Schweizer Konzerne lernen sparen

Ausschüttungsquote so gering wie seit zehn Jahren nicht - UBS, Credit Suisse und Julius Bär verschieben

Schweizer Konzerne lernen sparen

Nach einem zehn Jahre währenden Dividendenrausch bricht nun auch in der Schweiz eine neue Zeit an: “Viele Firmen werden sparsamer werden. Die Ausschüttungsquoten werden einbrechen, bis die Bilanzen überall wieder im Lot sind”, vermutet Mainfirst-Manager Thomas Meier. Vorerst sind die Reaktionen auf die Coronakrise aber eher moderat.Von Daniel Zulauf, ZürichZwölf der 30 größten an der Schweizer Börse gelisteten Gesellschaften haben ihre Dividenden für 2019 in den vergangenen Tagen und Wochen bereits ausgeschüttet. Fast 24 Mrd. sfr sind an die Aktionäre geflossen. Und wenn die diesjährige Saison der Generalversammlungen zu Ende ist, sollten es wieder über 40 Mrd. sfr sein – zumindest auf Basis der Beträge, die die Unternehmen ihren Eigentümern versprochen haben.”Die Schweiz ist halt eine Insel der Glückseligen”, scherzt Thomas Meier, Aktienfondsverwalter beim Assetmanager Mainfirst in Frankfurt. Seit fünf Jahren betreut er Dividendenfonds, die Bezeichnungen wie Euro Value Stars oder Global Dividend Stars haben. Die Coronakrise hat die Prämissen in seinem Metier aber grundlegend verändert.”Ich befürchte, dass sich viele Unternehmen ein Reputationsproblem einhandeln, wenn sie weiterhin gute Dividenden zahlen”, sagt Meier. Er verweist auf verschiedene europäische Länder, wo Politik und Behörden vor dem Hintergrund staatlich finanzierter Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft auch börsennotierte Großkonzerne im Privatbesitz mehr oder weniger direkt zum Dividendenverzicht aufrufen. Aufforderungen der AufsichtDagegen ist auch die Schweiz nicht immun. Unmittelbar vor und nach Ostern haben die Banken UBS, Credit Suisse und Julius Bär die Aufforderung der Finanzmarktaufsicht (Finma) doch noch beherzigt und nach einigem Zögern wenigstens die Hälfte der für das Frühjahr geplanten Ausschüttungen auf das Schlussquartal verschoben. Man wolle später nicht sagen müssen, das ausgeschüttete Geld hätte man noch gut gebrauchen können, hatte Finma-Chef Mark Branson seinen Wink mit dem Zaunpfahl begründet.Weit weniger deutlich wurde die Finma gegenüber den Versicherern, obschon sich auch diese Branche in manchen europäischen Ländern der behördlichen Aufforderung zum Dividendenverzicht ausgesetzt sieht. Die Zurich, der mit Abstand größte Dividendenzahler in der Schweizer Assekuranz, ließ ihren Aktionären schon Anfang April den Gewinnanteil von 3 Mrd. sfr zukommen. Die anderen Schweizer Branchenvertreter dürften mit guten Erfolgschancen auf das gleiche Recht pochen. Wohl kaum Stornierungen Kurzfristige Stornierungen, mit denen der Logistiker Kühne + Nagel oder der Augenheilmittelhersteller Alcon ihre Aktionäre noch vor Ostern düpiert hatten, dürften bei den größten Schweizer Publikumsgesellschaften seltene Ausnahmen bleiben.”Die Firmen wissen um die Bedeutung der Dividende für ihre Aktionäre”, sagt Meier. “Die Zäsur eines Dividendenschnitts versucht jedes Unternehmen so weit wie nur möglich zu vermeiden.” Das gilt in ausgeprägtem Maß für die größten Dividendenzahler im Land: Roche und Novartis haben ihre Aktionäre diesmal bereits mit 7,8 Mrd. bzw. rund 7 Mrd. sfr bedient. In zwei Wochen sind auch die Nestlé-Eigentümer dran. Die versprochenen 7,8 Mrd. sfr dürften ihnen nicht mehr genommen werden. Die drei Konzerne gehören seit Jahren zum Club der weltweit größten Dividendenzahler. 2020 dürften sie in der Rangliste weiter vorrücken, nachdem der Rohstoffbranche im Zuge der dramatischen Preiseinbrüche der vergangenen Wochen scharfe Gewinneinbußen drohen. Fünf der 20 weltgrößten Dividendenzahler im Jahr 2019 waren Öl- und Gaskonzerne (Royal Dutch Shell, ExxonMobil, Chevron, BP, Total) und ebenso viele Banken (China Construction Bank, J.P. Morgan, HSBC, Wells Fargo, Commonwealth Bank of Australia).Gut zehn Jahre nach der Finanzkrise verantworten die Banken in der Schweiz nur noch zwischen 5 % und 10 % der Dividenden der 30 größten Publikumsgesellschaften. Stetig auf gut 13 % gewachsen ist dafür die Bedeutung der Versicherungswirtschaft (Zurich, Swiss Re, Swiss Life). Auch Industriefirmen wie der Zementkonzern LafargeHolcim, der Aufzugshersteller Schindler oder der Bauzulieferer Sika haben ihre Ausschüttungen im Laufe der vergangenen zehn Jahre vervielfacht.Bei Dividendeninvestoren wie Mainfirst-Fondsmanager Meier genießt die Schweiz den Ruf als Hort von Stabilität. Das hat nicht zuletzt mit der relativ breiten Streuung der Unternehmen auf Wirtschaftszweige zu tun, die sich bislang als überdurchschnittlich resistent gegen konjunkturelle Schwankungen erwiesen haben. Diese Tatsache dürfte im Wesentlichen erklären, weshalb sich der Swiss Leader Index der 30 wertvollsten börsennotierten Firmen mit einem Minus von 15 % seit Jahresbeginn deutlich besser halten konnte als etwa der Dax (- 22 %).Meier befürchtet, dass in Deutschland große Dividendenzahler wie die Automobilindustrie oder möglicherweise die Assekuranz (Allianz) in diesem Frühjahr tiefe Einschnitte bei den Ausschüttungen vornehmen könnten. Allein die drei großen Automobilbauer Daimler, BMW und Volkswagen haben 2019 fast ein Viertel (8,2 Mrd. Euro) aller Dividenden im Dax verantwortet.”Ich habe das Gefühl, dass heuer aus dieser Ecke wenig bis gar keine Ausschüttungen kommen werden”, sagt Meier und begründet das mit einer möglichen Neuauflage der Abwrackprämien, mit denen der Staat die Industrie 2009 wieder in Schwung gebracht hatte. Die Auszahlung solcher Prämien würde sich schlecht mit Dividendenausschüttungen vertragen, räumt er ein. Vorrang für solide BilanzenNach einem zehnjährigen, globalen Dividendenrausch schwant dem Investmentmanager jetzt der Beginn einer neuen Zeit. “Viele Firmen werden sparsamer werden. Die Ausschüttungsquoten werden einbrechen, bis die Bilanzen überall wieder im Lot sind”, vermutet er.In der Schweiz werden dieses Jahr erstmals seit einer Dekade weniger als 60 % der Gewinne ausgeschüttet. Direkt nach der Finanzkrise (2010) lag der Wert bei 44 %. Im Spitzenjahr 2017 erreichte er 88 %. Wie es scheint, werden die Investoren auch auf der Insel der Glückseligen ihre Gürtel enger schnallen müssen.