Rheinmetall schaut sich regelmäßig Übernahmeziele an
Im Interview: Dagmar Steinert
"Wir schauen uns regelmäßig verschiedene Targets an"
Rheinmetall auf Konsolidierungskurs – Zugleich geht die Rüstungsschmiede in Vorleistung – Finanzchefin sieht 2023 Spitze der Anlageinvestitionen
Mit der Übernahme des Munitionsherstellers Expal hat Rheinmetall das Pulver noch nicht verschossen. Finanzchefin Dagmar Steinert denkt dabei an die weitere Konsolidierung in Europa und muss zugleich das rasante Wachstum vorfinanzieren, wie sie im Interview erläutert.
Frau Steinert, der Krieg in der Ukraine hat Rheinmetall zahlreiche Wachstumschancen eröffnet. Damit gehen aber auch Wachstumsschmerzen einher, wie sich beispielsweise am Vorratsaufbau ablesen lässt. Wie gehen Sie damit um?
Auf der einen Seite muss das Wachstum finanziert werden, das betrifft unter anderem Kapazitätserweiterungen. Mit bis zu 700 Mill. Euro erreichen unsere Ausgaben für Sachanlagen 2023 einen Peak, normalerweise investieren wir etwa 5% vom Umsatz. Auf der anderen Seite sprechen wir über längerfristige Aufträge und Fertigung mit durchaus kurzfristigem Bedarf. Dafür sind wir deutlich in Vorleistung gegangen. Das heißt, wir bauen Vorräte auf, um zügig liefern zu können, wenn die Aufträge kommen.
Wie finanzieren Sie den Aufbau des Vorratsvermögens? Ihre Lieferanten werden vermutlich kaum darauf Rücksicht nehmen, dass Sie in Vorleistung gehen.
Unser Free Cashflow wird tendenziell im vierten Quartal erwirtschaftet. In den ersten drei Quartalen gehen wir in Vorleistung. In diesem Jahr ist es aber schon deutlich besser gelaufen als im vorigen Jahr, weil wir Kundenanzahlungen oder Meilensteinzahlungen erhalten haben. Nichtsdestotrotz haben wir in den ersten drei Quartalen typischerweise einen schwachen beziehungsweise negativen operativen Cashflow und holen im vierten Quartal das ganze Geld herein.
Im ersten Halbjahr sind operativ 325 Mill. Euro abgeflossen. Schaffen Sie es trotzdem, in diesem Jahr einen positiven Cashflow zu erwirtschaften?
2022 hatten wir im Gesamtjahr einen operativen Mittelabfluss. In diesem Jahr haben wir uns im operativen Free Cashflow schon deutlich verbessert, im ersten Halbjahr 2022 hatten wir einen Mittelabfluss von über 600 Mill. Euro. Wir werden dieses Jahr einen positiven Cashflow am unteren Ende der Spanne von 4 bis 6% erwirtschaften.
Wie erklären Sie sich die Saisonalität? Zahlen Ihre Kunden erst zum Jahresende?
Das liegt an der Umsatzlegung. Unser Geschäft ist durch die Kunden geprägt, die tendenziell eher am Jahresende Produkte abrufen und bezahlen.
Dagmar SteinertWir wollen vermeiden, dass eine Lücke entsteht, die sich auf die Sicherheitsvorsorge der einzelnen Länder negativ auswirken könnte.
Liegt das daran, dass die Staaten erst im vierten Quartal wissen, was der Verteidigungsetat noch hergibt, um beispielsweise Aufträge aus Rahmenverträgen abzurufen?
Das war vielleicht früher so, dass zum Jahresende noch das ein oder andere ausgegeben wurde. Heute ist es eher ein Thema der Bestellprozesse und der Abläufe. Vieles geht durchs Parlament, die Verträge müssen verhandelt werden, bevor die Produktion beginnt. Dadurch ist man automatisch schon in der zweiten Jahreshälfte. Das ist der Grund, warum wir in Vorleistung gehen. Wir sehen den Bedarf, wir können Abrufe gut vorhersehen. Wir wollen vermeiden, dass eine Lücke entsteht, die sich auf die Sicherheitsvorsorge der einzelnen Länder negativ auswirken könnte.
