Rekordsumme für deutsche Start-ups

Eigenkapitalfinanzierungen erreichen erstmals 6,2 Mrd. Euro - Standort Berlin vorn - München holt auf - Mobilitätsdienstleister lösen E-Commerce ab

Rekordsumme für deutsche Start-ups

cru Frankfurt – Die Eigenkapitalfinanzierungen für deutsche Start-ups haben eine Rekordsumme erreicht. Jungunternehmen sammelten 2019 so viel frisches Kapital ein wie nie zuvor. Insgesamt erhielten sie 6,2 Mrd. Euro – rund 36 % mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Finanzierungsrunden stieg um 13 % auf 704. Das sind Ergebnisse des Start-up-Barometers der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young).Dabei floss der Löwenanteil des investierten Kapitals nach Berlin: Start-ups aus der Hauptstadt erhielten 2019 bei 262 Finanzierungsrunden insgesamt 3,7 Mrd. Euro – ein Anstieg um 41 %. Noch stärker legten die Investitionen in Bayern zu, wo sich der Betrag auf 1,6 Mrd. Euro verdoppelte. Für das starke Plus war vor allem der Mobilitätsanbieter Flixmobility verantwortlich, der 500 Mill. Euro erhielt – die größte je an ein deutsches Start-up geflossene Summe, die ein Viertel der Bewertung ausmacht. Zuletzt hatte der Gebrauchtwagenhändler Auto1 460 Mill. Euro vom japanischen Technologie-Investor Softbank erhalten.Der Fernbusriese aus München hatte sich gegen einen Börsengang entschieden und sammelte die privaten Investorengelder für Zukäufe in Südamerika ein. Die Investoren Permira und TCV stiegen in der sechsten Finanzierungsrunde bei der erst sechs Jahre alten Firma ein – zusammen mit Holtzbrinck Ventures und der Europäischen Investitionsbank. Insgesamt zog die Mobilitätsbranche das meiste Kapital für Start-ups an.Weitere sehr große Finanzierungen erhielten die Berliner Touristen-Webseite Getyourguide mit 428 Mill. Euro sowie die Berliner Gebrauchtwagenplatttform Frontier Car Group mit 361 Mill. Euro und die Berliner Direktbank N26 mit 266 Mill. Euro, die sich auf Kontoführung per Smartphone spezialisiert.Das 2011 gegründete Münchner Softwareunternehmen Celonis erhielt in einer dritten Finanzierungsrunde von Investoren 260 Mill. Euro. Das entspricht einer Bewertung von mehr als 2 Mrd. Euro. Das Unternehmen bezeichnet sich als Marktführer für sogenanntes Process Mining. Mit Software werden Daten von Betriebsabläufen analysiert. Mehr Geld für NRWMehr Geld erhielten 2019 nordrhein-westfälische Jungunternehmen – mit einem Plus von 10 % auf 268 Mill. Euro – und Start-ups aus Baden-Württemberg, wo sich das Volumen auf 209 Mill. Euro fast verdreifachte. An allen sechs Top-Standorten in Deutschland wurden mehr Finanzierungsrunden gezählt als im Vorjahr. Das stärkste Wachstum zeigte hier Nordrhein-Westfalen, wo die Deals um die Hälfte auf 87 wuchsen.”Der Finanzierungsboom hält unvermindert an”, sagt EY-Deutschlandchef Hubert Barth. “Erneut sorgten vor allem einige sehr große Deals vornehmlich ausländischer Geldgeber für den Investitionsrekord.” Die Zahl der Finanzierungsrunden in der Größenordnung von mehr als 100 Mill. Euro verdoppelte sich auf 13. “Top-Start-ups hatten 2019 erneut kaum Probleme, an frisches Kapital zu kommen, die Zahl der deutschen Unicorns ist 2019 gestiegen”, beobachtet EY-Partner Peter Lennartz. Dabei wurden vor allem mehr kleine Investitionsrunden in frühen Phasen mit einem Volumen von maximal 5 Mill. Euro registriert, deren Zahl um ein Viertel auf 541 stieg.”Es ist sehr viel und ausreichend Liquidität im Markt – mit weiter stark steigender Tendenz. Finanzstarke und überwiegend international tätige Investoren aus den USA, Großbritannien sowie Asien sind insbesondere an sehr großen Transaktionen interessiert, auch weil die Bewertungen in Europa im Vergleich zum Silicon Valley noch relativ günstig sind”, sagt Lennartz. Auch deutsche Risikokapitalgeber betreiben intensives Fundraising und legen neue Fonds auf. Aber Lennartz betont: “Um die ersten, kleineren Runden von überwiegend deutschen Kapitalgebern finanziert zu bekommen, müssen die jungen Unternehmen von Anfang an ein Geschäftsmodell betreiben, das international erfolgreich sein kann.” Zukunftsfonds vom BundUm die Finanzierung von Start-ups zu fördern, plant die Bundesregierung einen “Zukunftsfonds”, der mehr Kapital in die deutsche Start-up-Szene leiten soll (siehe gesonderten Artikel auf dieser Seite). “Frankreich ist vorangegangen und hat gezeigt, welche Dynamik entfacht werden kann, wenn der Staat sich aktiver einbringt”, sagt Lennartz. “Gerade in Zeiten von sich anbahnenden Krisen in wichtigen Bereichen der produzierenden Industrie Deutschlands kommt der Digitalwirtschaft eine steigende Bedeutung als Jobmotor zu”, ergänzt Barth. “Bereits heute ist der Rückenwind in diesem Bereich so groß, dass es mehr Stellen als passende Bewerber gibt. Die Bundesregierung ist daher gut beraten, die Digitalwirtschaft zu unterstützen.”Die Dominanz von E-Commerce-Geschäftsmodellen wurde 2019 endgültig gebrochen: Das meiste Geld floss mit 1,6 Mrd. Euro an junge Mobilitätsanbieter – vor allem aufgrund der beiden Mega-Finanzierungsrunden für Flixmobility und Getyourguide. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das fast einer Vervierfachung. Im Branchenranking belegen Fintechs und Software-Unternehmen mit 1,3 Mrd. bzw 1,2 Mrd. Euro die Plätze 2 und 3 mit jeweils verdoppelten Finanzierungssummen. E-Commerce folgt mit einer auf 730 Mill. Euro halbierten Finanzierung. Szene differenziert sich ausUnterm Strich habe sich die Start-up-Szene damit 2019 ausdifferenziert, während sich auch der Fokus der Investoren verändert habe, beobachtet Lennartz: “Wir sehen ein steigendes Interesse gerade an hochinnovativen Technologie-Geschäftsmodellen. SaaS (Software as a Service), Analytics und KI sind groß im Kommen und profitieren aktuell von hohen Bewertungen. E-Commerce tritt zwar etwas in den Hintergrund, bleibt aber ein wichtiges und starkes Segment. Fitech wird 2020 vermutlich konsolidieren.”Von den 20 größten Investitionsrunden gingen 2019 mehr als die Hälfte an Unternehmen mit Sitz in Berlin. “Berlin dominiert die Start-up-Szene und bleibt der international bedeutendste deutsche Leuchtturm”, stellt Lennartz fest. Aber Bayern mit dem Zentrum München habe aufgrund seiner Qualitäten im Bereich Hightech stark aufgeholt.