Im Gespräch:Peter Rathgeb, Siemens

Siemens bereitet den Boden für neue Geschäftsmodelle

Der Siemens-Konzern treibt die Digitalisierung und Automatisierung seiner Zahlungsflüsse voran. Von der Aufnahme neuen Kapitals über die interne Allokation dieser Mittel bis zum Abrechnen mit den Kunden implementieren die Münchner automatisierte Lösungen. Perspektivisch will der Konzern die Zahl der Banken im Cash Management, mit denen er zusammenarbeitet, auf rund ein Drittel reduzieren.

Siemens bereitet den Boden für neue Geschäftsmodelle

Siemens bereitet den Boden für neue Geschäftsmodelle

Der Siemens-Konzern arbeitet an der Digitalisierung und Automatisierung seiner Zahlungsflüsse. „Wir wollen diese Prozesse, die heute noch in einzelnen Schritten ablaufen, stärker verknüpfen und weiter digitalisieren“, kündigt Siemens-Treasury-Chef Peter Rathgeb im Gespräch mit der Börsen-Zeitung an. Dies ziele auf die Aufnahme neuen Kapitals, die interne Allokation dieser Mittel und auch das Abrechnen mit den Kunden. Auf diese Weise sollten neue Geschäftsmodelle mit laufend abzurechnenden Liefer- und Leistungsprozessen ermöglicht werden. „Das ist kein kurzfristiges Vorhaben, es wird uns in den nächsten fünf bis zehn Jahren beschäftigen“, sagt Rathgeb. Er ist überzeugt, dass sich die Finanzwelt in dieser Zeit deutlich verändern wird.

Von Michael Flämig, München

Der Siemens-Konzern treibt die Digitalisierung und Automatisierung seiner Zahlungsflüsse voran. Von der Aufnahme neuen Kapitals über die interne Allokation dieser Mittel bis zum Abrechnen mit den Kunden implementieren die Münchner automatisierte Lösungen. Perspektivisch will der Konzern die Zahl der Banken im Cash Management, mit denen er zusammenarbeitet, auf rund ein Drittel reduzieren.

Die Idee des Technologieunternehmens: Es will künftig nicht mehr primär nur Produkte, sondern verstärkt Services verkaufen. „Diese Dienstleistungen könnten sehr viel kundenspezifischer als heute zur Verfügung gestellt werden, aber gleichzeitig kleinteiliger beziehungsweise hochfrequenter abgerechnet werden – vielleicht sogar nur mit Bruchteilen von Cent-Beträgen“, erklärt Rathgeb. Die Folge: Sie werden nicht mehr nach Ausstellung einer Rechnung bezahlt, sondern automatisiert unmittelbar nach Leistungserbringung entgolten. Erbringung und Abrechnung verschmelzen somit.

Vier zentrale Veränderungen

Einen bereits implementierten Anwendungsfall in der Siemens AG gibt es laut Rathgeb bisher nicht. Jedoch denke man schon über die Implementierung bei einem Piloten mit einem Lieferanten aus der Technologiebranche nach: „Wir bereiten Projekte vor, bei denen wir diese Technik einsetzen.“  Der Vorteil für beide Partner: Der Zahlungsprozess wird dynamisiert und kann auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst werden, etablierte Prozesse in den Buchhaltungssystemen bleiben dabei weitgehend unverändert. Das Pilotprojekt werde starten, wenn die internen Prozesse stabil liefen. Der Treasury-Leiter hält es für möglich, dass dies Mitte des Jahres der Fall sein wird.

Das Konzept für die Anwendungen hat Rathgeb bereits im Kopf: „Wir wissen weitgehend, welche Bausteine wir benötigen.“ Er nennt vier Bereiche, die – teils perspektivisch – verändert aufgestellt werden: die Emission von Anleihen, der Zahlungsverkehr, das Management des Währungsrisikos und die Abwicklung von Online-Zahlungen. Neue technologische Plattformen erlaubten die Verstetigung der Zahlungsflüsse, erklärt der Siemens-Treasurer.

In allen Bereichen hat Rathgeb sich ein einheitliches Prinzip auf die Fahne geschrieben: „Erst kommen Simplifizierung und Standardisierung, dann folgt die Digitalisierung.“ Dies bedeutet beispielsweise, dass der Konzern die Zahl seiner Bankkonten radikal reduziert. Früher habe Siemens rund 2.000 Konten gehabt, diese hätten in den vergangenen zwei Jahren um die Hälfte reduziert werden können, berichtet Rathgeb. Jene 2.000 Konten seien auf etwa 150 Banken verteilt gewesen. Perspektivisch wolle sich der Konzern im Cash Management auf rund ein Drittel der etablierten Bankpartner konzentrieren: „Natürlich wollen wir unsere Bankenlandschaft im Zahlungsverkehr weiter optimieren.“

Damit nicht genug. „Die ultimative Reduzierung werden wir nur über eine Virtualisierung der Kontenstruktur schaffen“, sagt Rathgeb. Derartige virtuelle Konten seien wie Unterkonten von physikalischen Konten und verbänden die Eigenschaften eines normalen Kontos mit einem Echtzeit-Cash-Pooling bei deutlich reduziertem Aufwand. Der Vorteil: Das Geld liege real auf dem übergeordneten physischen Konto. „Dies vereinfacht uns das gesamte Liquiditätsmanagement“, erklärt Rathgeb.  

