WER GEHT, WER KOMMT

Relative Ruhe im Krisenjahr - Geplante Wechsel dominieren im Dax

Kontinuität an der Konzernspitze - Nur Lärm um Diess - Auflösung der SAP-Doppelspitze überrascht

Relative Ruhe im Krisenjahr - Geplante Wechsel dominieren im Dax

Wie die Anleger an der Börse sind auch die Aufsichtsräte der Dax-Unternehmen 2020 trotz der Coronakrise nicht in Hektik verfallen. Entsprechend wenige unerwartete CEO-Wechsel gab es im deutschen Leitindex 2020. Selbst in der krisengeschüttelten Autoindustrie ging der eine Wechsel an der Spitze auf gesundheitliche Gründe zurück.Von Sebastian Schmid, FrankfurtWer darauf gewettet hat, dass mit dem Anhalten der Coronakrise zunehmend auch das Personalkarussell der Vorstände im Dax in Bewegung geraten würde, der hat sich im ablaufenden Jahr ebenso verspekuliert wie alle, die auf fallende Kurse an den Aktienmärkten getippt haben. Zwar hat es oder wird es insgesamt neun Führungswechsel bei aktuellen und mittlerweile ehemaligen Dax-Konzernen geben. Viele davon kamen indes nicht wirklich überraschend. So stand bereits im vergangenen Jahr fest, dass bei Henkel Finanzvorstand Carsten Knobel zum 1. Januar die Konzernleitung übernehmen würde. Damit einher ging, dass Marco Swoboda, wie Knobel ein Eigengewächs, am selben Tag zum Finanzvorstand aufsteigen würde.Auch der zweite Wechsel an der Spitze eines Dax-Konzerns 2020 war bereits Monate im Voraus signalisiert worden. Dominik von Achten übernahm zum 1. Februar für einen der dienstältesten Konzernchefs im Dax, Bernd Scheifele, bei Heidelberg Cement. Scheifele stand 15 Jahre an der Spitze des Baustoffproduzenten. Als dienstältester CEO unter den Nichtfinanzunternehmen im Dax konnte ihn temporär Frank Appel von der Deutschen Post beerben, der seit 2008 fest im Sattel sitzt und den Wert des Logistikkonzerns in den zwölf Jahren knapp vervierfacht hat auf rund 50 Mrd. Euro. 2020 dürfte er zudem einen Rekordgewinn liefern. Dienstalter kein GütesiegelAllerdings musste Appel seinen Platz als Dax-Methusalem am 22. Juni schon wieder räumen, als die Deutsche Wohnen für die von der Coronakrise gebeutelte Lufthansa in den obersten deutschen Aktienindex aufstieg und mit ihr der seit 2007 amtierende Vorstandsvorsitzende Michael Zahn. Den Beweis, dass ein hohes Dienstalter nicht unbedingt einen Vertrauensvorschuss durch die Investoren rechtfertigt, erbrachte dieses Jahr eindrucksvoll Wirecard-CEO Markus Braun. Mit dem milliardenschweren Betrugsskandal um den bis zuletzt flüchtigen Ex-COO Jan Marsalek ist der seit 2002 amtierende Konzernchef Braun plötzlich vom gern gesehenen Stargast zur Persona non grata in der deutschen Unternehmenslandschaft abgestiegen. Auch Marsalek war übrigens rund zehn Jahre Teil des Wirecard-Vorstands. Am 24. August flog das mittlerweile insolvente Unternehmen nicht nur aus dem Dax, sondern gleich aus allen Auswahlindizes der Deutschen Börse.Der Skandal um Wirecard sorgt dafür, dass SAP nicht schon das zweite Jahr infolge die wohl spektakulärste Personalie im Dax produziert hat. Am 1. Mai war die Zeit der ersten Frau an der Spitze eines Dax-Konzerns nach knapp einem halben Jahr abrupt vorbei. Die Doppelspitze mit den Co-CEOs Christian Klein und Jennifer Morgan werde aufgelöst, teilte SAP am 21. April ad hoc mit. Die 48-jährige Amerikanerin verlasse den Konzern, um schnellere Entscheidungen in schwierigen Zeiten zu ermöglichen. Tatsächlich haben wohl unterschiedliche Ansichten zur strategischen Ausrichtung des Konzerns zur Trennung geführt. Ende Oktober stellte Klein neue Mittelfristziele vor und kündigte an, den Wechsel der Kunden in die Cloud beschleunigen zu wollen. Bereits im Jahr zuvor hatte der abrupte Abschied des langjährigen CEO Bill McDermott für Irritationen unter den Anlegern gesorgt. Der Abschied der nächsten US-Spitzenkraft von SAP machte offenbar auch Ryan Smith, Mitgründer und CEO des