Venture Capital

Rekordhalbjahr für Wagnis­kapital­investments

Die Zahl der milliardenschweren Tech-Start-ups ist durch den Überfluss an renditesuchendem Kapital explosionsartig angestiegen. Seit Januar wurden jeden Tag mehr als zwei Einhörner geboren.

Rekordhalbjahr für Wagnis­kapital­investments

cru Frankfurt

Rund um die Welt haben Wagniskapitalgeber in der ersten Hälfte dieses Jahres mehr Geld in Minderheitsbeteiligungen an Jungunternehmen investiert als je­mals zuvor. Das Volumen der Venture-Capital-Finanzierungsrunden für Start-ups schnellte um das 2,3-Fache auf den Rekordwert von 264 Mrd. Euro nach oben – im Vergleich zum bisherigen Allzeithoch von 114 Mrd. Euro im gleichen Zeitraum 2020. Das geht aus den Daten des auf Start-ups spezialisierten Analysehauses Dealroom hervor.

Insbesondere im zweiten Quartal hat die Zahl der neuen Einhörner unter den Jungunternehmen stark zugenommen. Den Daten von Dealroom zufolge wurden bei den Finanzierungsrunden zwischen Januar und Juni 351 neue Einhorn-Start-ups mit mehr als 1 Mrd. Dollar bewertet, die meisten davon in den USA. Jeden Tag entstanden zwei neue Einhörner. In Deutschland zählen zu den neueren Einhörnern unter anderem der Datenanalysespezialist Celonis aus München (11 Mrd. Euro), der Fernbusbetreiber Flixmobility (3 Mrd. Euro) und der Human-Ressources-Spezialist Personio (1,4 Mrd. Euro).

Weitere Namen von neuen Einhörnern sind der Zehn-Minuten-Lieferdienst Gorillas aus Berlin, die österreichische Schüler-Lernplattform Gostudent sowie Forto, Zego, Cerebral, Getir, Cameo und Blockchain. Weltweit gibt es jetzt 1600 Einhörner, von denen 900 noch nicht gelistet sind. Die USA führen mit mehr als der Hälfte (853), der nächste Konkurrent, China, liegt bei 280.

Das Allzeithoch der globalen Wagniskapitalinvestments ist jedoch auch eine gute Nachricht für europäische Technologie-Jungunternehmen, denen Geld von Investoren aus den USA und Asien zufließt. Europa ist die am schnellsten wachsende Region für Venture-Capital-Investitionen mit 48 Mrd. Euro im Jahr 2021 und übertrifft damit die USA, China und Asien. Innerhalb Europas dominiert London weiterhin als Heimat von 71 Einhörnern, und in Paris gibt es jetzt 21 Einhörner. In Deutschland ist die Herde auf 30 Einhörner angewachsen, die meisten davon in Berlin und München.

65 Städte mit Einhörnern

Europa ist führend gemessen an der Zahl von 65 Städten, in denen Einhörner angesiedelt sind. Die Zahl der Einhörner hat sich so stark erhöht, weil Wagniskapitalinvestoren immer höhere Bewertungen zu zahlen bereit sind. Die hohen Preise wecken bereits die Befürchtung einer Überhitzung. „Die Branche hat sich in jüngster Zeit sehr verändert“, sagt Oliver Holle, Mitgründer des Venture-Capital-Hauses Speedinvest aus Wien, einem der aktivsten Frühphaseninvestoren im deutschsprachigen Raum mit 500 Mill. Euro verwaltetem Vermögen. „Bis vor kurzem konkurrierten die Start-ups um das Geld eines Investors. Inzwischen ist es fast umgekehrt. Die Bewertungen sind sehr stark gestiegen, weil auch die großen Investmenthäuser sich in immer früheren Phasen an Start-ups beteiligen.“

