Rauer Wind am M&A-Markt

Deglobalisierung sowie politische und regulatorische Einflüsse belasten - Deals werden komplexer - Aktivisten auf dem Vormarsch, Private Equity auf der Lauer

Rauer Wind am M&A-Markt

Von Walther Becker, FrankfurtFrostiger Deal gegen Jahresende: Nestlé stößt ihre Speiseeismarken in den USA, zu denen auch Häagen-Dazs zählt, für 4 Mrd. Dollar ab. Es ist keine Plain-Vanilla-Transaktion, denn der Erwerber gehört dem Schweizer Konzern und dem französischen Finanzinvestor PAI Partners. Nach schwachen Monaten ist am Ende doch noch einiges in Bewegung gekommen in der Übernahmeszene: Die österreichische AMS kommt im zweiten Anlauf bei Osram zum Zuge. Und Delivery Hero sichert sich für 3,6 Mrd. Euro den südkoreanischen Essenslieferdienst Woowa.M&A ist in Zeiten von Deglobalisierung, schwer bewertbaren Zielen in digitalen Technologien, steigendem Aktionärsaktivismus und enorm erhöhtem regulatorischem und politischem Druck komplexer geworden – um es vorsichtig auszudrücken. Vor allem aber fehlen die wirklich großen Transaktionen. Immerhin ist Private Equity mit enormen, von Investoren zugesagten, aber noch nicht investierten Mitteln auf der Pirsch. Insofern hat das vierte Quartal Bewegung gebracht. Nachdem Hellman & Friedman (H&F) und Blackstone im Frühjahr mit einem zu niedrigen Angebot daran gescheitert waren, Scout24 wieder von der Börse zu nehmen, kommt im Dezember H&F wenigstens bei Autoscout für 2,9 Mrd. Euro zum Zuge – hier hatte der Aktionärsaktivist Elliott Dampf gemacht, den Online-Portalbetreiber zu zerschlagen. Und es gibt Rückschläge. War früher im Jahr der Schulterschluss von Deutscher Bank und Commerzbank geplatzt, so scheiterten die “Gelben” dann auch zunächst mit ihrem Versuch, die Tochter Comdirect ganz an sich zu ziehen. Am deutschen Immobilienmarkt sind unterdessen zwei komplexe Deals eingefädelt worden: der “Reverse Takeover” von Adler Real Estate durch Ado Properties mit der Einbeziehung des Projektentwicklers Consus und die Übernahme der TLG durch Aroundtown, womit Letztere nach einem sagenhaften Aufstieg zum führenden Gewerbeimmobilienwert Europas wird.Doch das M&A-Jahr hat keine transformatorischen Deals wie zuvor etwa die Zerschlagung von Innogy durch Eon und RWE (Volumen allein 54 Mrd. Dollar) oder Vodafone/Unitymedia gesehen. Einzig der Halbleiterdeal von Infineon mit Cypress überschritt gerade so die Marke von 10 Mrd. – doch nur in Dollar. Und die Akquisition ist nicht in trockenen Tüchern, denn es stehen US-Genehmigungen aus. Immerhin ist das vierte Quartal mit 52 Mrd. Dollar mit deutscher Beteiligung das stärkste des Jahres gewesen, in das der Markt mit lediglich 24,6 Mrd. in den ersten drei Monaten gestartet war.Transaktionen in zweistelliger Milliardenhöhe werden auch für 2020 wenige erwartet – abgesehen von den Thyssenkrupp-Aufzügen, die es auf eine Bewertung von 15 Mrd. Euro bringen sollen. Zunehmende Regulatorik wie Außenwirtschaftsgesetze allenthalben, politische Auseinandersetzungen und Protektionismus beinträchtigen grenzüberschreitende Transaktionen stark. Dies belastet die “boardroom confidence”, also das Vertrauen von Vorständen und Aufsichtsräten als Grundvoraussetzung für Deals.Doch trotz der zunehmenden Besorgnis gerade unter deutschen Managern wächst der