Rekorde in der Start-up-Finanzierung

EY-Barometer: Favoritenwechsel von E-Commerce zu Mobility - Löwenanteil der Mittel fließt nach Berlin

Rekorde in der Start-up-Finanzierung

wb Frankfurt – Paukenschlag vor wenigen Tagen: Das Mainzer Biotechunternehmen Biontech hat in einer Finanzierungsrunde bei Investoren rekordverdächtige 325 Mill. Dollar frisches Kapital eingesammelt (vgl. BZ vom 10. Juli). Deutsche Start-ups haben schon in der ersten Jahreshälfte so viel Mittel eingeworben wie nie zuvor in einem Halbjahr. Insgesamt erhielten sie 2,8 Mrd. Euro, 13 % mehr als in der Vorjahreszeit. Die Zahl der Finanzierungsrunden stieg sogar um 19 % auf 332.Das sind Ergebnisse des Start-up-Barometers der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Berücksichtigt wurden Unternehmen, deren Gründung höchstens zehn Jahre zurückliegt (Biontech wurde schon 2008 gegründet). Der Löwenanteil des investierten Kapitals floss nach Berlin: Start-ups aus der Hauptstadt erhielten in 131 Finanzierungsrunden alles in allem 2,1 Mrd. Euro – ein Plus von 28 %. Ebenfalls mehr Geld als 2018 erhielten nordrhein-westfälische Jungunternehmen (plus 3 % auf 133 Mill.) und Start-ups aus Baden-Württemberg, wo sich das Investitionsvolumen auf 150 Mill. Euro mehr als verdreifachte. Weniger als zuvor ging nach Bayern (-42 % auf 204 Mill. Euro) und Hamburg (-31 % auf 81 Mill.) – hier machte sich das Fehlen großer Deals bemerkbar, die im Vorjahr noch die Gesamtsumme nach oben trieben. “In diesem Jahr sorgten erneut einige sehr große Deals für einen Investitionsrekord”, sagt Hubert Barth, Vorsitzender der EY-Geschäftsführung in Deutschland. Immerhin sieben Finanzierungsrunden in der Größenordnung von mehr als 100 Mill. Euro werden gezählt – mehr als im gesamten Vorjahr, als es sechs derartige Megadeals gab. Dabei sei die Zahl der Finanzierungsrunden signifikant gestiegen, so dass insgesamt deutlich mehr junge Unternehmen frisches Geld erhielten. Dabei gab es vor allem mehr kleine Runden im Volumen von maximal 5 Mill. Euro – sie legten um ein Drittel auf 264 zu. Rückläufig waren dagegen mittelgroße Investitionen zwischen 10 Mill. und 100 Mill. Euro, ihre Zahl sank um knapp ein Drittel auf 31. Mittelfeld lässt nach”Der Markt verändert sich spürbar”, beobachtet EY-Partner Peter Lennartz. Es sei zwar “immer noch enorm viel Geld im Markt”, aber er beobachtet, dass die Schere zwischen sehr großen und kleinen Deals auseinandergeht. Ausländische Investoren konzentrierten sich auf ausgereifte Geschäftsmodelle und seien bereit und in der Lage, hohe Summen zu investieren. Entsprechend steigt die Zahl der Unicorns und derjenigen Start-ups, deren Bewertung potenziell in Milliardenhöhe geht. “Deutsche Investoren hingegen investieren zumeist eher niedrige Summen”, ergänzt er.Lennartz warnt, sollte sich der Trend zu weniger mittelgroßen Deals fortsetzen, wäre das kein gutes Signal”. Denn gerade diese Investitionen werden benötigt, um das Geschäftsmodell zu etablieren, Skaleneffekte zu erzielen und womöglich sogar eine Internationalisierung einzuleiten. “Wenn es weniger mittelgroße Finanzierungen gibt, führt dies früher oder später auch zu weniger Mega-Deals”, sagt Lennartz.In den zurückliegenden Jahren hatte vor allem E-Commerce viel Geld angezogen. Hier wird eine Trendwende registriert. Die dort investierte Summe brach von 1 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2018 auf jetzt 208 Mill. Euro ein. Vor allem Fintechs, Mobility-Start-ups und Healthcare-Sart-ups erhielten deutlich mehr Geld. An Fintechs flossen mit 704 Mill. Euro 78 %. Junge Mobility-Anbieter erhielten gut fünfmal so viel Kapital wie vor einem Jahr und belegen mit 659 Mill. Euro im Ranking den zweiten Platz vor Software, die mit 385 Mill. Euro exakt so viel Geld einsammelten wie 2018. “Der Fokus der Investoren hat sich verändert”, beobachtet Lennartz. Es gebe ein steigendes Interesse an Mobilität oder künstlicher Intelligenz, aber auch an ganz neuen Geschäftsmodellen wie E-Scooter oder medizinischem Cannabis.Der mit Abstand größte Deal war die 484-Mill.-Dollar-Finanzspritze für das Reise-Start-up Getyourguide, wo Softbank aus Japan die Runde anführte. Auf den Plätzen zwei und drei folgen die Online-Bank N26 mit 300 Mill. Dollar (Insight Ventures und GIC aus Singapur) und Adjust (Analyse von App-Daten) mit 201 Mill. Euro von Eurazeo, Sofina und Morgan Stanley. Von den zehn größten Investitionsrunden gingen in diesem Jahr neun an Unternehmen mit Sitz in Berlin; auf die Hauptstadt entfielen 41 % der Deals und 76 % des Kapitals.