GASTBEITRAG

Reverse Factoring - Brandbeschleuniger in der Krise?

Börsen-Zeitung, 7.7.2020 Liquidität ist für Unternehmen die Luft zum Atmen - gerade Reverse Factoring gilt als beliebtes Instrument, um Liquiditätsabflüsse zu verzögern. Doch die Erfahrung zeigt auch, dass es als Brandbeschleuniger wirken kann,...

Reverse Factoring - Brandbeschleuniger in der Krise?

Liquidität ist für Unternehmen die Luft zum Atmen – gerade Reverse Factoring gilt als beliebtes Instrument, um Liquiditätsabflüsse zu verzögern. Doch die Erfahrung zeigt auch, dass es als Brandbeschleuniger wirken kann, gerade in Krisensituationen wie aktuell die Verbreitung von Covid-19. Bei der Risikobewertung muss also genau hingeschaut werden. Wenig bekanntIm Gegensatz zum Factoring, also dem Forderungsverkauf an Dritte, ist das Reverse Factoring weniger bekannt. Dabei scheint das Finanzierungsinstrument gerade auch in der gegenwärtigen Coronakrise ein ideales Mittel zur kurzfristigen Liquiditätssicherung zu sein: Beim Reverse Factoring finanziert – auf Wunsch des Käufers, anstatt wie üblich auf Initiative des Lieferanten – ein Factor, oftmals eine Bank, die Lieferantenleistungen für ein Unternehmen. Der Käufer hat dadurch den Vorteil, dass er die ursprünglichen Zahlungsziele gegenüber dem Factor als Intermediär verlängern kann und so vermeintliche Liquidität durch fehlende Mittelabflüsse schafft. Dadurch entsteht ein Spannungsfeld: Die Aufnahme von Finanzverschuldung, ohne diese jedoch als solche klassifizieren zu müssen.Obwohl die Verbindlichkeiten gegenüber dem Factor bestehen, erfolgt in der Regel der bilanzielle Ausweis als Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen oder als sonstige Verbindlichkeiten – das erscheint bei der Nutzung von Reverse Factoring ohne Verlängerung des Zahlungsziels wirtschaftlich plausibel. Wird diese Frist jedoch deutlich in die Zukunft gestreckt, kann eine derartige Darstellung in die Irre führen – oder es auch als Ziel haben. Grundsätzlich besteht allerdings auch keine Verpflichtung zur Offenlegung, was gerne genutzt wird: Weniger als 5 % der von Moody’s weltweit bewerteten Unternehmen legen die Nutzung von Reverse Factoring offen. Der International Financial Reporting Standard 9 (IFRS 9) besagt, dass eine operative Verbindlichkeit als finanzielle Verbindlichkeit auszuweisen ist, wenn die Factoring-Vereinbarung sich substanziell vom Grundgeschäft unterscheidet. Die Auslegung dieser Regelung wird in der Praxis jedoch unterschiedlich gelebt und ist abhängig von den konkreten Umständen, den Wirtschaftsprüfern und der lokalen Jurisdiktion. Liquidität wird geschontUnternehmen nutzen Reverse Factoring aufgrund seiner Vorteile, also der Verlängerung ihrer Zahlungsziele bei gleichzeitiger Schonung der eigenen Liquidität. Dabei kann das Instrument in seiner kritischen Form eine Krise verschärfen: Da die Linie im Reverse Factoring in der Regel jederzeit kündbar (uncommitted) ist, kann der Factor – wenn er die wirtschaftlichen Probleme eines in Schieflage geratenen Unternehmens erkennt – sehr kurzfristig eine (Teil-)Rückzahlung verlangen.Innerhalb kurzer Zeit kommt es zu einem substanziellen Abfluss von Liquidität, da die erweiterten Zahlungsziele quasi auf den Industriestandard gekürzt werden. Aufgrund der (inzwischen) schwachen Bonität ist eine alternative Liquiditätsbeschaffung schwierig bis unmöglich, das Refinanzierungsrisiko zu hoch. Doch damit nicht genug: Wenn schließlich auch die Lieferanten merken, dass es um den Käufer ihrer Waren oder Dienstleistungen schlecht bestellt ist und die Liquidität nachlässt, fordern sie nun die Bezahlung per Vorkasse, mit der Folge, dass die Liquiditätslücke noch größer wird. Die zur Bewältigung der Krise dringend benötigte Liquidität fehlt, was kurzfristig zur Insolvenz führen kann. Schwierig zu erkennenWie kann man Reverse Factoring also erkennen, selbst wenn die Verwendung dieses Instruments nur selten ausgewiesen wird? Die Antwort ist komplex, denn es gibt nur wenige Indizien, die auf eine Nutzung hindeuten: Stetig verlängerte Zahlungsziele über einen längeren Zeitraum und eine deutliche Divergenz zwischen dem Wachstum der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen und dem Wachstum der Kosten der verkauften Waren (Costs of Goods Sold; COGS) sind ein Indiz. Ebenfalls ist die Abweichung der errechneten Kreditorenlaufzeiten vom gängigen Industriestandard – hierbei hilft ein Peergroup-Vergleich – ein mögliches Anzeichen. Um Reverse Factoring analytisch richtig zu beurteilen, muss man die konkrete Ausgestaltung der Factoring-Vereinbarung kennen. Die grundsätzliche Frage sollte lauten: Besitzt die Transaktion Charakteristika einer Finanzverschuldung? Kein einheitliches BildDer jeweiligen Antwort folgend, kann Reverse Factoring in der Risikoanalyse als unkritisch oder kritisch eingestuft werden. Bei der unkritischen Nutzung sind die Zahlungsziele adäquat zum Industriestandard, die Bonität des Käufers und Nutzers von Reverse Factoring ist gut und die Transaktion hat eine schonende Wirkung auf die Liquidität sowie keine Auswirkungen auf die Verschuldung des Käufers. Bei einer kritischen Nutzung stellt sich das Bild anders da: Durch das Reverse Factoring werden die Zahlungsziele gestreckt, es besteht die Gefahr, dass die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse verkannt werden. Etwa dann wenn die ausgewiesene Verschuldung zu niedrig ist und der operative Cashflow zu hoch bzw. der Finanzierungs-Cash-flow zu niedrig ausgewiesen wurde. Entsprechend sollten der operative Cash-flow, der Finanzierungs-Cash-flow sowie die Verschuldung adjustiert werden. Ursula Friedman, Teamleiterin Kreditrisikomanagement und Georg Gliem, Analyst Kreditrisikomanagement