Regulierung von Investoren im Gesundheitsmarkt – ein Sturm im Wasserglas?
Gesundheitsthemen nehmen in der Berichterstattung durch die Herausforderungen, vor die uns das Coronavirus stellt, einen stark erhöhten Stellenwert ein. Niemals zuvor haben gesundheitspolitische Themen derart große mediale Aufmerksamkeit erfahren wie während der Pandemie. Dabei geriet das frühere „Aufreger“-Themen der Regulierung von Finanzinvestoren in der Gesundheitsbranche allerdings in den Hintergrund. Womöglich zu Recht, wie jüngste Gutachten nun belegen.
Zur Erinnerung: Eins der Kernthemen der politischen Agenda von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war der Umgang mit Finanzinvestoren in der Gesundheits- und Pflegebranche. Seine deutlich geäußerten Zweifel zu Beginn seiner Amtszeit, wie „zweistellige Renditen von Finanzinvestoren“ zur „sozialen Idee“ der Gesundheitsversorgung passen, werden private Pflegeheimbetreiber und Private-Equity-Fonds nicht so schnell vergessen haben.
Von „Planwirtschaft“ und „Populismus“ war die Rede und der erwartbare Reflex von Wirtschaftsliberalen, dass kapitalintensive Branchen nun mal Wettbewerb benötigen, wurde ebenfalls bedient. Auch aus der anderen Richtung formierte sich Widerstand, vor allem jener, denen die (vermeintliche) Kampfansage nicht weit genug ging, allen voran die Kassenärztlichen Vereinigungen, die bis heute für eine Verschärfung der Regulierung von Finanzinvestoren trommeln.
Spahn ist damit souverän umgegangen; seine Regulierungsversuche hat er im freundlich, wenngleich missverständlich formulierten „Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung“ verpackt. Das TSVG ist seit Mai 2019 in Kraft und regelt keineswegs nur die Arztterminvergabe und die schonende Erweiterung von Kassenleistungen. Vielfältige Anpassungen des Sozialgesetzbuchs widmen sich daneben der Eindämmung des Einflusses von Kapitalinvestoren ohne medizinisch-fachlichen Bezug auf die vertragsärztliche Versorgung, insbesondere auf Medizinische Versorgungszentren (MVZ).
Anbieter nichtärztlicher Dialyseleistungen können seitdem z.B. nur noch fachbezogene Dialyse-MVZ gründen. Und in der ambulanten Zahnpflege gelten jetzt Planversorgungsquoten, um die faktische und weitgehend unkontrollierte Zugriffsmöglichkeit von Finanzinvestoren auf die ambulante zahnärztliche Versorgung einzuschränken.
Nicht zuletzt adressiert das TSVG damit auch die bekannten Fehlanreize der Arztniederlassung zulasten der Versorgung von Patienten im ländlichen und strukturschwachen Raum und zugunsten großstädtischer Standorte mit überdurchschnittlich einkommensstarker Bevölkerung. Letztere Gebiete sind für Finanzinvestoren besonders interessant (was indes auch für unternehmerisch denkende Zahnärzte gilt).
Seither stehen sich die Bewertungen derjenigen, die in den Bestimmungen einen ungerechten Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit sehen, mit den Meinungen derjenigen, denen die Regelungen nicht weit genug gehen, weiter teils unversöhnlich gegenüber.
Unter Fachpolitikern und Juristen war hingegen stets nahezu unstreitig, dass die Eingriffe durch das TSVG ausgewogen, angemessen und vor allem auf sachlicher Grundlage ausgestaltet sind: Das Bundesgesundheitsministerium verfügt mit dem sogenannten Sachverständigenrat über ein gesetzlich verankertes und institutionalisiertes Gutachtergremium. Deren Fachexperten hatten die Änderungsvorschläge mit vielfältigen statistischen Untersuchungen vorbereitet und begleitet, allerdings die wichtige Frage offen gelassen, ob die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen in MVZ von finanziellen Interessen der Investoren durch die bestehenden Regelungen ausreichend gewährleistet ist. Insbesondere war bislang nicht empirisch untersucht worden, ob ein Zusammenhang zwischen der Inhaberschaft eines MVZ und dessen medizinischer Versorgungsqualität in einer Weise besteht, dass der Gesetzgeber stärker eingreifen müsste.
