GASTBEITRAG

Sanierungskonzepte müssen keine 200 Seiten haben

Börsen-Zeitung, 14.8.2018 Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) hat unlängst die finale Fassung des Standards zur Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6) veröffentlicht. Mit der Neufassung soll deutlich gemacht werden,...

Sanierungskonzepte müssen keine 200 Seiten haben

Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW) hat unlängst die finale Fassung des Standards zur Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6) veröffentlicht. Mit der Neufassung soll deutlich gemacht werden, dass bei wenig komplexen Unternehmen auch “schlanke” Konzepte möglich sind. Zudem greift das IDW eine in der Praxis und auch im Schrifttum intensiv geführte Diskussion auf: Sah der Entwurf der Neufassung noch vor, dass ein saniertes Unternehmen zwingend auch ein angemessenes bilanzielles Eigenkapital aufweisen muss, können nach der finalen Fassung – unter strengen Voraussetzungen – nun auch Bestandteile des wirtschaftlichen Eigenkapitals berücksichtigt werden. MarktstandardIDW S 6 hat sich bei der Sanierung von Unternehmen auch über die Grenzen des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer hinaus zum Marktstandard entwickelt. Neue Urteile des Bundesgerichtshofs und immer komplexer werdende wirtschaftliche Strukturen haben dazu geführt, dass Sanierungskonzepte nicht selten mehrere hundert Seiten umfassen. Bei kleineren und mittelgroßen Unternehmen (KMU), die oftmals weniger komplex als große Unternehmen sind, ist eine solche Ausweitung aber häufig nicht erforderlich. Vielmehr kann es sogar schädlich sein, wenn damit der Blick auf die zentralen Aussagen des Gutachtens verstellt wird. Gelegentlich stand auch das IDW in der Kritik: Es wurde befürchtet, dass ein so umfassender Standard zwangsläufig zu ausufernden Sanierungskonzepten führen müsse. Dabei wurde verkannt, dass im bisherigen IDW S 6 zahlreiche betriebswirtschaftliche Erläuterungen etwa zu den Krisenstadien oder zu möglichen Sanierungsmaßnahmen gegeben wurden, die aber keine Anforderungen darstellten. Um dieses Missverständnis auszuräumen, um die Lesbarkeit des Standards zu erhöhen und um die auf verschiedenen Urteilen des Bundesgerichtshofs fußenden Anforderungen deutlicher zu betonen, hat das IDW den Standard überarbeitet: Die umfangreichen Erläuterungen wurden in ein separates Fragen-und-Antworten-Papier ausgelagert, das erläuternden und unterstützenden Charakter hat. Mit dem neu gefassten Standard wird zudem klargestellt, dass der Umfang der Beurteilungshandlungen bei KMU an die typischerweise geringere Komplexität anzupassen ist und sich die Darstellung auf die relevanten Sachverhalte zu beschränken hat: Wenn etwa eine Stakeholderkrise nicht vorhanden ist, sind Ausführungen hierzu entbehrlich. Und bei einem lokal agierenden Unternehmen sind umfängliche Erläuterungen zu geopolitischen Entwicklungen oft kontraproduktiv. So kann die Sanierung eines wenig komplexen Unternehmens auch auf beispielsweise 50 Seiten beschrieben werden. Ein saniertes Unternehmen muss neben einer angemessenen Rendite auch ein angemessenes Eigenkapital aufweisen. Fraglich war bislang, ob hierbei bilanzielle Werte maßgeblich sind oder ob beispielsweise durch die Berücksichtigung stiller (das heißt nicht bilanzierungsfähiger) Reserven oder des – dem Eigenkapital ähnlichen – nachrangigen Fremdkapitals auf das sogenannte wirtschaftliche Eigenkapital abzustellen ist. Der Entwurf der Neufassung sah die Maßgeblichkeit des bilanziellen Eigenkapitals vor. Dies kann unter anderem damit begründet werden, dass ein Unternehmen mit zwar positivem wirtschaftlichen, aber negativem bilanziellen Eigenkapital keine Gewinne an die Eigenkapitalgeber ausschütten kann. In den Stellungnahmen zum Entwurf wurde aber deutlich, dass in der Praxis zahlreiche Ausnahmefälle zu beobachten sind, bei denen ein ausschließliches Abstellen auf bilanzielle Werte nicht angemessen wäre. Zu nennen sind zum Beispiel familiengeführte Unternehmen oder in erheblichem Umfang durch Private Equity finanzierte Unternehmen, bei denen die Finanzierungsstruktur zahlreichen Besonderheiten unterliegt. In der finalen Fassung des IDW S 6 wird grundsätzlich weiterhin auf das bilanzielle Eigenkapital abgestellt – in Ausnahmefällen können nun aber Teile des wirtschaftlichen Eigenkapitals berücksichtigt werden. Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn das (Fremd-)Kapital langfristig zur Verfügung gestellt wird und der Gläubiger einen (qualifizierten) Rangrücktritt erklärt hat. Blick auf das WesentlicheIn der finalen Fassung des Standards zur Erstellung von Sanierungskonzepten wurde auch die Anregung aufgegriffen, den Begriff der Angemessenheit zu konkretisieren: Ein starkes Indiz für ein angemessenes Eigenkapital und eine angemessene Rendite liegt dann vor, wenn sich die jeweiligen Werte innerhalb der branchenüblichen Bandbreite bewegen. Es kann aber – insbesondere dann, wenn sich eine relevante Vergleichsgruppe mit vertretbarem Aufwand nicht ermitteln lässt – weitere Kriterien geben, etwa ein Rating mit dem Ergebnis “Investment Grade”.Insgesamt lenkt der “neue” IDW S 6 den Fokus auf die Kernanforderungen der Sanierung und konkretisiert in der öffentlichen Debatte aufgegriffene Fragestellungen. Damit ist ein wichtiger Baustein gelegt, den Trend zu (unbegründet) ausufernden Sanierungskonzepten zu stoppen und den Blick wieder auf das Wesentliche zu richten. —-Klaus-Peter Naumann, Sprecher des Vorstands des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW)