RECHT UND KAPITALMARKT

Schengen für Unternehmen lässt auf sich warten

Harmonisiertes System für die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften fehlt - Neuer Impuls der EU-Kommission

Schengen für Unternehmen lässt auf sich warten

Von Hartwin Bungert *)Schlagbäume an innereuropäischen Grenzen – was für Autofahrer seit Inkrafttreten des Schengener Übereinkommens vor nahezu 20 Jahren als Relikt aus grauer Vorzeit anmutet, ist für die EU-weite Mobilität von Gesellschaften in vielen Bereichen nach wie vor Realität. An der Grenze ist in vielen Fällen rechtlich oder jedenfalls faktisch Endstation. Obwohl der Europäische Gerichtshof mehrfach klargestellt hat, dass es gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt, grenzüberschreitende Umwandlungen anders als nationale Umwandlungen zu behandeln, fehlt hierfür nach wie vor ein in der Praxis umfassend nutzbares Regelwerk. 2005 umgesetztDie grenzüberschreitende Verschmelzung wurde zwar aufgrund der Verschmelzungsrichtlinie aus dem Jahr 2005 in den nationalen Rechtsordnungen umgesetzt, in Deutschland 2007. Die praktischen Erfahrungen offenbaren allerdings, dass im Detail Nachbesserungsbedarf besteht. Die Regelungen für Spaltungen wurden durch die Spaltungsrichtlinie bereits 1982 auf nationaler Ebene harmonisiert. Auf europäischer Ebene fehlt jedoch ein Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Spaltungen. Am 8. September hat die EU-Kommission mit einer Konsultation zur grenzüberschreitenden Verschmelzung und Spaltung einen neuen Impuls gesetzt, aus dem hoffentlich ein großer Wurf für die nationalen Gesetzgeber folgt.Die Europäische Kommission hatte im Aktionsplan Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance vom 12. Dezember 2012 angekündigt, den durch die Verschmelzungsrichtlinie geschaffenen Rechtsrahmen an die Bedürfnisse des Binnenmarktes anzupassen. Bei den nun von der Kommission gestarteten Konsultation kann zu verschiedenen Themen der Harmonisierung der grenzüberschreitenden Verschmelzung und der Schaffung eines harmonisierten Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Spaltungen Stellung genommen werden. Bisher nur konzerninternAus Sicht der Praxis ist eine weitere Harmonisierung der grenzüberschreitenden Verschmelzung sehr zu begrüßen. Grenzüberschreitende Verschmelzungen sind in der Praxis bislang nur innerhalb von Konzernen durchgeführt worden. Und dort mit steigender Tendenz – so 100 Verschmelzungen 2012, seit 2007 insgesamt 381 (vgl. Studie “Grenzüberschreitende Verschmelzungen 2007 bis 2012”, Prof. Bayer, Universität Jena, April 2013). Eine Publikumsaktiengesellschaft hat sich jedoch noch nicht getraut, grenzüberschreitend zu verschmelzen. Dies liegt daran, dass im Hinblick auf die Rechte der Minderheitsaktionäre das deutsche Recht nur schwer beherrschbare Transaktionsrisiken enthält. Das gilt sowohl für Hineinverschmelzungen auf eine deutsche Gesellschaft als auch für Herausverschmelzungen einer deutschen Gesellschaft auf eine ausländische.Bei Hineinverschmelzungen nach Deutschland können die Minderheitsaktionäre der übernehmenden deutschen Publikumsaktiengesellschaft den Verschmelzungsbeschluss der Hauptversammlung anfechten und so die Wirksamkeit der Verschmelzung zu blockieren versuchen. Zwar besteht die Möglichkeit, missbräuchliche Blockaden in einem Freigabeverfahren innerhalb weniger Monate zu beseitigen, unter anderem wenn die Klagen offensichtlich unbegründet sind, oder im Rahmen einer Interessenabwägung. In der Praxis wird dies doch aufgrund komplexer – nicht harmonisierter – Bewertungsfragen als schwierig beurteilt. Im Ausland gibt es zwar formal häufig auch Anfechtungsmöglichkeiten, die im Regelfall jedoch nicht ausgenutzt werden. Anders als bei uns gibt es dort nicht das Phänomen der “Berufsaktionäre”, die die Anfechtungsklagen wie bei nationalen Verschmelzungen auch tatsächlich erheben würden.Eine Vereinheitlichung der Bewertungsmethoden wäre hier allerdings nur ein erster Schritt. Radikaler wäre es, bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen die Überprüfung der Angemessenheit des Umtauschverhältnisses für die