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Schwäbisch und Start-up ist kein Widerspruch

Von Isabel Gomez, Stuttgart Börsen-Zeitung, 8.6.2016 Zwei Nachrichten haben die Start-up-Szene in Baden-Württemberg in den letzten Wochen bewegt: Porsche gründet die Porsche Digital GmbH, die "zum führenden Anbieter für digitale Mobilitätslösungen"...

Schwäbisch und Start-up ist kein Widerspruch

Von Isabel Gomez, StuttgartZwei Nachrichten haben die Start-up-Szene in Baden-Württemberg in den letzten Wochen bewegt: Porsche gründet die Porsche Digital GmbH, die “zum führenden Anbieter für digitale Mobilitätslösungen” werden will und nebenher in Start-ups investieren soll. Und Daimler startet mit dem US-Accelerator Plug and Play, der Universität Stuttgart und dem Forschungscampus Arena 2036 den Stuttgarter Accelerator Startup Autobahn. Endlich steigen auch die ganz Großen ein, jubelte die ansässige Start-up-Szene. Wobei ja meist untergeht, dass Baden-Württemberg überhaupt so etwas wie eine Start-up-Szene hat. Dabei wird übersehen, dass sich im Südwesten längst junge Unternehmen, Förderinstrumente und Acceleratoren entwickelt haben. Wenn auch weit weniger öffentlichkeitswirksam als in anderen Städten und Regionen.Für Beobachter hat das zwei Gründe: Die Finanzierungsstruktur für Start-ups unterscheidet sich in Baden-Württemberg von anderen Bundesländern oder dem Ausland. Und in Baden-Württemberg haben die Geschäftsmodelle junger Unternehmen eher andere Unternehmen als Kunden im Visier und weniger Privatkonsumenten, wie es in Berlin oder bei Fintechs häufig der Fall ist.Beide Unterschiede gründen auf der Wirtschaftsstruktur des Ländle. Ob Automobilindustrie, Maschinenbau, Versicherungswesen oder Bio- und Medizintechnologie: Aus fast allen Branchen sind in der Region große Konzerne und Weltmarktführer angesiedelt. Sie dienen Start-ups als Investoren, Förderer und Partner, aber auch als Kunden. Stiller Milliarden-ExitIn dieser Umgebung, und auch das ist wenig bekannt, haben sich schon mehrere Start-ups prächtig entwickelt. Der erste, lang ersehnte Milliarden-Exit eines deutschen Start-up wurde nicht etwa in Berlin, Frankfurt oder München verzeichnet, sondern in Göppingen, 50 Kilometer östlich von Stuttgart. Dort wurde die Fernwartungssoftware Teamviewer, die auf einer Milliarde Geräte installiert ist, 2005 programmiert. Im Juli 2014 schlug der Finanzinvestor Permira zu und übernahm Teamviewer für 1,1 Mrd. Dollar oder umgerechnet 800 Mill. Euro.Ein weiteres Beispiel ist Bit Stadium, die die Entwicklerplattform Hockey App erfunden haben. Auf ihr können App-Programmierer ihre Anwendungen testen, bevor sie scharf geschalten werden. Ende 2014 übernahm Microsoft die Software für einen unbekannten Betrag, nachdem der Konzern zuvor drei Jahre lang Kunde des Start-up war. Auch der Medienkonzern Burda wurde in Stuttgart fündig und übernahm 2013 die 2006 gegründete Social-Commerce-Plattform Edelight für eine achtstellige Summe. Nicht zu vergessen die Kommunikationssoftware Netviewer, die 2001 auf den Markt kam, als noch niemand von Start-ups sprach, und Anfang 2011 vom amerikanischen Softwarekonzern Citrix gekauft und integriert wurde.Allgemein galt im Südwesten lange: Ideen über Jahre hinweg zu finanzieren, ohne Erfolge zu sehen, das kommt für die hiesigen Unternehmen nicht in Frage. Wer aber schnell Umsatz und Gewinn in Aussicht stellte, der öffnete damit auch schwäbische Geldtresore. Das gab Sicherheit, vernichtete aber auch kreatives Potenzial. Dass sich diese Herangehensweise großer Konzerne nun ändert, dafür sprechen auch die Ankündigungen von Daimler und Porsche.Stärker als in anderen Bundesländern finanzieren in Baden-Württemberg mittlerweile Unternehmen und öffentliche Fonds, Förderbanken oder Mischformen wie der High-Tech Gründerfonds junge Unternehmen. Der Gründerfonds ist eine öffentlich-private Partnerschaft von Bund und KfW, die zu 87 % beteiligt sind, und insgesamt 13 Unternehmen. Klassisches Venture Capital, dessen Fehlen in Deutschland ja generell beklagt wird, kommt in Baden-Württemberg dagegen unterdurchschnittlich zum Zug (siehe Grafik). Dieser Trend dürfte sich durch die jüngsten Ankündigungen von Daimler und Porsche noch verstärken. Das Netzwerk fehlt nochObwohl sich der Südwesten in Sachen Neugründungen bewegt, bemängeln Gründer oder Unternehmer, die sich der Förderung von Start-ups verschrieben haben, dass die Akteure kaum miteinander verbunden seien. Es gibt zwar zahlreiche Plattformen, Gründergrillen und sonstige Treffen, aber die Organisatoren arbeiten mehr nebeneinander als miteinander. Die grün-schwarze Landesregierung hat sich die Vernetzung nun selbst ins Aufgabenheft geschrieben und sie in ihrem Koalitionsvertrag bedacht. Der Wagniskapitalfonds des Landes soll zum Innovationsfonds für Start-ups weiterentwickelt werden, das Gründungsnetzwerk BW soll die Akteure vernetzen.”Die Maßnahmen sind eher Lada als Porsche”, urteilte Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbandes für Start-ups mit Sitz in Berlin, über das Vorhaben. Es klinge nicht so, “als ob in Berlin oder London jemand die neue Konkurrenz aus dem Süden fürchten müsste”. Das gilt aber wahrscheinlich nur so lange, bis der nächste Milliarden-Exit aus Aalen oder Baden-Baden kommt.