RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: SABINE VORWERK UND NEIL GEORGE WEIAND

Schuldscheindarlehen erschweren Restrukturierungen

Regelungen für verbindliche Mehrheitsentscheidungen fehlen

Schuldscheindarlehen erschweren Restrukturierungen

Frau Vorwerk, Herr Weiand, jüngst haben Ausfälle im Schuldscheinmarkt Aufsehen erregt. Erschweren Schuldscheine finanzielle Restrukturierungen?Vorwerk: Fälle wie Steinhoff, Carillion oder Gerry Weber haben den Schuldschein wieder verstärkt in den Fokus der Diskussion gerückt. Die Dynamik einer Restrukturierung hängt erheblich davon ab, welche Finanzierungsinstrumente involviert sind. Schuldscheine sind bilaterale, meist unbesicherte Finanzierungen. Bei einer Restrukturierung besteht folglich die Notwendigkeit, jeden einzelnen Schuldscheingläubiger an den Verhandlungstisch zu bringen. Dies wird nicht nur durch das Erfordernis der Identifizierung der Schuldscheingläubiger erschwert. Entscheidend ist vielmehr deren Bereitschaft, sich zu engagieren und nicht nur den “hold out value” zu realisieren. Letzteres gilt aber für viele Restrukturierungen. Weisen Schuldscheindarlehen spezielle Wesensmerkmale auf, die Restrukturierungen erschweren?Weiand: Grundsätzlich ja. Zu nennen sind das Einzelkündigungsrecht jedes Gläubigers, die häufig vorzufindende Vielzahl kleinteiliger Gläubiger und das Fehlen von Regelungen, die verbindliche Mehrheitsentscheidungen vorsehen. Die Zahlstelle ist bloßer Erfüllungsgehilfe des Schuldners. Sie hat keine Kompetenz, Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse zu lenken. Es gibt auch keine Regelungen, welche Gläubiger, die sich nicht rückäußern, in einem auch sie bindenden Entscheidungsprozess unberücksichtigt lassen (“snooze you lose”). Im Markt stößt man immer wieder auf den Ruf nach Collective Action Clauses für Schuldscheine. Was verbirgt sich dahinter?Vorwerk: Der Begriff ist dem angelsächsischen entlehnt und steht für “kollektives Handeln” innerhalb einer Gläubigergruppe. Eine CollectiveAction-Regelung basiert darauf, dass sich jeder (Schuldschein-)Gläubiger einer Mehrheitsbindung in der Weise unterwirft, dass zum Beispiel eine Änderung einzelner Bedingungen der Schuldscheine oder die Zustimmung zu bestimmten Maßnahmen von einer Gläubigermehrheit beschlossen werden kann und dann für sämtliche (Schuldschein-)Gläubiger bindend sind. Seit November 2018 gibt es einen Standard der Loan Market Association (LMA) für Schuldscheine. Warum sind Regelungen wie Collective Action Clauses nicht enthalten?Weiand: Deren Notwendigkeit wurde in der LMA-geführten Arbeitsgruppe intensiv erörtert. Die Dokumentation ist explizit nur für Darlehensnehmer mit einem soliden Investment-Grade oder äquivalentem Rating bestimmt. Ausfälle waren seinerzeit empirisch vernachlässigbar. Auch wenn der Schuldschein in der Krise gehandelt wird, verbleiben meist konservative Gläubiger, die eine Restrukturierung konstruktiv begleiten. Die Standarddokumentation sollte die Essenz des Schuldscheindarlehens wahren, nicht aber echte Neuerungen einführen. Einzelkündigungsrecht und die Absenz von Mehrheitsentscheidungen gehören jedoch zum Typus-bildenden Kern des gesetzlich nicht definierten Schuldscheindarlehens. All dies führte zur Nichtaufnahme dieser Regelungen. Es bestand aber Konsens, dass die weitere Entwicklung zu monitoren ist. Wie könnte die Gestaltung solcher Mehrheitsmechanismen für den Restrukturierungsfall aussehen?Vorwerk: Im Schuldverschreibungsgesetz findet sich eine gesetzliche Ausgestaltung von Mehrheitsent-scheidungen. Diese gilt jedoch nicht für Schuldscheindarlehen. Es sind daher ergänzende vertragliche Vereinbarungen erforderlich. Wir haben solche im Rahmen von Restrukturierungen auch bereits erfolgreich umgesetzt. Unterwirft man den Schuldschein allgemein kollektiven Entscheidungsmechanismen, könnte die Attraktivität des Schuldscheins als schlank und flexibel ausgestaltetes Finanzierungsinstrument leiden. Sehen Sie das Risiko, dass der Schuldschein ein ähnliches Schicksal nimmt wie die Mittelstandsanleihe?Weiand: Nein. Hiergegen sprechen schon die in der Regel höhere Bonität der Darlehensnehmer und die Privatplatzierung bei einem kleinen Kreis krediterfahrener konservativer Investoren. Dr. Sabine Vorwerk ist Partnerin, Dr. Neil George Weiand ist Partner von Linklaters in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.