SIEMENS ZIEHT ZWISCHENBILANZ - KOMMENTAR

Rückkehr des Vertrauens

Was haben runde Geburtstage mit runden Aktienkursen gemeinsam? Es sind sachfremd gewählte Punkte in einem Kontinuum, denen gerne irgendeine Bedeutung zugesprochen wird. Meist kommt bei derlei Interpretationen ein rechter Krampf raus. Insofern ist es...

Rückkehr des Vertrauens

Was haben runde Geburtstage mit runden Aktienkursen gemeinsam? Es sind sachfremd gewählte Punkte in einem Kontinuum, denen gerne irgendeine Bedeutung zugesprochen wird. Meist kommt bei derlei Interpretationen ein rechter Krampf raus. Insofern ist es ein gefährliches Unterfangen, den Sprung der Siemens-Aktie über die Marke von 100 Euro zum Ausgangspunkt eines Kommentars zu nehmen. Doch in diesem Fall lohnt es sich, weil es Erkenntnis fördert.Auf den ersten Blick leuchtet dies nicht ein. Immerhin hat die Notierung schon mehrfach die Schallmauer durchbrochen. Im Online-Hype zur Jahrtausendwende gelang dies, dann kurz vor dem Platzen der Finanzkrise 2007, infolge der Ernennung von Joe Kaeser zum Siemens-Chef und letztmals 2015 nach dem Fluten der Märkte mit dem Geld der Europäischen Zentralbank. Diese dreistelligen Notierungen zählen sogar mehr, nicht nur weil sie höher ausfielen, sondern weil seitdem Dividenden gezahlt und Aktienrückkäufe getätigt wurden. Was also ist neu?Es gibt eine fundamentale Veränderung: Diesmal treibt kein Hype die Aktie – weder um das Internet noch um die allgemeine Konjunktur, weder um einen neuen Manager noch um die Notenbank. Im Gegenteil: Das Umfeld im August 2016 ist widrig. China ist als verlässlicher Abnehmer ausgefallen, der Ölpreisverfall drückt auf die Ausgabenfreude der Förderländer, die Schuldenkrise in Europa lässt die staatlichen Investitionsbudgets schrumpfen, und die profitablen Kurzzykliker bringen wenig Geld.Dass der Markt für Investitionsgüter vielerorts am Boden liegt, geht auch an Siemens nicht spurlos vorbei. So bemerkenswert der Umsatzanstieg im dritten Quartal ist, so sehr wird er doch nur vom Energiegeschäft getragen und so sehr fehlt damit die breite Unterfütterung. Die Dynamik ist also anfällig für Rückschläge. Auch die operativen Margen, wenngleich seit vier Quartalen stabil über der 10 %-Marke, sind noch weit vom Niveau des Konkurrenten General Electric entfernt. Warum schließt die Siemens-Aktie im Xetra-Handel am Donnerstag trotzdem mit 101,15 Euro?Klar, es gab eine Erhöhung der Gewinnprognose. Viel wichtiger aber ist: Das Vertrauen der Anleger ist zurückgekehrt. Die Führung hat sich dies hart erarbeitet. Man setze um, was man sich vorgenommen habe, formuliert Kaeser. Man kann es auch kürzer sagen: Ein Mann, ein Wort. In den vergangenen fünf Quartalen fiel das operative Ergebnis fünf Mal höher aus als vom Finanzmarkt erwartet. Nach diesen Erfahrungen wächst das Vertrauen, dass Siemens auch kommende Aufgaben meistert.Allerdings muss der Konzern sich, wie alle Unternehmen, neue Fähigkeiten aneignen. Die Geopolitik gerät aus den Fugen. Abstruse Konstellationen werden Realität. Gewappnet ist in diesem Umfeld nur, wer sich höchst flexibel aufstellt.