Die Finanzierungssituation hat sich durch Inflation und gestiegene Zinsen verschärft. Im Zwischenbericht sprechen Sie von der „Mitigierung der Risiken auf Energie- und Beschaffungsmärkten“. Was meinen Sie damit?
Ich beginne mal mit Energie. Wir haben längerfristige Stromlieferverträge, obwohl unser Geschäft nicht energieintensiv ist. Die Inflation trifft uns dagegen auf Seiten der Lieferkette. In der Regel enthalten unsere längerfristigen Verträge jedoch entsprechende Anpassungsklauseln.
Zahlungspünktlichkeit
Ihre Kunden im Rüstungsgeschäft sind in erster Linie Staaten. Diese gelten für gewöhnlich nicht als die pünktlichsten Zahler. Wie sieht es mit Zahlungszielen und Zahlungszuverlässigkeit aus?
Die Kunden sind Beschaffungsbehörden und damit Staaten. Dadurch haben wir in der Regel keine Ausfälle. Da wir bei längerfristigen Aufträgen Anzahlungen oder Meilensteinzahlungen bekommen, sehen wir darin kein signifikantes Risiko.
Das sagt aber nichts über die Zahlungszuverlässigkeit aus.
Bei der Zahlungspünktlichkeit kommt es auf die Länder an. Grundsätzlich kann man nicht genau sagen, wann die Zahlung eingeht. Es kann schon mal zu kleinerem Verzug kommen. Das kann dazu führen, dass der operative Cashflow auf einmal deutlich niedriger oder höher ist, weil die Zahlung um ein paar Tage verschoben ist. Das haben wir nicht in der Hand.
Wie können Sie das dennoch in Ihrer Liquiditätsplanung berücksichtigen?
Das ist in der Tat eine Schwierigkeit. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es mir egal, ob die Zahlung am 30. Dezember oder am 2. Januar eingeht. Aus Rechnungslegungssicht macht es natürlich einen Unterschied, aber unsere Investoren kennen das Thema und können das einordnen.
Sie gehen in Vorleistung. Ist das der Preis, den Sie in Kauf nehmen, um bei Auftragsvergaben berücksichtigt zu werden? Oder sind Sie bei Aufträgen des Bundes ohnehin als Lieferant gesetzt?
Wir sind ein guter Partner unserer Kunden, wir liefern technisch hervorragende Produkte, aber wir gewinnen nicht jede Ausschreibung. Wir sind natürlich dem Wettbewerb ausgesetzt.
Beim Kampfjet F-35 ist Rheinmetall zum Partner erkoren worden. Sie bauen das Rumpfmittelteil und errichten dafür gerade eine Fabrik in Weeze. Was lassen Sie sich das kosten?
Allein bei der Errichtung des Werks, für das bestimmte technische Anforderungen erfüllt sein müssen, geht es inklusive des Grundstücks um einen Betrag, der sich auf etwa 100 Mill. Euro beläuft. Umgekehrt bekommen wir von unseren amerikanischen Partnern die technischen Maschinen gestellt.
Dagmar SteinertDas Verteidigungsministerium hat die Beteiligung von deutschen Firmen gefordert.
Warum haben sich Ihre Partner für diesen Weg entschieden?
Das Verteidigungsministerium hat die Beteiligung von deutschen Firmen gefordert. Wir bauen das Werk in Weeze nicht nur mit Blick auf die 35 deutschen, sondern auch für alle F-35-Flugzeuge, die außerhalb der USA geliefert werden sollen. Wir erwarten, mindestens 400 Rumpfmittelteile zuzuliefern. Das ist ein Riesenauftrag für uns. Anschließend wollen wir natürlich auch Serviceverträge vereinbaren. Das Werk ist auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte ausgelastet. Ansonsten hätten wir keine Veranlassung, in Weeze ein Werk zu errichten.
Im Juli haben Sie die Akquisition des Munitionsherstellers Expal abgeschlossen. Die Finanzierung haben Sie schon im Januar mit der Emission einer Wandelanleihe auf die Beine gestellt. Warum haben Sie sich für dieses Instrument entschieden?
Weil es ein einfacher, schneller Weg ist, so viel Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen. Im Gegensatz zum Bond muss bei der Wandelanleihe kein Emissionsprospekt erstellt werden.
