65. IAA NUTZFAHRZEUGE - 25. SEPTEMBER - 2. OKTOBER 2014 - HANNOVER - SERIE: NUTZFAHRZEUGE AUF GLOBALEM KURS (7)

Russland: Sand im Getriebe

Lkw schon vor dem Greifen von EU-Sanktionen im Rückwärtsgang - Regierung will mit Kaufanreizen den Markt flottmachen

Russland: Sand im Getriebe

Russlands Lkw-Markt ist derzeit alles andere als attraktiv. Daran wird sich in absehbarer Zeit wenig ändern. Es sei denn, dass die Aufhebung der Sanktionen auch wieder einen Wirtschaftsaufschwung nach sich zieht. Oder dass die russischen Notmaßnahmen zur Erneuerung des veralteten Fuhrparks tatsächlich greifen.Von Eduard Steiner, MoskauIn Russland, das 2008 noch auf dem Sprung war, alsbald Deutschland als größten Automarkt Europas zu überholen, bricht derzeit nicht nur der Pkw-Absatz so dramatisch ein wie seit dem Krisenjahr 2009 nicht mehr. Auch der Lkw-Markt schrumpft mit rasantem Tempo. Ging der Pkw-Verkauf in den ersten acht Monaten laut Statistik der Association of European Businesses in Russland (AEB) um 12,1 % zurück, so der Lkw-Markt inklusive Kleintransporter – gemäß der für die ersten sieben Monate vorliegenden Daten des Branchenberatungsunternehmens ASM-Holding – gar um 18,6 %. Und zwar in allen Marktsegmenten. Gebrauchte wenig gefragtSieht man vom Import gebrauchter Lkw ab, der sich um über 75 % verringerte und jetzt ohnehin nur noch ein Prozent Marktanteil ausmacht, so zeigt sich der größte Rückgang beim Verkauf der in Russland produzierten ausländischen Modelle. Sie waren um 32,5 % weniger nachgefragt als ein Jahr zuvor und verfügen nun über einen Marktanteil von 8,2 %. Auch von den russischen Modellen – allen voran denen des Herstellers Kamaz – wurden nur 57 000 Stück verkauft, was einem Minus von 17,9 % entspricht. Am wenigsten verlor der Import neuer Lkw – und zwar um 11,5 %. Somit konnten die neuen Importfahrzeuge ihren Marktanteil von 41,3 auf 44,9 % ausweiten, während die einheimischen Modelle leicht auf 46 % Marktanteil zulegten.Der konjunkturelle Hintergrund könnte verheerender kaum sein. Spätestens im Vorjahr wurde klar, dass sich das vom Ölpreis getriebene Wachstumsmodell erschöpft hat und die Wirtschaft in Ermangelung eines neuen investitionsgetriebenen Modells in die Stagnation gleitet. Die restaurative Politik seit der Rückkehr von Wladimir Putin in den Kreml 2012 hat mehr zu Kapitalabfluss als zu Investitionen geführt. Entsprechend gehe der Markt für Lasttransporte bereits zwei Jahre lang zurück, wird Andrej Tschursin, Chef des zuständigen AEB-Ausschusses, in der russischen Wirtschaftszeitung “RBC daily” zitiert: Der Markt für Lasttransporte reagiere sehr empfindlich auf die ökonomische Situation.Aber: “Lässt man die politischen Risiken außer Acht, dann haben wir eine Stabilisierung und eine gewisse Belebung auf dem Markt bis zum Jahresende erwartet – bedingt durch die Notwendigkeit einer Erneuerung des Fuhrparkes und einer allgemeinen Müdigkeit von der Krise.”Die politischen Krisen können freilich nicht nur nicht ignoriert werden. Im Gegenteil: Sie sind präsent wie eh und je und haben durch die Ausweitung der EU-Sanktionen eine neue Dimension erreicht. Schon hat Putins Wirtschaftsberater Andrej Belousow mögliche Reaktionsmaßnahmen umrissen und darunter auch den Autosektor genannt, obwohl von Lkw bisher nicht die Rede ist.Wie immer sich die politischen Umstände weiterentwickeln: Für das Gesamtjahr sagte Sergej Kogogin, Chef des Lkw-Branchenprimus Kamaz, Mitte August eine Schrumpfung des Gesamtmarktes um 18 bis 20 % voraus. Daimler hält sich