Aktionäre sowohl der übertragenden als auch der übernehmenden Gesellschaft von der Wirksamkeit der Verschmelzung abzukoppeln und in ein nachgelagertes länderübergreifendes gerichtliches Spruchverfahren mit der Möglichkeit der Korrektur zugunsten nur einer Aktionärsgruppe durch Aktien- oder Barausgleich zu transferieren. Mit SpruchverfahrenBei nationalen Verschmelzungen haben Aktionäre der übertragenden Publikumsaktiengesellschaft keine Blockademöglichkeit im Hinblick auf das Umtauschverhältnis. Ihnen steht stattdessen als nachgelagerte Möglichkeit zur Überprüfung der Angemessenheit das gerichtliche Spruchverfahren zur Verfügung. Bei der grenzüberschreitenden Herausverschmelzung kann dagegen den deutschen Minderheitsaktionären die Blockademöglichkeit nur genommen werden, wenn die Aktionäre der ausländischen Gesellschaft zustimmen, dass die deutschen Aktionäre das Umtauschverhältnis im Spruchverfahren überprüfen lassen können. Einer Zustimmung bedarf es nur dann nicht, wenn das ausländische Recht ebenfalls ein Verfahren zur Kontrolle und Änderung des Umtauschverhältnisses vorsieht. Dies ist aber nur in Österreich der Fall. Für die Aktionäre der übernehmenden ausländischen Gesellschaft besteht kein Anreiz zur Zustimmung.Eine im Rahmen eines Spruchverfahrens festgesetzte bare Nachzahlung würde ausschließlich (sämtliche) Aktionäre der übertragenden deutschen Gesellschaft begünstigen und aus dem Vermögen der übernehmenden Gesellschaft erfolgen. Für die Aktionäre der übernehmenden ausländischen Gesellschaft wäre dies also ein doppeltes Minusgeschäft. Eine Lösung könnte auch hier wieder die EU-weite Einführung eines Spruchverfahrens als gemeinsame Korrektur zugunsten beider sein. Unkalkulierbares RisikoEin wirtschaftlich unkalkulierbares Risiko ist ferner, dass das deutsche Recht Minderheitsaktionären bei grenzüberschreitenden Herausverschmelzungen ein Recht auf Austritt gegen Barabfindung zubilligt, das diese durch Widerspruch gegen den Verschmelzungsbeschluss der Hauptversammlung ausüben können. Es widerspricht dem Gedanken der Niederlassungsfreiheit, anderen – harmonisierten – Rechtsordnungen derart zu misstrauen, dass man Aktionären die von der Mehrheit beschlossene Verschmelzung über die Grenze nicht gegen ihren Willen zumuten möchte. Nimmt man die Niederlassungsfreiheit ernst, darf man eine grenzüberschreitende Verschmelzung nicht anders behandeln als innerdeutsche Verschmelzungen.Obwohl die Zulässigkeit derartiger Spaltungen seit den deutlichen Worten der SEVIC-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr bezweifelt werden kann, sind sie praktisch nahezu undurchführbar. Es gibt keine einschlägigen nationalen Rechtsnormen dafür und Ablauf und sämtliche Verfahrensfragen sind daher ungeklärt. Minderheitsrechte tangiertBei der Schaffung eines harmonisierten Regelungswerks wird zu berücksichtigen sein, dass bei Spaltungen die Interessen von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigern wegen der Aufteilung des Vermögens und der Haftungsmasse auf mehrere Rechtsträger stärker tangiert sind als bei Verschmelzungen. Aber auch das harmonisierte nationale Spaltungsrecht berücksichtigt dies bereits etwa über gläubigerschützende Nachhaftungsvorschriften. Die Arbeitnehmermitbestimmung ist für die Herausspaltung einfacher zu regeln als bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen. Der deutsche Rechtsträger bleibt bestehen und das Mitbestimmungsrecht anwendbar.Bedauerlich ist, dass sich die Konsultation nicht auf die identitätswahrende Satzungssitzverlegung über die Grenze erstreckt. Wenngleich in Deutschland erfolgreich erste grenzüberschreitende (Hinein-)Formwechsel durchgeführt worden sind, besteht weiterhin erhebliche Rechtsunsicherheit. Ein Entwurf der EU-Sitzverlegungsrichtlinie steht seit langem bereit und scheiterte an der Mitbestimmungsfrage. Der europäische Gesetzgeber sollte daher ein umfassendes harmonisiertes System für die grenzüberschreitende Mobilität von Gesellschaften, einschließlich des grenzüberschreitenden Formwechsels, schaffen.—-*) Dr. Hartwin Bungert ist Partner im Düsseldorfer Büro von Hengeler Mueller.