Schaeffler will Vitesco schlucken
Schaeffler greift nach Vitesco
Fränkischer Autozulieferer will Übernahme der früheren Continental-Sparte mit Bankkrediten von 1,8 Mrd. Euro stemmen
Der Autozulieferer Schaeffler will den Antriebsspezialisten Vitesco schlucken, um einen Zuliefer-Riesen für Elektrofahrzeuge zu schaffen. Das SDax-Mitglied bietet für die Aktionäre von Vitesco 91 Euro je Aktie in bar. Das Regensburger MDax-Unternehmen wird dabei mit 3,64 Mrd. Euro bewertet.
sck München
Die Transformation zur Elektromobilität sorgt für einen wachsenden Konsolidierungsdruck unter den Autozulieferern. Zum Wochenauftakt teilte der fränkische Auto- und Industriezulieferer Schaeffler ad hoc mit, mit dem Erwerb der einstigen Continental-Antriebssparte Vitesco einen großen Anbieter für Elektromobilität formen zu wollen. Sollte die Übernahme gelingen, könnte der SDax-Konzern mit Sitz in Herzogenaurach seine Position in der Branche deutlich ausweiten. In Bezug auf die Autoaktivitäten ist Schaeffler mit einem Jahresumsatz von 11,5 Mrd. Euro (Stand 2022) die Nummer 5 im deutschen Markt. Vitesco steht mit 9,1 Mrd. Euro auf dem sechsten Platz. Mit Jahreserlösen von insgesamt rund 25 Mrd. Euro (inklusive Industriebereich von Schaeffler) würde das neu entstehende Gebilde näher an die großen drei der Branche – Bosch, ZF Friedrichshafen und Continental – heranrücken.
In der Elektromobilität ergänzten sich beide Unternehmen, sagte Schaeffler-Vorstandsvorsitzender Klaus Rosenfeld in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. Beide Firmen seien „zusammen stärker“. Die Wettbewerbsfähigkeit würde erhöht. Rosenfeld sprach von einer „strategischen Logik“ des Schritts. Schaeffler umfasst nahezu 84.000 Mitarbeiter, Vitesco kommt auf über 38.000. Zusammen wären es rund 122.000.
Kostensynergien im Visier
Rosenfeld zufolge bringt der Zusammenschluss Kosteneinsparungen vor Zinsen und Steuern von jährlich 600 Mill. Euro. Diese will er bis 2029 umsetzen. Zunächst rechnet die Schaeffler-Führung aber mit Integrationsaufwendungen von bis zu 665 Mill. Euro.
Schaeffler kündigte an, 91 Euro in bar je Vitesco-Aktie zu bieten. Der Bieter bewertet das Übernahmeziel auf dieser Basis mit 3,64 Mrd. Euro. Zum Schlusskurs vom Freitag entspreche dies einer Prämie von 21%, so Schaeffler. Das Papier von Vitesco notierte Mitte September 2021 erstmals bei 59,80 Euro. Nach der Nachricht von Schaeffler sprang der Titel im Xetra-Handel zeitweise um über 21% auf 91,30 Euro und somit über die Offerte. Das markierte den bisher höchsten Kurs der Aktie. Die stimmrechtslose Vorzugsaktie von Schaeffler büßte hingegen zeitweise 9,9% ein, reduzierte im weiteren Tagesverlauf ihre Kursverluste und beendete den Xetra-Handel bei 5,20 Euro (−4,8%). Das war der schwächste Wert seit Oktober 2022. Über Avancen von Schaeffler in Richtung Vitesco wurde zuvor schon spekuliert.
Finanziell gut zu stemmen
Die Eigentümerfamilie Schaeffler hält bereits 49,9% an dem Unternehmen mit Sitz in Regensburg über eine Beteiligungsholding. An Continental hält der Schaeffler-Clan seit einem missglückten Übernahmeversuch in der Finanzkrise 2008 rund 46%. Aufgrund der Aktionärsstruktur ist aus Sicht von Schaeffler die Übernahme finanziell gut zu stemmen. Die Familienholding muss ihre Anteile nicht andienen. Die Schaeffler AG müsste dadurch für den vollständigen Erwerb der im Streubesitz befindlichen Anteilscheine insgesamt „nur“ 1,8 Mrd. Euro berappen.
Neuordnung der Aktionärsstruktur
Rosenfeld zufolge arrangierte Schaeffler ein „umfangreiches Finanzierungspaket“, um den Erwerb zu stemmen. Das schließe eine Brückenfinanzierung ein. Die Großbanken Bank of America, BNP Paribas und Citigroup sicherten die Finanzierung vollständig ab. Laut Rosenfeld ist in einem Jahr ein sinkender Schuldenstand zu erwarten. 2025 soll der Verschuldungsgrad nach der Transaktion unter das 1,5-Fache des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen fallen. Zum Vergleich: Bei Netto-Finanzschulden von 3,2 Mrd. Euro lag der Verschuldungsgrad Ende Juni bei 1,5. Schaeffler will die Übernahme rasch bewerkstelligen. Der CEO rechnet mit dem Angebot von Mitte November bis Mitte Dezember, im vierten Quartal 2024 soll dann die Verschmelzung vollzogen werden. Eine Mindestannahmeschwelle für das Gebot ist nicht vorgesehen. Das Übernahmeangebot soll aber der erste Schritt auf dem Weg zu einer Fusion sein. Nach Durchführung des Erwerbsangebots plant Schaeffler, Vitesco rechtlich auf Schaeffler zu verschmelzen. Ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag ist demnach nicht geplant.
Schaeffler will zudem im Zusammenhang mit der angestrebten Fusion seine Vorzugsaktien im Verhältnis eins zu eins in Stammpapiere mit Stimmrecht umwandeln. Die Aktionäre müssen dem in einer außerordentlichen Hauptversammlung zustimmen. Bisher hält die Familie die Stammpapiere des Wälzlagerherstellers komplett, von den stimmrechtslosen Vorzügen befinden sich drei Viertel im Streubesitz.
Die Übernahme erfordere keine Zustimmung von Kartellbehörden, weder in der EU noch in Ländern außerhalb der Gemeinschaft. Schaeffler begründet das mit den Beteiligungen der Familienholding, darunter auch an Vitesco.