Wie sieht es preislich aus? Ist die Wandelanleihe auch billiger?
Im Endeffekt ist das Pricing vergleichbar, bilanziell gibt es Unterschiede, da das Wandlungsrecht im Eigenkapital ausgewiesen wird.
Sie hatten doch sehr viel Vorlauf. Wenn Sie gewollt hätten, hätten Sie auch auf den Bondmarkt zurückgreifen können.
Aufgrund des Kapitalmarktumfelds haben sich der Vorstand und der Aufsichtsrat für den schnellen Weg entschieden, zumal wir erwartet haben, dass die Zinsen weiter steigen. Außerdem drängte die Zeit, um die Finanzierung vor den Arbeiten für den Jahresabschluss abzuschließen. Auch das sprach für eine Wandelanleihe, weil diese noch im Januar über die Bühne gebracht werden konnte. Der Schuldscheinmarkt gibt für unseren Bedarf nicht so viel her. Außerdem war es uns angesichts des Volumens von 1 Mrd. Euro wichtig, den Betrag auf zwei Tranchen mit unterschiedlicher Laufzeit zu verteilen.
Haben Sie mit der Akquisition ihr akquisitorisches Pulver sprichwörtlich verschossen?
Nein, in keinem Fall.
Das kam wie aus der Pistole geschossen. Was steht denn an?
Es steht aktuell nichts Größeres an, zumindest nichts, worüber ich berichten kann. Aber natürlich sind wir an der europäischen Konsolidierung interessiert und schauen uns regelmäßig verschiedene Targets an.
Dagmar SteinertIch denke, dass man in Europa grundsätzlich weiter konsolidieren kann.
Stichwort europäische Konsolidierung: Es gab mit Frankreich die Verabredung, dass Frankreich federführend bei der Luftverteidigung Gemeinschaftsprojekte auf den Weg bringt und Deutschland die Federführung bei der Bodenverteidigung übernimmt. Ist das Thema jetzt tot?
Das ist so nicht ganz richtig. Frankreich ist federführend im FCAS-Projekt, also dem Luftkampfsystem der Zukunft, Deutschland beim MGCS, also dem Kampfpanzersystem der Zukunft. Wir haben unabhängig vom MGCS mit dem Panther ein Produkt entwickelt, welches den unmittelbaren Bedarf abdecken kann und für Kundenländer interessant ist, für die das MGCS-Projekt nicht in Frage kommt. Mit Blick auf die Konsolidierung: Ich denke, dass man in Europa grundsätzlich weiter konsolidieren kann.
Auch durch die Expal-Übernahme hat sich die Verschuldung zum Halbjahresstichtag im Vergleich zu Ende 2022 verdreifacht. Wo liegt denn das Limit?
Für mich ist ein Investment-Grade-Rating ein absolutes Muss. Auch nach der Expal-Akquisition und der damit verbundenen schuldenfinanzierten Kaufpreisfinanzierung ist unser Investment-Grade-Rating stabil geblieben. Und selbstverständlich besteht beim Financial Covenant in unseren Finanzierungsverträgen, dem Verhältnis aus Nettoverschuldung zum Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Anm. d. Red.), noch deutlicher Spielraum.
Akquisitionen dürften sich auf das Rüstungsgeschäft beschränken. Im zivilen Geschäft hat es dagegen von der Entscheidung zum Verkauf des Kolbengeschäfts bis zum Teilvollzug – im Januar haben Sie den Verkauf des Großkolbengeschäfts vollzogen – recht lange gedauert. Was machen Sie jetzt mit dem Kleinkolbengeschäft?
Wir sind auch frühzeitig in den Prozess zum Verkauf der Kleinkolben eingestiegen und befinden uns momentan in Gesprächen mit verschiedenen Investoren. Ich bin zuversichtlich, dass wir das zeitnah zum Abschluss bringen können.
Bei Rheinmetall gab es in der Vergangenheit regelmäßig die Diskussion um die Aufspaltung in den Rüstungsbereich auf der einen und das zivile Geschäft auf der anderen Seite. Nimmt die Diskussion wieder Fahrt auf, da Sie jetzt vornehmlich im Rüstungsgeschäft wachsen?