Wenig überraschend sprachen sich Standesvertreter in der Ärzteschaft deshalb weiter dafür aus, den Zustrom von Finanzinvestoren in MVZ noch mehr zu begrenzen. Am lautesten waren ausgerechnet die weitgehenden Regulierungsforderungen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) zu vernehmen, jener Ärztegruppe also, deren Unabhängigkeitsinteressen durch das TSVG bereits überproportional Rechnung getragen wurde. Um ihre Forderungen nach weitergehender Regulierung zu untermauern und die offenen Fragen beantworten zu lassen, hat die KZBV ein Gutachten beim renommierten IGES-Institut in Auftrag gegeben. Das Bundesgesundheitsministerium hat die gleichen Fragen von einer Expertengruppe unter Führung des nicht weniger renommierten Prof. Andreas Ladurner bewerten lassen.
Ähnliche Ergebnisse
Die Ergebnisse beider Gutachten sind sich – bei gleichermaßen dünner Datenlage – erstaunlich ähnlich. Das Ladurner-Gutachten formuliert klipp und klar, dass der derzeitige regulatorische Rahmen für MVZ im Ganzen gesehen sachgerecht ausgestaltet ist. Aus rechtlicher und gesundheitsökonomischer Sicht bestehe kein Bedarf, weiter regulierend einzugreifen, um die Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen in MVZ vor sachfremden Einflüssen noch stärker zu schützen. Diese Grundsätze sollen auch für den zahnärztlichen Bereich gelten.
Dabei ist bemerkenswert, dass die Gutachter die angesprochene Quotenregelung außerordentlich kritisch bewerten: Es sei nicht erkennbar, dass von der ambulanten zahnärztlichen Versorgung größere Gefahren ausgingen als von der allgemein-ärztlichen Versorgung.
Auch Ärzte sind Unternehmer
Das IGES-Gutachten empfiehlt zwar eine weitere „Beobachtung“ der Entwicklung und regt weitere „gesetzliche Maßnahmen“ an. Grundlage dafür sind allerdings Auffälligkeiten im Leistungs- und Abrechnungsverhalten, die bislang lediglich behauptet, nicht aber bewiesen wurden. Das räumen auch die IGES-Gutachter ein, ebenso wie die Tatsache, dass es sich bei investorenbetriebenen MVZ immer noch um ein Randphänomen handelt.
Die größte Schwäche des IGES-Gutachtens aber liegt in der Tatsache, dass nicht-investorenbetriebene MVZ in vielen untersuchten Aspekten den investorenbetriebenen MVZ „stark ähneln“. Signifikante Unterschiede zwischen beiden Formen der Trägerschaft sind also nicht festzustellen.
Letzteres wiederum ist wenig überraschend; auch Ärzte sind Unternehmer. Das Vertrauen der Patienten in ihre Heilkunst und ihr besonderer Dienst an der Gemeinschaft kann trotz aller mitunter als „Überhöhung“ oder gar „Verklärung“ bezeichneten Betonung ihrer Unabhängigkeit (vor allem in den Berufsordnungen) nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch ein Arzt Geld verdienen will. Daran ist nichts verkehrt.
Mehr Sicherheit
Fast zwei Jahre Umgang und Erfahrung mit dem TSVG lassen sich damit wie folgt zusammenfassen: Den Spahn‘schen Ankündigungen zu „vernünftiger Regulierung“ folgte genau dies, eine vernünftige Regulierung – interessenversöhnend, mit Augenmaß und auf der Grundlage sachverständiger Expertise. Dafür ist nicht unbedingt jedes Berliner Ministerium bekannt.
Für Finanzinvestoren bedeuten die gutachterlichen Einschätzungen deutlich mehr Investitionssicherheit. Für die Kassenärztlichen Vereinigungen bieten die Gutachten Ansatzpunkte zu gesichtswahrendem Rückzug (jedenfalls in den Beobachtungsstand).
Für MVZ im Allgemeinen bedeuten die Gutachten eine nicht mehr wegzudenkende Daseinsberechtigung in der ambulanten Versorgungslandschaft. Und nicht zuletzt dürften sich junge Mediziner freuen, die in MVZ-Anstellungsverhältnissen zunehmend alternative Berufsbedingungen und moderne Lebens- und Arbeitsmodelle als Wahlmöglichkeit neben den herkömmlichen ärztlichen Beschäftigungsstrukturen vorfinden.
Damit sollte jeder leben können. Und die Politik kann ihre Kräfte auf die Bekämpfung der Pandemie konzentrieren.