Rolls-Royce fällt aus allen Wolken

Milliardenverlust - Schrumpfkur soll helfen - Unternehmensteile ins Schaufenster gestellt

Rolls-Royce fällt aus allen Wolken

Die weltweite Luftfahrtkrise trifft den Triebwerkshersteller Rolls-Royce hart. Der Stolz britischer Ingenieurskunst schreibt den größten Verlust der Firmengeschichte und sucht sein Heil in einer radikalen Schrumpfkur. Unternehmensteile im Wert von mehr als 2 Mrd. Pfund sollen verkauft werden. bet London – Der weitgehende Stillstand in der Passagierluftfahrt durch die Corona-Pandemie hat dem britischen Industriekonzern Rolls-Royce erheblich zugesetzt. Der Umsatz sank im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 26 % auf 5,8 Mrd. Pfund, wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte. Gleichzeitig fiel ein Verlust von 5,4 Mrd. Pfund an, weil das operative Minus durch erhebliche Abschreibungen noch verstärkt wurde. Es ist die größte Einbuße der Firmengeschichte. Rolls-Royce zählt neben General Electric und Pratt & Whitney zu den weltgrößten Herstellern von Flugzeugtriebwerken.Die Zahl der Flugstunden von Maschinen mit Rolls-Royce-Turbinen fiel im zweiten Quartal um 75 %. Das bedeutet nicht nur weniger Wartungsarbeiten, sondern spielt auch deshalb eine große Rolle, weil viele Kunden den Hersteller nach dem tatsächlichen Einsatz der Triebwerke bezahlen. Zudem hat Rolls-Royce im ersten Halbjahr nur 137 neue Triebwerke für Großraumflugzeuge ausgeliefert, rund die Hälfte weniger als vor einem Jahr. Der Konzern ist auf solche Antriebe spezialisiert – und genau diese Maschinen bleiben seit Ausbruch der Pandemie am längsten am Boden und dürften in naher Zukunft absehbar am wenigsten gebaut und nachgefragt werden. Aktie im SinkflugFirmenchef Warren East erwartet ein niedriges Niveau von Auslieferungen bis mindestens zum Jahr 2022 und eine vollständige Erholung der Zahl der Flugstunden erst für 2024. Um die Finanzen zu stabilisieren, plant Rolls-Royce den Verkauf von Unternehmensteilen im Wert von mehr als 2 Mrd. Pfund. Das könnte ITP Aero betreffen, eine Tochtergesellschaft in Spanien, die Rotorblätter für Triebwerke herstellt. Die Ausgabe neuer Aktien gilt zwar als möglich, wird vom Management aber nicht forciert. Investoren bleiben skeptisch: Die Aktie von Rolls-Royce verlor am Donnerstag zunächst bis zu 9 %; der Corona-Schock im Frühjahr hatte sie bereits um 60 % einbrechen lassen.Immerhin sind Rolls-Royce-Triebwerke überproportional in jüngeren und kosteneffizienten Flugzeugen verbaut, die bei einer Wiederbelebung des Großraumsegments bevorzugt reaktiviert werden könnten. Firmenchef East hielt sich in einer Telefonkonferenz zugute, man habe schnell gehandelt: Schon im Mai hatte Rolls-Royce den Abbau von 9 000 Arbeitsplätzen angekündigt, etwa ein Drittel der Belegschaft in der Triebwerksparte für zivile Luftfahrt. Standorte sollen zusammengelegt werden. Es ist der größte Umbau der Firmengeschichte, der die Sparte substanziell schrumpfen wird.In Großbritannien wird Rolls-Royce als Kandidat für eine Rettung durch den Staat gehandelt. Staatshilfe ist vor allem wegen der Rüstungssparte nicht ausgeschlossen, sowohl aufgrund der Bedeutung für die Landesverteidigung wie auch für das heimische Netz aus Zulieferern. Die Rüstung macht etwa einen Viertel des Umsatzes von Rolls-Royce aus. Sie wurde von der Pandemie nicht tangiert, im Gegensatz auch zum dritten und ähnlich großen Unternehmensteil, der Stromerzeugung. Dazu zählen der Bau von Generatoren für Erdöl- und Erdgasanlagen oder für Züge.Der Umbau zu den drei Säulen wurde vor zwei Jahren lanciert und sollte einen Neustart ermöglichen, nachdem die Firma von Verlusten erschüttert worden war. Kurz vor Ausbruch der Pandemie schien Rolls-Royce auch endlich die Probleme mit Haarrissen in ihren Trent-1 000-Turbinen in den Griff zu kriegen, die nicht nur das Geschäftsergebnis in Milliardenhöhe, sondern auch die Reputation belasteten. Allerdings zuckten Analysten Anfang August zusammen, als bei den Rotorblättern von Trent-XWB-Triebwerken, die in A350-Flugzeugen von Airbus zum Einsatz kommen, ebenfalls Risse entdeckt wurden. Die Konzentration auf wenige Triebwerkmodelle zähle zu den größten Firmenrisiken, warnt Moody’s. Die drei großen Ratingagenturen haben Rolls-Royce das Investment-Grade-Etikett entzogen und die Anleihen als “Ramsch” eingestuft.