Schonfrist zum Weichenstellen

Schutzschirm seit 2012 - 14 Jahre nach Einführung: Insolvenzplan kaum etabliert

Schonfrist zum Weichenstellen

Von Walther Becker, FrankfurtDer Suhrkamp Verlag versucht es und der Immobilienkonzern IVG, der Callcenter-Betreiber Walter Services steht davor, der Autozulieferer Neumayer Tekfor hat Erfahrung damit, und der Solaranlagenbauer Centrotherm war der erste größere und börsennotierte Fall, der es nach neuem Recht hinter sich gebracht hat: das Schutzschirmverfahren unter dem ESUG, dem im März 2012 in Kraft getretenen Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung.Im Fall Centrotherm war es gelungen, der Gesellschaft den Kapitalmarktzugang zu sichern, womit das Spektrum möglicher Käufer erweitert wurde. Bei dem in der Insolvenz vollzogenen Kapitalschnitt wurden die Altaktionäre nicht komplett enteignet, sondern 20 % ihrer Anteile blieben erhalten. Die Gläubiger haben über ein Vehikel mit 80 % das Sagen. Auch im Fall des Holzwerkstoffherstellers Pfleiderer ging es technisch um einen Debt-to-Equity-Swap. Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, dass dort das Kapital im ersten Schritt auf null herabgesetzt wurde. Dann übernahm ein Investor gegen Einlage von Forderungen das gesamte neue Kapital. Für Altaktionäre bedeutete dies Totalverlust der Beteiligung – quasi ein insolvenzrechtlicher Squeeze-out.Beabsichtigt ist, dass Unternehmen unter dem Schutzschirm – der drei Monate lang aufgespannt bleiben kann – ohne Zugriff von Seiten der Gläubiger ihre Planinsolvenz vorbereiten können und mit Investoren und Gläubiger verhandeln; in der Regel in Eigenverwaltung mit einem Sachwalter. Voraussetzung für die Gewährung der Schonfrist ist, dass noch keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Überschuldung darf sein.Auch 14 Jahre nach Einführung ist der Insolvenzplan nach Erkenntnissen der Experten von Schultze & Braun (Schubra) immer noch nicht als alternatives Sanierungsinstrument etabliert. Laut einer Statistik der Kanzlei wurde er auch 2012 nur bei rund 1 % angewendet. Vorteile für SchuldnerNach Einschätzung von Detlef Specovius, Fachanwalt für Insolvenzrecht bei Schubra, bietet der Schutzschirm dem Schuldner mehrere Vorteile: Er verstärkt die Wirkung der Eigenverwaltung und macht die Sanierung in eigener Regie für ihn berechen- und planbarer. In der Regel arbeitet die Geschäftsführung dabei mit einem Sanierungsexperten zusammen, der sie bei der Vorbereitung und Umsetzung der Restrukturierung während des Verfahrens berät und unterstützt. Gemeinsam mit ihm erarbeitet das Management als Teil des Insolvenzplans ein Restrukturierungskonzept, mit dem das Unternehmen neu ausgerichtet und wieder auf eine gesunde Basis gestellt werden soll.Besonders beim Schutzschirm, aber auch generell bei der Eigenverwaltung sollte sich die Geschäftsführung vorab mit wesentlichen Gläubigern abstimmen, rät Specovius. Sonst würden nach dem Antrag Kredite gekündigt, Lieferanten änderten Zahlungsmodalitäten und bestünden auf Vorkasse oder Zug- um-Zug-Leistung. Dadurch könnte Zahlungsunfähigkeit eintreten – das vorzeitige Ende des Schutzschirmverfahrens wäre die Folge.Nach einer Erhebung der Online-Plattform Insolvenz-Portal wurden zwischen dem 1. März 2012 und dem 30. Juni dieses Jahres 109 Schutzschirmverfahren eingeleitet.