Im zivilen Bereich ist unser Ziel, neue Technologiefelder zu entwickeln. Natürlich stellen wir regelmäßig zur Diskussion, wie wir mit dem Bereich weiter umgehen. Aber es gibt keine konkreten Überlegungen.
Mit der neuen Organisationsstruktur, die Rheinmetall 2021 einführte, sollte die Debatte eigentlich beendet sein. Zusammengewachsen sind die Geschäfte gleichwohl nicht, das zeigte nicht zuletzt die Cyberattacke im April, von der ausschließlich der zivile Bereich betroffen war.
Wir haben zwei getrennte IT-Systeme, was uns gerade bei der Cyberattacke sehr zum Vorteil diente. Aber wir haben auch die eine oder andere Verzahnung oder Berührungspunkte.
Zur Person
Seit Januar dieses Jahres sitzt mit Dagmar Steinert erstmals eine Frau im dreiköpfigen Vorstand von Rheinmetall und ist noch dazu für die Finanzen des Konzerns zuständig. Doch was sich für den Rüstungs- und Automotive-Konzern wie Zeitenwende anfühlen mag, ist für Steinert nicht neu. Auch bei ihrem vorherigen Arbeitgeber, dem Mannheimer Schmierstoffhersteller Fuchs Petrolub, war sie die erste Frau im Vorstand. Mit Zuständigkeit für die Finanzen im Konzern kommt der 59-Jährigen eine herausragende Stellung zu, muss sie doch dafür sorgen, dass die vollmundigen Versprechen im boomenden Rüstungsgeschäft auch finanzierbar sind.
Hart quantifizierbare Synergien gibt es jedoch nicht, oder?
Wir haben keine Marktsynergien. Wir arbeiten jedoch auf Technologieebene durchaus übergreifend miteinander. Ein Beispiel ist die Rumpfmittelteilfertigung in Weeze, wo wir unsere Erfahrungen aus den militärischen und den zivilen Divisionen zusammenführen. Ein weiteres Beispiel ist die neue Produktionslinie für die Gepard-Munition in Unterlüß, die der zivile Bereich konzipiert hat.
Der Fokus von Rheinmetall liegt eindeutig auf dem Rüstungsgeschäft. Wie lange schauen die Investoren tatenlos zu?
Wir veräußern gerade den Kleinkolbenbereich. Der dann noch vorhandene zivile Bereich unterliegt einer technischen Transformation und wir sind zuversichtlich, dass wir dadurch die Rentabilität steigern können. Dann muss man sehen, wie sich das weiterentwickelt.
Spüren Sie bereits den Druck der Investoren?
Nein.
Hilft Ihnen dabei, dass der Staat seinen Segen geben muss, wenn einzelne Investoren größere Aktienpakete kaufen?
Nein, das tut nichts zur Sache. Wenn man sich die Unternehmen anschaut, bei denen aktivistische Investoren aktiv sind oder waren, dann reden wir immer über Beteiligungen von wenigen Prozent. Der beste Schutz vor aktivistischen Investoren ist ein hoher Aktienkurs.
Aktienkurs mehr als verdoppelt
Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine hat sich der Aktienkurs um mehr als 250% erhöht. Die Sicht der Investoren auf Rüstungsaktien hat sich verändert. Wie nehmen Sie das wahr?
Die Zeitenwende hat viel verändert. Einmal wirtschaftlich, dann aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Wahrnehmung hat sich zum Positiven hin gewandelt, was sich auch in einer stark gestiegenen Bewerberanzahl widerspiegelt.
Sind Rüstungsaktien unter ESG-Aspekten inzwischen hoffähig?
Es gab schon immer Investoren, die Rüstungsaktien nicht geächtet haben, und andere, die niemals in Rüstung investieren werden. Die Akzeptanz ist aber deutlich gestiegen.
Haben Sie neue Investoren gewonnen?
Der Investorenkreis hat sich seit Ausbruch des Kriegs nicht signifikant verändert. Vielleicht hat sich die Konzentration der Top-20-Investoren etwas verstärkt, aber die institutionellen Investoren von Rheinmetall waren schon immer eher im angelsächsischen Raum angesiedelt. Die institutionellen Investoren machen bei uns etwa 70% aus, davon stammt der überwiegende Teil aus dem angelsächsischen Raum.
Das Interview führte Annette Becker.