Übernahmeappetit: 65 % der von EY befragten Unternehmen in Deutschland planen, in den nächsten zwölf Monaten Zukäufe zu tätigen – der höchste Wert seit 2010, als die Beratungsgesellschaft ihr Capital Confidence Barometer erstmals erstellte. Protektionismus belastet Die Hürden sorgen dafür, dass Fusionen von Unternehmen aus den drei Wirtschaftsblöcken seltener werden und der Genehmigungsprozess länger dauert. Chinesen sind im Westen fast komplett als Käufergruppe ausgefallen, Japaner investieren eher erratisch. “Die M&A-Welt wird zusehends deglobalisiert”, beobachtet Holger Knittel, Leiter der Fusionsberatung der Citi im deutschsprachigen Raum.Die immer stärker verlangten Local-Content-Erfordernisse belasteten gerade exportorientierte Konzerne, die teilweise Produkte und Technologien nicht mehr einheitlich anbieten können. Die Politik hat den M&A-Markt zunehmend im Griff. Die Angst vor Kompetenz- und Technologieabfluss führt in vielen Ländern zu verstärktem Protektionismus, der Übernahmen aus dem Ausland erschwert. Auch in Europa “erweisen sich die verschärfte Regulatorik und eine aufwendige Fusionskontrolle als Hemmschuh”, bedauert Joachim Ringer, Leiter Investment Banking Credit Suisse in Deutschland. Auch das verhaltene Wirtschaftswachstum sei “eher ein Dealbreaker als ein Dealmaker”.Zu Beginn des Jahres waren Public-to-Private-Deals in aller Munde. Doch Scout24, Osram im ersten Anlauf und Metro scheiterten. Und der Lichtkonzern geht nicht an Private Equity, sondern an den strategischen Investor AMS. Allein der Einstieg von KKR bei Axel Springer ist geflogen – hier unterstützte Verlegerwitwe Friede Springer als starker Ankeraktionär das Vorhaben.Ein klarer Trend, der schon seit Jahren für Deals sorgt, wird auch 2020 den Markt dominieren: Nicht mehr der Aufbau von Imperien, sondern Divestments, die Trennung von Aktivitäten, die nicht mehr zum Kerngeschäft passen, stehen im Vordergrund. So trennt BASF das Öl- und Gasgeschäft von Wintershall Dea ab, hat das Pigmentgeschäft verkauft und kurz vor Jahresschluss auch die Bauchemie; Bayer und Lanxess trennen sich von dem Chemieparkbetreiber Currenta und Bayer von der Tiergesundheit. Zu Deals gezwungenBisher haben laut Ken Oliver Fritz, Deutschland-Chef der Investmentbank Lazard, Unternehmen M&A weitgehend freiwillig angestoßen; zunehmend müssten sie jedoch aktiv werden, weil sie von den Umständen gezwungen würden. “Von der Pflicht zur Kür und wieder zur Pflicht”, umschreibt er den Zyklus der vorigen zehn Jahre. Und es gilt für den M&A-Markt: Das “New Normal” ist deutlich komplexer und einzelfallbezogener. So erklärt Christoph Seibt, Gesellschaftsrechtler der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer: “Es werden nicht mehr nur Käufer und Verkäufer berührt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Interessengruppen, die durch Kommunikation, vor allem aber auch durch Begleitvereinbarungen und auf diesem Wege gewährter Wertbeiträge einzubeziehen sind. Es ist heute ein Multi-Stakeholder-Prozess.” Potenzielle Erwerber müssen für ihre Zielauswahl und im Übernahmeprozess stärker als früher nicht nur rechtliche, steuerliche und finanzielle Parameter im Blick haben, sondern auch Themen wie Nachhaltigkeit und insbesondere die Reputation des Objektes der Begierde.