zurückDa bleibt auch der deutsche Autobauer Daimler zurückhaltend, der mit seinem Partner Kamaz in zwei Gemeinschaftsunternehmen Lkw und Vans sowie Kabinen in Lizenz herstellt. Die ungünstige Entwicklung der russischen Wirtschaft könne in die Rezession führen, heißt es im Bericht zum zweiten Quartal. Schon kurz zuvor haben die Stuttgarter die Gespräche über eine Aufstockung ihres Anteils an Kamaz beendet. Daimler hält damit weiter 11 % an Kamaz und weitere 4 % gemeinsam mit der Entwicklungbank EBRD. Der Anteil hat den Stuttgartern im ersten Halbjahr einen Verlust von 2 Mill. Euro beschert, während im Vorjahr 7 Mill. Euro Gewinn erzielt worden waren. Der Großteil des diesjährigen Verlustes entfiel auf das erste Quartal. Im Vorjahr ist Daimlers Lkw-Verkauf in Russland um 23 % auf 3 849 Stück zurückgegangen.Kamaz selbst hat im ersten Halbjahr einen Verlust von 1,5 Mrd. Rubel (33 Mio. Euro) erlitten. Der Umsatz ging um 10,44 Prozent auf 47,61 Mrd. Rubel zurück. Seinen Platzhirsch lässt die russische Regierung freilich nicht im Stich. Im August hat Premierminister Dmitri Medwedjew Kamaz Staatsgarantien im Volumen von umgerechnet 726 Mill. Euro zur Schuldenaufnahme zugesagt und damit ein Kursfeuerwerk bei der Kamaz-Aktie ausgelöst. Mit der Unterstützung soll Kamaz leichter an frisches Geld für Investitionen – etwa in die Entwicklung neuer Modelle – kommen. Medwedjew nannte in diesem Zusammenhang die Situation auf dem russischen Fahrzeugmarkt “ziemlich hart”. Neue AbwrackprämieUnterdessen hat Russland die Einführung einer neuen Abwrackprämie beschlossen, wie sie schon im Krisenjahr 2009, als der russische Automarkt um ganze 50 % eingebrochen war, bestanden hatte. Im Unterschied zu damals freilich sollen jetzt auch Lkw und Autobusse von der Stimulierungsmaßnahme erfasst werden. Für die Abwrackung oder den Eintausch eines mindestens sechs Jahre alten Lkw gegen einen neuen stellt der Staat 350 000 Rubel bereit. Die staatliche Maßnahme, die eigentlich ab 1. September hätte in Kraft treten sollen, hat bislang zwar noch immer nicht gestartet. Allerdings greifen einzelne Produzenten bereits vor und gewähren Rabatte, von denen sie hoffen, dass sie dann von der Regierung refundiert werden.Die Erneuerung des Fuhrparks ist ohnehin dringend vonnöten. Mehr als die Hälfte der in Russland im Einsatz befindlichen Lkw ist derzeit mindestens älter als 15 Jahre, so die Branchenstatistik Avtostat. Erst am Ende der Vorwoche wurde bekannt, dass das Industrie- und Handelsministerium auf Expertenebene darüber berät, ab Juli 2015 aus Gründen der sogenannten Verkehrssicherheit vor allem ältere Lkw und Autobusse überhaupt gesetzlich zu verbieten.Wie die Zeitung “Kommersant” unter Berufung auf Branchenkreise berichtete, solle die Altersgrenze bei 15 Jahren oder “leicht darüber” gezogen werden, wobei das Verbot vor allem aus Rücksicht auf die rückständigen ländlichen Gebiete nicht in einem Schritt, sondern sukzessive eingeführt werden solle. Deutlicher Schub erhofftDas Industrieministerium erwartet sich einem ersten Entwurf zufolge, dass diese Maßnahme nächstes Jahr den Verkauf von Kleintransportern um 25 000 Stück und den Verkauf von Lkw (inklusive Sattelschlepper) um 28 000 Stück erhöht. Mit dazu beitragen sollen auch noch andere Unterstützungsmaßnahmen – darunter das 2011 beschlossene Gesetz, den Staatskonzernen bei Bedarf einen prioritären Einkauf bei einheimischen Produzenten vorzuschreiben.—-Zuletzt erschienen: – Tata, Ashok Leyland und Eicher, 16.9.- Dongfeng und Sinotruk, 13.9.