Die Zahl der milliardenschweren Tech-Firmen ist durch den Überfluss an Kapital aus frischem Notenbankgeld und billionenschweren staatlichen Konjunkturprogrammen explosionsartig angestiegen. Seit Januar wurden jeden Tag mehr als zwei Einhörner geboren, und es gibt jetzt 170 Städte, in denen mindestens ein solcher Jungriese zu Hause ist – dank einer Welle von Mega-Finanzierungsrunden, in denen jeweils mehr als 100 Mill. Dollar investiert wurden. Aus solchen großen Finanzierungsrunden, die nur 5% der Deals ausmachen, stammt 60% des Volumens. Die Summe aller Mega-Runden übertraf im ersten Halbjahr 2021 die Summe der Seed-Series-C-Investitionen – also die erste Finanzierungsrunde nach der Aufstellung eines Geschäftsplans – im gesamten Jahr 2020.

Mit Abstand führend unter den Wagniskapitalgebern ist Tiger Global Management. Die New Yorker Investmentgesellschaft investierte in 81 Deals nahezu täglich in ein weiteres Start-up. Die 2016 von dem früheren Tiger-Global-Partner Feroz Dewan mitbegründete Arena Holdings ist auch am deutschen Einhorn Celonis beteiligt. Tiger Global ist gerade dabei, 10 Mrd. Dollar für einen neuen Fonds einzusammeln, der in nicht börsennotierte Tech-Firmen investieren soll – vor dem Hintergrund, dass bei späteren Börsengängen starke Wertzuwächse realisiert werden konnten. Jüngste Beispiele in Deutschland für solche erfolgreichen Börsengänge von Jungunternehmen sind der Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1, der Linux-Softwareanbieter Suse und der Mode-Online-Shop About You.

35 Bill. Dollar in Tech-Firmen

Die Studie von Dealroom zeigt, dass der Gesamtwert der Tech-Unternehmen weltweit auf über 35 Bill. Dollar angewachsen ist, wovon 18 Bill. Dollar auf Unternehmen entfallen, die nach dem Jahr 2000 gegründet wurden, und 10 Bill. Dollar auf Unternehmen, die nach dem Jahr 2010 gegründet wurden. Die höhere Anzahl von Venture-Capital-Investitionen in Series-C-Finanzierungen und darüber hinaus zeigt nach Einschätzung von Dealroom, „dass Jungunternehmen weltweit und branchenübergreifend reifen, profitabel sind, neue Produkte entwickeln und in neue Märkte expandieren“.

Inzwischen investieren nicht mehr nur spezialisierte, unternehmerisch agierende Wagniskapitalgeber in relativ junge, nicht börsennotierte Unternehmen, sondern auch sehr große Assetmanager wie etwa der schottische Investmentriese Baillie Gifford und auch große Private-Equity-Investoren wie Blackstone, KKR oder Advent.

Seit Covid-19 hat sich laut Dealroom-Studie der Tech-Sektor „als sichere Anlage für Risikokapitalgeber erwiesen“, nachdem der wirtschaftliche Abschwung den Einzelhandel, die Luftfahrt und das Gastgewerbe in den letzten 18 Monaten schwer getroffen hat. Deshalb würden Regierungen den Tech-Sektor zunehmend als starken Wirtschaftsmotor anerkennen, der Arbeitsplätze schafft, die dazu beitragen, den Aufschwung nach Covid-19 voranzutreiben. Dies wiederum habe den globalen Wettbewerb um Start-ups und Kapital verschärft.

Infolgedessen seien die Bewertungen von Tech-Unternehmen in diesen rekordverdächtigen sechs Monaten auf über 35 Bill. Dollar gestiegen – eine Bewertung, die ihren Gesamtwert höher einschätzt als das gesamte Bruttoinlandsprodukt der USA von 20,8 Bill. Dollar im Jahr 2020. Der Dealroom-Bericht hebt indes hervor, dass es immer noch einen Mangel an Finanzierungen gibt, die an Tech-Firmen mit mindestens einem weiblichen Gründer gehen. Alle männlichen Teams sicherten sich 86% aller Venture-Capital-Finanzierungen.