Showdown im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat

Vorstandschef Hiesinger muss binnen weniger Tage die Bewertungslücke im geplanten Stahl-Joint-Venture mit Tata schließen

Showdown im Thyssenkrupp-Aufsichtsrat

Wenn es nach dem Großaktionär Cevian und dem Hedgefonds Elliott geht, dann wird das geplante Stahl-Joint-Venture von Thyssenkrupp und Tata neu gewichtet. Damit wird es unwahrscheinlich, dass der Aufsichtsrat dem Deal wie avisiert Mitte Juni zustimmt. Die strategische Neuordnung des Konzerns verzögert sich.cru Düsseldorf – Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger wird in der Aufsichtsratssitzung des Konzerns am heutigen Mittwoch erheblich unter Druck kommen. Binnen der kommenden 17 Tage soll das Kontrollgremium der seit zwei Jahren geplanten Fusion der Stahlsparte mit dem Europageschäft des indischen Konkurrenten Tata Steel zustimmen. Doch nur wenige Tage vor der avisierten Vertragsunterzeichnung räumen Konzernkreise ein, dass eine Bewertungsdifferenz zwischen den beiden Teilen für das 50:50-Gemeinschaftsunternehmen besteht.Zwar sei das Tata-Stahlgeschäft in Großbritannien und den Niederlanden nicht um die von den beiden Großaktionären Cevian und Elliott in Briefen an die Konzernführung kolportierten rund 2 Mrd. bis 3 Mrd. Euro weniger wert. Von Elliott seien für Tata und Thyssenkrupp unterschiedliche Gewinnvielfache (Multiples) angesetzt worden, obwohl beide Unternehmen im selben Markt für Flachstahl tätig seien. Zudem seinen die Multiples im Vergleich zu anderen Unternehmen der Branche zu hoch angesetzt worden.Außerdem sei nur das zurückliegende Jahr für den Vergleich angesetzt worden. Während Thyssenkrupps Hüttenwerke ihre Gewinne kräftig steigerten, entwickelte sich Tata Steel Europe zuletzt schwach. Doch verkauft Tata den Stahl am Spotmarkt zu kurzfristig schwankenden Preisen und hatte zuletzt hohe Restrukturierungskosten, während Thyssenkrupp zuletzt von langfristig vereinbarten Verträgen mit höheren Preisen profitierte. Heikles RechenproblemDennoch: Es gebe durchaus eine Lücke in der Bewertung, geben Konzernkreise zu. Damit haben Hiesinger und sein Finanzvorstand Guido Kerkhoff ein Rechtfertigungsproblem. Gemessen an den Bewertungen der beiden Unternehmensteile müsste Thyssenkrupp einen höheren Anteil als 50 % am Joint Venture erhalten. Dann jedoch müsste der Essener Konzern das Stahlunternehmen samt Schulden in der Bilanz ausweisen – wo es doch gerade das Ziel ist, ebenjene 4 Mrd. Euro an Schulden und Pensionsverbindlichkeiten der Stahlsparte abladen und entkonsolidieren zu können.Thyssenkrupp könnte daher zum Ausgleich weitere Schulden auf das Joint Venture abwälzen. Dies dürfte aber auf Widerstand bei den Arbeitnehmervertretern der IG Metall treffen, die im Aufsichtsrat die Hälfte der Mitglieder stellen. Der aus der Frankfurter Gewerkschaftszentrale entsandte Vizeaufsichtsratschef Markus Grolms hatte wegen der insgesamt 6,5 Mrd. Euro schweren Schuldenlast des Gemeinschaftsunternehmens die wirtschaftliche Tragfähigkeit ohnehin schon immer wieder in Zweifel gezogen.Hiesinger und Kerkhoff müssen also einen Nachschlag mit Tata aushandeln, damit sie im Nachhinein keinen Ärger mit ihren Großaktionären, dem schwedischen Finanzinvestor Cevian (18 %) und dem US-Hedgefonds Elliott (circa 2,9 %) bekommen – auch wenn die Krupp-Stiftung mit 21 % der Anteile und Aufsichtsratschef Ulrich Lehner Hiesingers Kurs stützen.Für einen Interessenausgleich mit Tata, der die Bewertungslücke schließt, gibt es zwei Optionen: Entweder Tata leistet eine Barzahlung in der erforderlichen Höhe an Thyssenkrupp. Oder die Verteilung künftiger Gewinne weicht von dem 50:50-Stimmenverhältnis zugunsten von Thyssenkrupp ab – mit Kapitalanteilen von etwa 60 % für Thyssenkrupp und 40 % für Tata.Damit nicht genug: Der Widerstand der Gewerkschaften in den drei Ländern ist so groß, dass die angepeilten jährlichen Kostensenkungen von 500 Mill. Euro inzwischen utopisch erscheinen. Die britischen Gewerkschafter am maroden Standort in der südwalisischen Hafenstadt Port Talbot haben ausgehandelt, dass ihre Arbeitsplätze und zwei Hochöfen bis 2021 sicher sind. Die Niederländer fordern eine Beschäftigungsgarantie bis 2022. Die IG Metall hat eine solche Garantie für 25 000 der 27 000 Beschäftigten der Stahlsparte bis 2026 ausgehandelt.Einer Erklärung von Tata Steel Nederland zufolge soll das Werk in Ijmuiden als integrierter Standort ebenso erhalten bleiben wie die Führungsstruktur mit dem unabhängig über die Verwendung der Gewinne entscheidenden Management Board. Mit Thyssenkrupp sei vereinbart worden, dass in Ijmuiden die Leitung der Forschungsabteilung des neuen Unternehmens angesiedelt werde. Thyssenkrupp-Chef Hiesinger hatte zudem angekündigt, dass das Joint Venture seinen Standort in der Region Amsterdam haben werde – weil dies in der Mitte zwischen den Standorten der Konzerne in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland liege.Durch die Entkonsolidierung der Stahlsparte würde Thyssenkrupp nicht nur 4 Mrd. Euro an Verpflichtungen los. Aus der Fusion entsteht auch der zweitgrößte Stahlhersteller Europas hinter ArcelorMittal mit 48 000 Beschäftigten, 21 Mill. Tonnen Jahresproduktion sowie 1,5 Mrd. Euro operativem Gewinn, 15 Mrd. Euro Umsatz und einem Unternehmenswert von 10 bis 12 Mrd. Euro. Die Schuldenlast liegt mit 6,5 Mrd. Euro beim Vierfachen des operativen Gewinns, die Synergien bei 500 Mill. Euro jährlich. Auf beiden Seiten fallen bis zu 2 000 Stellen weg.Die Fusion, die nach den Plänen des Konzerns noch in diesem Monat besiegelt werden sollte, ist ein strategisches Kernprojekt von Hiesinger, in dessen Amtszeit seit 2011 der Aktienkurs um 30 % gefallen ist, und Voraussetzung für die Vorlage einer dringend erwarteten neuen Konzernstrategie, die eigentlich schon für Mai angekündigt gewesen war.Investoren hatten zuletzt das mangelnde Tempo beim Umbau des Essener Konzerns kritisiert. Hiesinger ziehe sich immer wieder darauf zurück, dass erst der Ausstieg aus dem Stahlgeschäft vollzogen sein müsse, bevor andere Probleme gelöst werden könnten, hieß es. Kippt das ganze Projekt, dann dürfte auch Hiesingers Stuhl wackeln.