IM BLICKFELD

Rückläufiger Dieselabsatz alarmiert Hersteller und Politiker

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 28.7.2017 Die Krise der Autoindustrie begann vor knapp zwei Jahren - und sie beutelt die Konzerne so, wie die Finanzkrise die Banken erschüttert hat. Nichts ist mehr wie vorher. Mit der Betrugssoftware von...

Rückläufiger Dieselabsatz alarmiert Hersteller und Politiker

Von Ulli Gericke, BerlinDie Krise der Autoindustrie begann vor knapp zwei Jahren – und sie beutelt die Konzerne so, wie die Finanzkrise die Banken erschüttert hat. Nichts ist mehr wie vorher. Mit der Betrugssoftware von VW, die US-Forscher im September 2015 bekannt machten, fing es an. Erstmals fragten sich Dieselfahrer, ob der spritsparende Selbstzünder tatsächlich so umweltfreundlich ist wie behauptet, wenn die gesetzlichen Emissionsgrenzen offensichtlich ohne Betrügereien nicht erreicht werden können.Im Zuge der darauffolgenden Aufklärung lernten Autointeressierte ein neues Fachwort: das Thermofenster. Dachten bis dato alle, eine Abgasreinigung reinigt Abgase, lernte die Nation jetzt, dass diese Technik ein sensibles Ding ist, das nur unter besonderen Bedingungen reinigt. Ist es zu kalt oder zu heiß, könnte der Motor geschädigt werden, weshalb die Abgasreinigung ganz legal abgeschaltet oder zumindest gedrosselt wird. Bei einigen Automodellen arbeitet die Umweltschutztechnik nur ab 17 Grad Außentemperatur – in einem Land, in dem die durchschnittliche Temperatur bei 8,5 Grad liegt. Die im Verkaufsprospekt angegebenen Emissionsdaten sind entsprechend unrealistisch – jenseits der Tatsache, dass sie auf dem Prüfstand ermittelt wurden, also fern jeglicher Realität. Als ob das noch nicht genug wäre, versetzte dieser Tage ein Bericht des “Spiegel” selbst Gutwillige in Rage. Dort wurde von gemeinsamen Absprachen der fünf großen deutschen Autohersteller Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW berichtet. Auch wenn die Brüsseler Wettbewerbshüter noch Jahre benötigen werden, um herauszufinden, wie viele von diesen Kartellabsprachen genehmigt sind oder wettbewerbswidrig – und damit strafbewehrt -, so bedeuten diese Vorwürfe doch einen erneuten Tiefschlag: für den Diesel und den (einst) hochgelobten Automobilstandort Deutschland. Selbst der jeder Scharfmacherei unverdächtige Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, dringt nun darauf, dass die Autoindustrie “jetzt mal reinen Tisch” macht.Dies ist umso wichtiger, als das Stuttgarter Verwaltungsgericht am heutigen Freitag darüber urteilen wird, inwieweit Verkehrsbeschränkungen notwendig werden an Tagen mit hoher Feinstaub- und Stickoxid(NOx)-Belastung. Andeutungen des Richters bei der Verhandlung lassen erwarten, dass dem Gericht die von der grün-schwarzen Landesregierung unter Winfried Kretschmann präferierte Nachrüstlösung durch die Autofirmen nicht reichen wird – schon gar nicht nach den (bislang) letzten Enthüllungen.Nichts verunsichert einen Autokäufer aber so sehr wie die Drohung, künftig nicht mehr mit seinem Wagen in die Stadt fahren zu dürfen. Registrierte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bis zum VW-Betrugsskandal fast gleich viele Diesel- wie Benziner-Pkw, lag der Anteil des Selbstzünders im Juni 2017 bei nur noch 38,8 %. In absoluten Zahlen legten die Neuzulassungen von Benzinern im vergangenen Monat um 7 % zu, während der Absatz von Diesel-Pkw um 19 % einbrach, listet Autoexperte und EY-Partner Peter Fuß auf und prognostiziert, dass der Absatz von Selbstzündern auch in den kommenden Monaten und Jahren unter Druck bleiben wird: “Die Hiobsbotschaften beim Thema Diesel reißen nicht ab.”Rückläufige Dieselverkäufe treffen die hiesige Autoindustrie hart. Zwar stößt der Selbstzünder (zu) viel gesundheitsschädliches NOx aus. Aber dank des geringeren Spritverbrauchs emittiert ein Diesel weniger des klimaschädlichen Kohlendioxids – und das ist zentral. Denn der CO2-Ausstoß ist der wichtigste Maßstab bei den Brüsslerer Klimavorgaben. Stoßen neu zugelassene Pkw aktuell im Schnitt 128,5 Gramm CO2 je Kilometer aus, gibt Brüssel für 2021 ein Limit von nur noch 95 g/km vor. Wird die Latte gerissen, drohen happige Strafen, die leicht in die Milliarden gehen können. Schon heute ist die EU-Vorgabe kaum zu erreichen – vor allem für die deutschen Autobauer mit ihren häufig schweren, hochmotorisierten Premium-Pkw. Verschärfend kommt der ungebrochene Kundenwunsch nach stärker motorisierten SUVs hinzu, die ebenfalls überdurchschnittlich viel CO2 ausstoßen. Fällt dann auch noch der spritsparende Diesel weg, haben die Autobauer ein zusätzliches Problem, wie sich inzwischen mit wieder steigenden CO2-Emissionen zeigt.Wegbrechende Dieselverkäufe, drohende Milliardenstrafen und eine sinkende Glaubwürdigkeit sind aber nicht nur betriebswirtschaftlich relevant. In der Autoindustrie arbeiten gut 800 000 allermeist gut bezahlte Beschäftigte – nur im Maschinenbau gibt es mehr Jobs. Zudem sind Autobauer und Zulieferer Exportmotoren, die den Wohlstand garantieren. Kein Wunder, dass Politiker alles tun, was der Branche nutzt – egal ob SPD-Ex-Kanzler Gerhard Schröder oder CDU-Nachfolgerin Angela Merkel oder auf Landesebene der grüne Kretschmann, der sich privat erst unlängst einen Diesel gekauft hatte, weil er “einfach ein gescheit’s Auto” braucht. “Es ist wohl so, dass der Staat es häufig an Distanz zur Autoindustrie hat mangeln lassen”, gab sich gestern Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bei einem VW-Besuch reumütig. Dieselgipfel am 2. AugustZusammen mit Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) haben beide am 2. August zum “Nationalen Forum Diesel” geladen. Gemeinsam mit Ländern und der Branche sollen neue Mobilitätskonzepte entwickelt werden. Vor allem aber werden Lösungen gesucht, wie der Diesel sauberer, Fahrverbote vermieden und im besten Fall die verloren gegangene Glaubwürdigkeit zumindest zum Teil wiederhergestellt werden kann. Irritierend ist vor dem Gipfel, dass sich beispielsweise Daimler freiwillig verpflichtet, nicht nur die teilweise lediglich drei Jahre alten Euro-5-Motoren kostenlos nachzubessern, sondern auch die allerneuesten und saubersten aller sauberen 6er Diesel. Insgesamt gut 3 Millionen Autos – die offensichtlich als teure Neuwagen bei weitem nicht dem Stand der Technik entsprechen. Wer will da noch alten Versprechungen glauben?