VOLKSWAGEN

Rückschlag als Fortschritt

Matthias Müller ist um seinen Job bei Volkswagen nicht zu beneiden. Von Beginn an wurde die Berufung des früheren Porsche-Chefs an die Konzernspitze kritisiert, weil er doch als langjähriger Angehöriger des Wolfsburger Konzerns selbst Teil des...

Rückschlag als Fortschritt

Matthias Müller ist um seinen Job bei Volkswagen nicht zu beneiden. Von Beginn an wurde die Berufung des früheren Porsche-Chefs an die Konzernspitze kritisiert, weil er doch als langjähriger Angehöriger des Wolfsburger Konzerns selbst Teil des Problems sei. Wie kann so einer, auch wenn er – anders als sein Vorgänger Martin Winterkorn – als zuhörender Teamplayer gilt, dann Teil der Lösung sein?Dass er sich mit der Aufarbeitung der vielfältigen Missstände in dem komplexen Riesenreich würde beeilen müssen, war von Beginn an klar. Gleichwohl verwundert doch, dass Müller noch nicht einmal die üblichen 100 Tage eingeräumt werden, um in die tiefen Verkrustungen einzudringen. Dass jetzt in den USA verkaufte einige tausend Diesel-Cayenne mit möglicherweise zu beanstandenden Abgaswerten schon ausreichen können, den frisch Berufenen in Frage zu stellen, erstaunt denn doch.Müller selbst hat vor Führungskräften des Konzerns darauf hingewiesen, dass die von ihm eingeleitete “schonungslose und konsequente Aufklärung” für Unternehmen, Beschäftigte und Manager schmerzhaft werden würde. Vor allem aber sagte er auch, die Aufklärung werde nur Stück für Stück voranschreiten – und es werde auf diesem Weg Rückschläge geben.Die jetzt dank interner Ermittlungen festgestellten Betrügereinen mit zu niedrig angesetzten CO2- und Verbrauchswerten bei rund 800 000 Fahrzeugen des Konzerns aus jüngeren Zulassungsjahren sind so gesehen ein Rückschritt – mit kalkulierten 2 Mrd. Euro wirtschaftlichem Risiko auch ein besonders teurer.Aber gerade dieser herbe Rückschritt kann auch als Fortschritt gewertet werden, signalisiert doch Volkswagen damit, dass die Betrügereien tatsächlich ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Ansehen der betroffenen Person angegangen werden. Wenn weiterhin in dieser Weise Tabula rasa gemacht wird, muss der Tag, an dem die Wolfsburger wieder zuversichtlich nach vorne blicken können, auch nicht in ferner Zukunft liegen.Die technischen Probleme dürften recht schnell erkannt, bewertet und dann allmählich abgearbeitet werden können. In Sachen neuer Unternehmenskultur sollte man aber keine Wunder erwarten. Dafür haben sich die Strukturen des Konzerns zu lange in falsche Bahnen entwickelt. Ein brachiales Vorgehen könnte zudem die operative Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. So wirkt VW derzeit wie ein angeschlagener Boxer mit einer überforderten Krisenkommunikation. Und natürlich: Weitere Rückschläge sind immer möglich.