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Rauchende und rollende Köpfe in der Verlagswelt

Börsen-Zeitung, 30.8.2014 Was lesen Sie am Wochenende - außer dieser Kolumne? "Zeit", "Welt am Sonntag", "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", "Spiegel", "Focus"? Gedruckt als Zeitung beziehungsweise Zeitschrift oder nur online? Oder weder noch,...

Rauchende und rollende Köpfe in der Verlagswelt

Was lesen Sie am Wochenende – außer dieser Kolumne? “Zeit”, “Welt am Sonntag”, “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung”, “Spiegel”, “Focus”? Gedruckt als Zeitung beziehungsweise Zeitschrift oder nur online? Oder weder noch, und Sie stöbern in Internetforen oder sind in sozialen Netzwerken unterwegs? Falls Sie glauben, dass dies doch niemanden interessiere, dann irren Sie. Genau diese Fragen beschäftigen aktuell die Verlagsbranche in nicht gekannter Weise, von den Verlagsmanagern über die Chefredakteure bis hin zu den Redaktionsmannschaften. Kommen und GehenZwar neigt die Branche traditionell zur Selbstbespiegelung, aber so viel Aufruhr wie aktuell gab es selten in den Verlagshäusern und Redaktionen. Nicht nur, dass sich drei Kollegen der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” jüngst über drei volle Seiten hinweg unter dem bezeichnenden Titel “In eigener Sache” Gedanken über die Zukunft der Zeitung machten und der Branche bescheinigten, den Abmarsch ins digitale Zeitalter verschlafen zu haben. Die schwer zu beantwortende Frage, wie denn die traditionelle Print- und die Online-Welt technisch, inhaltlich und betriebswirtschaftlich erfolgreich unter ein Verlags- oder Redaktionsdach passen, lässt derzeit Köpfe rauchen und auch Köpfe rollen. Bei “Wirtschaftswoche”, “Stern” und “Focus” sind gerade Knall auf Fall die Chefredakteure ausgetauscht worden – beim “manager magazin” schon vor einem Jahr. Und beim “Spiegel” steht der neue Chefredakteur Wolfgang Büchner nach redaktionsinternem Aufstand vor der Herkulesaufgabe, Print und Online gegen große Widerstände in der Mannschaft zusammenzuführen, als Produkt und in der Redaktion. Ein Thema, das in den vergangenen Tagen nicht nur die Medienseiten der deutschen Presse füllte. Print versus OnlineHintergrund der aktuellen Konfrontationen sind der anhaltende Anzeigen- und Auflagenschwund vieler Printpublikationen und der bisher nur in wenigen Verlagen erfolgreich gelungene Umstieg in digitale Geschäftsmodelle. Exemplarisch sei an den dieser Tage angekündigten Stellenabbau bei der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr erinnert (vgl. BZ vom 28. August). In dem führenden deutschen Zeitschriftenhaus (“Stern”, “Brigitte”, “Geo”) sollen wegen des rückläufigen Printgeschäfts in den nächsten drei Jahren 400 der heute noch 2 400 Stellen gestrichen werden. Am “Spiegel”, wo unter dem Motto “Spiegel 3.0” die enge Verzahnung von Print und Online ausgerufen wurde, hält Gruner + Jahr 25,5 %. Größter Gesellschafter ist dort aber mit 50,5 % der Anteile die Mitarbeiter KG. Deren Anteile halten freilich nur Mitarbeiter der gedruckten Ausgabe, nicht aber Online-Redakteure. Ein Anachronismus, gewiss, der nicht gerade zum Zusammenwachsen von Print und Online beiträgt, zumal die Online-Kollegen dort auch noch schlechter bezahlt werden als die Print-Mitarbeiter. Niedergang des “Spiegel”Aber dieser Anachronismus passt zur Entwicklung des Magazins in den vergangenen Jahren, insbesondere zur verloren gegangenen gesellschaftlichen und politischen Relevanz. Es will schon was heißen, dass der “Spiegel” mit historischen Titelgeschichten – aktuell “Die Akte Auschwitz” – noch die besten Verkaufserfolge erzielt. Und es spricht für sich, dass die “Bild”-Zeitung zum Führungskräftereservoir der Spiegel-Chefredaktion geworden ist. Übertroffen im Niedergang als politisches Magazin nur noch vom “Focus”, wo Titelgeschichten wie “So bleibt die Ehe glücklich” oder “Schöne Zähne, gesunde Zähne” noch zu den besseren zählen und man als potenzieller Leser jenen Tagen nachtrauert, als Gründer-Chefredakteur Helmut Markwort in Fernsehspots mit “Fakten, Fakten, Fakten” die Kollegen aus Hamburg herausforderte. Fehlende ExzellenzWährend Verlagsmanager unter dem Druck wegbrechender Anzeigen- und Vertriebserlöse die Schuldigen gerne in den Chefredaktionen ausmachen und den eben noch hoch gelobten und oft erst kürzlich an Bord geholten Chefredakteur durch den nächsten Hoffnungsträger ersetzen, drehen ausrangierte Chefredakteure den Spieß um – wenn sie es sich denn leisten können.Den Verlagen fehle es an “operativer Exzellenz”, konterte jetzt der frühere Chefredakteur des “Handelsblatts”, Bernd Ziesemer, wobei er offen ließ, ob er damit auch seinen ehemaligen Arbeitgeber meinte. Ziesemer wird wissen, wovon er spricht, wenn er feststellt: “Was Vermarktung betrifft, was Eigenwerbung betrifft, was die Einführung neuer technischer Prozesse betrifft, sieht es in ganz, ganz vielen Verlagen in Deutschland ziemlich finster aus.” Ausnahme “Economist”Ach ja, ehe ich es vergesse: Ich lese neben dem eigenen Blatt am Wochenende gerne den Economist, der immer freitags erscheint. Auf Papier oder – wenn ich unterwegs bin – als ePaper auf dem iPad. Diese Wochenzeitschrift steht für ein einfaches Erfolgsrezept, mit dem sie in den zurückliegenden zehn Jahren ihre Auflage verdoppelte, auf inzwischen 1,4 Millionen Exemplare weltweit: Relevante Themen, übersichtliches Layout mit mehr Text als Bild und eher kleinen Überschriften, aber immer auf den Punkt.Wie im aktuellen Heft, wo schon das Titelbild mehr sagt als tausend Worte (und die Geschichte im Blatt auf einer Seite Platz findet): Ein zum Schiffchen gefalteter 20-Euro-Schein auf ruhiger See, trotzdem mit bedenklicher Schieflage, quasi kurz vor dem Kentern, im Schiff François Hollande (in staatsmännischer Pose), Angela Merkel (in türkisfarbener Jacke, angestrengt lächelnd) und Matteo Renzi (andächtig in zweiter Reihe, mit Eiswaffel in der Hand), und hinten im Boot kniend Leichtmatrose Mario Draghi, mit verbissener Miene eifrig Wasser schöpfend. Titel: That sinking feeling (again).c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus Döring Wegbrechendes Anzeigengeschäft und sinkende Auflagen: Viele Verlage stehen dem digitalen Wandel hilflos gegenüber.——-