"Schwerwiegende Pflichtverletzung"
cd Frankfurt – VW-Aktionär und Corporate-Governance-Experte Christian Strenger klagt gegen die Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand in der zurückliegenden Hauptversammlung sowie gegen die in der HV am 22. Juni erfolgte Wahl von vier Aufsichtsratsmitgliedern. Strenger will mit der Klage vor dem Landgericht Hannover die fehlende “angemessene Unabhängigkeit” des Aufsichtsrats feststellen lassen. Damit würden die von ihm angefochtenen HV-Beschlüsse nichtig. “Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten (Volkswagen AG, Anm. d. Red.) haben in mehrfacher Hinsicht so schwerwiegend und eindeutig gegen ihre gesetzlichen Pflichten verstoßen, dass die Entlastungsbeschlüsse für ihre Tätigkeit durch die HV-2016 keinen Bestand haben können”, heißt es in der Klageschrift, die der Börsen-Zeitung vorliegt. Alle Aufsichtsräte abhängigIn seiner Klagebegründung führt Strenger aus, dass VW selbst sich im Geschäftsbericht für 2015 und in den Vorjahren die Vorgabe von “mindestens vier unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern” gesetzt habe. Fakt sei aber, dass nach den Kriterien des Deutschen Corporate Governance Kodex kein einziges AR-Mitglied von Volkswagen als unabhängig angesehen werden könne. Laut Kodex gelten Personen als nicht unabhängig, die in einer persönlichen oder geschäftlichen Beziehung zu einem kontrollierenden Aktionär stehen und die sich in einem nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt befinden.Laut Strenger gilt dies für die Mitglieder der Familie Porsche/Piëch, also die Aufsichtsräte Michel Piëch, Oliver Porsche, Wolfgang Porsche und Louise Kiesling. Hinsichtlich der Vertreter des Landes Niedersachsen im AR, aktuell Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies, habe der Bundesgerichtshof schon 1997 entschieden, dass das Land Niedersachsen einen beherrschenden Einfluss auf VW ausübe und zwischen dem Land und VW ein Interessenkonflikt vorliege.Auch die Vertreterin des Großaktionärs Qatar Holding, Hessa Sultan Al-Jaber, die in der HV als Nachfolgerin von Hussain Ali Al-Abdulla gewählt worden war, sei nicht unabhängig. Qatar habe 2009 eng mit den Familien Porsche und Piëch bei der Abwendung der Insolvenz der Porsche Automobil Holding zusammengewirkt und sei in der Folge VW-Stammaktionär mit 17 % der Aktien geworden.Aufsichtsratsmitglied Hans Dieter Pötsch sei in keinem Fall als unabhängig anzusehen, weil er in den fünf Jahren vor seiner Bestellung als Vorstandsmitglied in der betreffenden Gesellschaft tätig war und ohne Cooling-off-Periode in den Aufsichtsrat wechselte. Außerdem sei er Vorstandsvorsitzender der Mehrheitsaktionärin Porsche Automobil Holding SE.Auch die gelegentlich als unabhängig angesehene Annika Falkengren, Präsidentin und Vorstandsvorsitzende der SEB Bank, sei nicht unabhängig im Sinne des Governance Kodex, so Strenger. Sie stehe in engen geschäftlichen (Hausbank-)Beziehungen zu VW. Außerdem gehöre SEB zur Wallenberg-Gruppe, von der VW 2011 den Nutzfahrzeughersteller Scania erwarb.