Automobilzulieferer

Schweizer Automobilzulieferer im Rückzug

Der börsennotierte Schweizer Automobilzulieferer Feintool lagert einen bedeutenden Teil der Produktion nach Tschechien aus. Die private Suhner Group steigt nach vielen Jahren ganz aus dem Automobilgeschäft aus. Diese Schritte sagen viel über die schwierige Lage der deutschen Flaggschiffbranche.

Schweizer Automobilzulieferer im Rückzug

Schweizer Automobilzulieferer auf dem Rückzug

Die Schwäche der deutschen Hersteller fällt mit dem teuren Franken zusammen und zwingt die helvetischen Unternehmen zu schmerzlichen Anpassungen.

dz Zürich

Feintool ist ein Schweizer Blechverarbeiter, der seit 65 Jahren daran arbeitet, das harte Material im industriellen Großmaßstab präzis zu schneiden und zu formen. Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz im bernischen Seeland, Hochburg der Uhrenindustrie und der Feinmechanik, hat es weit gebracht – auch im Fahrwasser der boomenden deutschen Automobilindustrie. Doch diese hat mindestens vorläufig ausgeboomt.

Feintool sieht sich gezwungen, einen bedeutenden Teil der Serienproduktion von der Schweiz in Richtung Tschechien zu verschieben. Der bisherige Standort sei aufgrund des starken Franken, der teuren Energie und der hohen Löhne nicht mehr wettbewerbsfähig. Keine hundert Kilometer östlich handelt das Familienunternehmen Suhner Group noch radikaler. Nach vielen Jahren im Automobilgeschäft hat der Hersteller von Spezialwerkzeugen dieser Tage den vollständigen Rückzug aus dem Sektor angekündigt – auch wegen der schwächeren Nachfrage aus Deutschland, wie Patron Jürg Suhner in einem Interview erklärte. Das sind keine guten Signale für die deutsche Flaggschiffindustrie. Vor allem aber sind es auch bedrohliche Zeichen für die Schweizer Industrie, die eng mit dem Automobilgeschäft verzahnt ist.

Die Schweizer Automobilzulieferer haben 2023 mit rund 32.000 Beschäftigten einen Umsatz von um die 13 Mrd. sfr erzielt. Die Zahlen entstammen einer Befragung von 578 Unternehmen, wie sie das „Swiss Center for Automotive Research“ (Car) am betriebswirtschaftlichen Institut  der Universität Zürich Schulze seit 2008 alle vier Jahre vornimmt.

Viel Bewegung hinter der Fassade

Die aktuelle – erst Ende März vorgestellte – Zustandsanalyse unterscheidet sich auf den ersten Blick wenig vom letzten Befund aus dem Jahr 2018. Damals zählte „Car“ unter der Leitung der auf Technologie und Innovationsmanagement spezialisierten Professorin Anja Schulze 574 Unternehmen mit 34.000 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von 12 Mrd. sfr. Doch hinter der scheinbar gleichen Fassade gibt es viel Veränderung. So sind zwischen der aktuellen und der letzten Erhebung etwa 100 Unternehmen aus der Statistik verschwunden und ebenso viele neue hinzugekommen.

Die hohe Fluktuation dürfte sich unter anderem aus dem Umstand erklären, dass fast die Hälfte der zuletzt befragten 578 Firmen Kleinunternehmen mit weniger als 10 Mill. sfr Jahresumsatz sind. Immerhin aber sind 20% der befragten Firmen Großunternehmen vom Schlag einer Feintool mit mehr als 1.000 Beschäftigten in mehreren Ländern. In den ersten drei Monaten des Jahres gingen die Exporte der Schweizer Automobilzulieferer um 6,4% zum Vorjahr zurück.

Die Situation habe sich im Lauf der vergangenen Monate verschlechtert, sagt Vizedirektor Jean-Philippe Kohl vom Industrieverband „Swiss-Tech“ und verweist auf das vierte Quartal 2023, in dem die Ausfuhren erst um 0,9% tiefer ausgefallen waren. Die Eintrübung war freilich nicht nur der internationalen Konjunktur, sondern auch dem Umstand geschuldet, dass der Franken in den letzten Monaten 2023 markant zum Euro und zum Dollar aufgewertet hatte. Dieser Verlust an Wettbewerbsfähigkeit war für einige Schweizer Automobilzulieferer offenbar der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Branche spürt seit Jahren einen immer stärkeren Druck auf die Kosten. Die Pandemie, welche die Verkäufe der europäischen Automobilhersteller während drei Jahren sinken ließ, hat entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu einer Erhöhung der Stückkosten geführt. Doch die Automobilbauer (OEM) pflegen solche Kosten im Einklang mit ihrer langjährigen Praxis soweit als möglich auf die Zulieferer abzuwälzen. Die Rabattaktionen, mit denen die Automobilhersteller aktuell ihre Verkäufe in Schwung zu halten versuchen, machen den Zulieferbetrieben das Leben nicht leichter. In diesem Umfeld wirken sich ungünstige Wechselkursverhältnisse naturgemäß besonders stark auf deren Geschäft und Wettbewerbsposition aus.

Angespannte Lage

Obschon sich der Franken seit März deutlich zum Dollar und zum Euro abgewertet hat, bleibt die Lage in Teilen der Exportindustrie angespannt. Freilich stecken die Schweizer Automobilzulieferer schon länger in einer Ausnahmesituation. Gemäß Befragung des Car hatten 2018 rund 85% der Firmen mit einer Zunahme des Umsatzes bis 2023 gerechnet. Erreicht haben diese aber nur rund 50%. Mehr als ein Viertel der Firmen hatte sogar einen Umsatzrückgang zu verkraften. Die Umfrage bestätigt zudem frühere Erhebungen, nach denen mehr als die Hälfte aller Schweizer Zulieferer ihre Leistungen an die drei größten deutschen Autohersteller verkaufen. Deren Qualitätsanspruch deckt sich mit dem Profil der Schweizer Industrie. Auffallend ist allerdings, dass die Schweizer Zulieferer ihren Kundenstamm in den vergangenen vier Jahren markant verbreitert haben. Zählten die Unternehmen 2018 im Durchschnitt noch 10 Abnehmer, waren es 2023 fast doppelt so viele (18).

Deutschland ausdiversifizieren

Die Diversifikation ist wohl auch auf die markante Verschärfung der spezifischen Probleme im wichtigsten Absatzmarkt Deutschland zurückzuführen. Die von Feintool angeführten Gründe für die Produktionsverlagerungen gehören jedenfalls schon seit Jahren zu den größten Herausforderungen der Schweizer Automobilzulieferer. Und die Umfrage der Uni Zürich suggeriert, dass sich dies in Zukunft auch kaum verändern wird.

Manche Unternehmen in der Schweiz hätten sich aus dem intensiv umkämpften Automobilsektor zurückgezogen, heißt es in der Branchenstudie. „Ein wesentlicher Faktor ist der Preiskampf“, dieser mache die Produktion unattraktiv und zehre an der Motivation, zitiert die Studie die Erfahrung eines namentlich nicht genannten Zulieferbetriebes. Feintool und Suhner sind also keine Einzelfälle.

Der Automobilzulieferer Feintool lagert einen bedeutenden Teil der Serienproduktion nach Tschechien aus. Die Suhner Group steigt nach vielen Jahren ganz aus dem Automobilgeschäft aus. Die Schweizer Industrie ist nicht immun gegen die Schwächen der deutschen Flaggschiffbranche. Man sucht Lösungen.

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