letzten McDermott-Zukaufs Qualtrics, nervös. Im Sommer entschied der Vorstand um Klein, dass das Unternehmen aus Utah die Börsenpläne, die es 2018 für SAP aufgegeben hatte, wieder aufnehmen werde.Praktisch keine Wechsel trotz strategischer Unsicherheiten und einer starken Beeinträchtigung des Geschäfts durch die Coronakrise gab es in der Autoindustrie. Die beiden Premiumhersteller BMW und Daimler hatten erst 2019 mit Oliver Zipse beziehungsweise Ola Källenius zwei neue Vorstandsvorsitzende ernannt, die ihre Pläne in Anbetracht der zusätzlichen Herausforderungen und der schneller als erwartet wachsenden Nachfrage für E-Autos lediglich nachjustierten.Die größte Unruhe gab es da noch beim weltgrößten Autohersteller Volkswagen. Zweimal im Jahr – im Sommer und im frühen Winter – wurde CEO Herbert Diess und dessen Kurs informierten Kreisen zufolge von Teilen der Arbeitnehmervertreter in Frage gestellt. Am Ende war es viel Lärm um nichts. Diess bekam zwar nicht die angeblich angestrebte Verlängerung seines noch bis Frühjahr 2023 laufenden Vertrags. Dafür wurden dem Manager bei drei Stellen im Vorstand wohl seine Wunschkandidaten bewilligt. Audi-Finanzchef Arno Antlitz wird Mitte 2021 den scheidenden CFO Frank Witter beerben. Die vakante Position für den Bereich Beschaffung übernimmt zum Jahresbeginn Murat Aksel, womit erstmals ein türkischstämmiger Manager in den VW-Vorstand einzieht. Das neu geschaffene Technik-Ressort wird Thomas Schmall ebenfalls ab Anfang 2021 leiten.Einzig beim Autozulieferer Continental wurde auch ein neuer CEO berufen. Der Vorstandsvorsitzende Elmar Degenhart hatte im November überraschend aus gesundheitlichen Gründen seinen Rückzug von der Konzernspitze mitgeteilt. Als Nachfolger benannte der Continental-Aufsichtsrat wenige Tage später Nikolai Setzer. Der 49-Jährige ist ein Conti-Urgestein und arbeitet bereits 23 Jahre für das Unternehmen. Insofern kann auch dieser Wechsel als Zeichen der Kontinuität in der Krise gewertet werden.Weitere Wechsel an den Konzernspitzen im Dax sind schon aufgrund der langen Zeitspannen zwischen Ankündigung und Vollzug als geordnete Staffelstabübergabe klar zu erkennen. So wird Roland Busch am 3. Februar für Joe Kaeser bei Siemens das Steuer übernehmen. Der Wechsel hatte sich in dieser Form bereits 2019 angedeutet, so dass die Münchener einen ausgesprochen sanften Übergang gestalten konnten. Dass die Pharma-Chefin Belén Garijo den Vorsitz der Geschäftsleitung des Chemie- und Pharmaunternehmens Merck im Mai 2021 übernehmen soll, wurde bereits Ende September mitgeteilt. Stefan Oschmann, der seit fünf Jahren an der Konzernspitze steht, verlasse das Unternehmen “planmäßig”.Auch der Energiekonzern RWE setzt auf Kontinuität. Bereits im April wurde beschlossen, dass Finanzvorstand Markus Krebber zum 1. Juli 2021 die Nachfolge des CEO Rolf Martin Schmitz antreten soll. “Die Wahl von Herrn Krebbber stellt sicher, dass die strategische Neuausrichtung der RWE hin zu einem global führenden Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien langfristig fortgesetzt wird”, sagte Aufsichtsratschef Werner Brandt bei Bekanntgabe der Personalie. Bereits im September wurde mit Michael Müller dann auch noch ein Nachfolger für Krebber als Finanzchef gefunden.Auch beim zweiten großen deutschen Energieriesen Eon steht ein Chefwechsel an, der alles andere als überraschend kam. Im April 2021 wird Leonhard Birnbaum den langjährigen CEO Johannes Teyssen ablösen. Teyssen selbst hatte den eigenen Abschied bereits vor zwei Jahren mehr oder weniger angekündigt, indem er erklärte, den bis Ende 2021 laufenden Kontrakt nicht noch einmal zu verlängern. Nun geht er noch etwas früher.Im neuen Jahr könnte sich das Personalkarussell indes wieder etwas wilder drehen. Denn dann wird sich erst zeigen können, wie gut die CEOs ihre Unternehmen auf die neue Normalität vorbereitet haben.