert er. So habe ein Nebenher von Prüfung und Beratung im Fall Wirecard aus seiner Sicht keine Rolle gespielt. Die Abschlussprüfer von kapitalmarktorientierten Unternehmen seien nach den jüngsten EU-Reformen in ihrer Beratungstätigkeit schon nach geltendem Recht “weitreichend beschränkt”.Im Abschlussprüferreformgesetz aus dem Jahr 2016 ist nicht nur die Pflicht zur externen Prüferrotation eingeführt worden, die EU-Verordnung stellte zudem eine “Blacklist” verbotener Beratungen auf und setzt eine Honorargrenze für Dienste außerhalb der Abschlussprüfung. Wirecard hatte im Abschluss 2018 ein Abschlussprüferhonorar für EY von 2,1 Mill. Euro ausgewiesen, für sonstige Leistungen waren 0,3 Mill. vergütet worden, so dass dem Zahlungsdienstleister in Summe 2,3 Mill. Euro in Rechnung gestellt wurden.Die Prüferkammer hält sich mit eigenen Vorschlägen für Reformen noch zurück. Die Abschaffung der gesetzlichen Haftungsobergrenze von bislang 4 Mill. Euro erachtet Ziegler nicht als zielführend. Das würde nach seiner Einschätzung die Marktkonzentration beschleunigen. Sinnvoll könnte es aus seiner Sicht sein, dass der Abschlussprüfer die Rechnungslegung beim Mandanten stärker übers Jahr in einem laufenden Prozess unter die Lupe nimmt und nicht erst nach Ende des Geschäftsjahres. Der Prüfer könnte auch mehr Augenmerk darauf legen, wie intensiv sich der Aufsichtsrat mit dem Jahresabschluss befasst. Der Aufsichtsratschef von Wirecard wird aus Sicht der Prüferkammer in der Aufarbeitung des Skandals in der Öffentlichkeit erstaunlich wenig in die Pflicht genommen.In der Frage, ob EY in ihrer Tätigkeit bei Wirecard Berufspflichten verletzt hat, ist die staatliche Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) gefordert. Sie beaufsichtigt anders als die Kammer Abschlussprüfer von börsennotierten Unternehmen. Die unabhängige Behörde ist nach Bilanzskandalen und Finanzmarktkrise auf Betreiben der EU 2016 eingerichtet worden, damals aber organisatorisch nicht bei der BaFin, sondern ins Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) eingegliedert worden. Auch in den USA war mit dem Sarbanes-Oxley-Act das Public Company Accounting Oversight Board (PCAOB) unabhängig von der Börsenaufsicht SEC geschaffen worden.Die Apas schaut sich präventiv in Inspektionen regelmäßig an, ob die internen Systeme zur Qualitätssicherung in den Prüferpraxen in Ordnung sind. Dabei greift die Stelle auch einzelne Jahresabschlüsse auf, um zu beurteilen, ob die Abschlussprüfung mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt wurde. Daneben ermittelt die Apas wie jetzt im Fall Wirecard bei konkreten Anhaltspunkten für Berufspflichtverletzungen. Die Sanktionen reichen von der Rüge bis zum Berufsverbot.Die Ergebnisse der oft lange dauernden Berufsaufsichtsverfahren werden mitgeteilt, allerdings anonym. Hier ist die BaFin teilweise transparenter. Sie hatte immerhin im April 2019 bekannt gegeben, dass sie eine Geldbuße von 1,52 Mill. Euro gegen Wirecard verhängt hat, weil das Unternehmen seinen Halbjahresbericht 2018 nicht rechtzeitig eingereicht habe. Man muss allerdings auch hier ins Kleingedruckte schauen, um zu erkennen, dass es der Wirecard-Vorstand versäumt hatte, den Bilanzeid unter den Zwischenbericht zu setzen. Auch die Verpflichtung zum Bilanzeid war eine Reaktion des Gesetzgebers auf Bilanzskandale. Darin erklärt der Vorstand mit seiner Unterschrift, dass der Abschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft vermittelt. Für die Zurückhaltung, in Aufsichtsverfahren Ross und Reiter zu nennen, bringt die Kammer Verständnis auf. Es wolle nicht jeder “gleich seinen Namen in der Zeitung finden”. Zudem seien die Prüfer zum Schweigen verurteilt und könnten sich öffentlich nicht zu kritischen Fällen äußern – es sei denn, der Mandant entbinde sie von der Schweigepflicht. Immerhin gibt es seit einigen Jahren die Möglichkeit, dass Aktionäre nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Einsicht in die Prüfungsberichte erhalten, die sonst nur der Aufsichtsrat zu sehen bekommt. Rückendeckung für EYAnleger müssen sich in dem Szenario erst einmal ihren eigenen Reim machen. Die Aktionärsvereinigung SdK hat angekündigt, auf Hauptversammlungen “zunächst” gegen die Bestellung von EY stimmen zu wollen. Nach einer Umfrage der Börsen-Zeitung wollen die sieben Dax-Konzerne an ihrem Prüfer EY festhalten. Die vier großen global tätigen Prüfungsgesellschaften hatten alle schon Bilanzskandale am Hals. Die Aktionärsdienstleister Glass Lewis und ISS wollten sich auf Anfrage von Reuters nicht zu ihrer Haltung zu EY äußern. EY war zuletzt in Ausschreibungen sehr erfolgreich und gewann unter anderem die Mandate von Deutscher Bank und – nun außerhalb des Dax – Commerzbank. Bei VW steht der HV-Beschluss noch aus.