Außerdem müssten Prozesse, die zur Eröffnung von Bankkonten vorgeschrieben seien, nur bei den wenigen physikalischen Konten durchgeführt werden. Diese Prozesse würden von allen Banken weltweit sehr unterschiedlich gehandhabt und seien für Siemens teilweise unglaublich aufwendig, erläutert Rathgeb. Virtuelle Konten hingegen vereinfachen diese Eröffnungsprozesse sowie deren technische Integration und können somit in einem Bruchteil der Zeit durchgeführt werden.

Der erste Baustein für die neue Welt der Zahlungsströme ist Rathgeb zufolge die Emission von Anleihen und Bonds. Bisher hole Siemens mehrere Milliarden Euro auf einen Schlag herein und nutzt diese entsprechend gemäß dem Liquiditätsbedarf: „Die Vision ist, diesen Emissionsprozess zu verstetigen. “

Mit der Emission eines Krypto-Bonds habe Siemens im Februar den ersten Testballon für die Anwendung der Blockchain-Technologie gestartet (vgl. BZ vom 15. Februar). Für ein stärker am Bedarf orientiertes Liquiditätsmanagement werde das Unternehmen auf diesem Weg auch kleinere Beträge in einem stetigen Prozess emittieren, ist Rathgeb überzeugt: „Wir können so erreichen, dass wir immer so viel Geld wie nötig zur Verfügung haben und nicht überschüssige Liquidität finanzieren müssen.“

Für Rathgeb waren drei Charakteristika bei der 60-Mill.-Euro-Emission wichtig, um den Ablauf zu testen: eine Laufzeit über den Jahresultimo hinweg, zwischenzeitliche Zinszahlungen und mehrere Investoren. Letztlich hätte Siemens gerne mehr als drei Investoren an Bord genommen, sagt Rathgeb. Aber einige hätten dem Konzern signalisiert, dass sie intern noch nicht so weit seien.

Der zweite Baustein aus Sicht von Rathgeb: „Wir geben dem Geld eine intrinsische Intelligenz.“ Es wird automatisiert immer dorthin verteilt, wo es benötigt werde, und zwar 24 Stunden am Tag: „Auf der Basis von Triggern wollen wir den Geldfluss innerhalb der Siemens-Konten automatisieren.“ Im einfachsten Fall können so negative Kontosalden ausgeglichen werden, ohne dass ein Disponent dies veranlasse.

Ein derart „programmiertes Geld“ hat Siemens mit J.P. Morgan schon vor einem Jahr gestartet (vgl. BZ vom 27.1.2022). Der US-basierte Korridor von Zahlungsflüssen sei geöffnet, Euro-Konten und Zahlungsflüsse wurden vorbereitet und werden voraussichtlich Mitte des Jahres folgen, sagt Rathgeb.

Diese Geldflüsse könnten – drittens – ebenfalls mit neuer Technologie umgehend gegen Währungseinflüsse abgesichert werden: „Das Fremdwährungs-Hedging wollen wir ebenfalls weitgehend automatisieren.“ Dabei steht das kleinteiligere Liefergeschäft aus den Service- und Produktbereichen im Fokus, im Gegensatz zum Projektgeschäft. Die entsprechende Technologie werde aktuell ausgerollt, sei aber noch nicht flächendeckend implementiert.

E-Commerce-Gateway

Darüber hinaus installiere Siemens für größere Währungstransaktionen ein Algo-Trading, das eine Ausführung zum besten Preis entsprechend einer festgelegten Strategie garantiere, sagt Peter Rathgeb: „Diese Systeme exekutieren automatisch entsprechend den definierten Parametern.“

Der vierte Baustein der Automatisierungsstrategie des Siemens-Treasury: Zugriff auf den Zahlungsprozess für die zahlreichen E-Commerce-Plattformen zu erhalten. „Die Zahlungsprovider würden sich am liebsten direkt an die Check-out-Plattformen anschließen“, berichtet Rathgeb.  Siemens dagegen habe sich entschieden, das Gateway Sipayce, das im Jahr 2021 als Marke eingetragen worden ist, zwischen die Plattformen und die Provider zu schalten.

Der Konzern verfolgt damit Rathgeb zufolge mehrere Ziele. Siemens sorge damit beispielsweise für Konsistenz, weil die Schnittstelle einheitlich für alle Plattformen sei. Außerdem könne das Unternehmen seine Einkaufsmacht gegenüber den Providern nutzen. Darüber hinaus werde man den Kunden gemeinsam mit der hauseigenen Finanzierungseinheit Siemens Financial Services auch weitere Finanzierungslösungen anbieten.

Der Umbau des Treasury zielt aktuell auf die neuen industriellen Geschäftsmodelle für den Technologiekonzern und nicht primär nur auf Kostenersparnis, lässt Rathgeb erkennen. Nichtsdestotrotz gelte etwa bei der 60-Mill.-Euro-Emission: „Wir haben deutliche Einsparungen.“ Die Emission kostete nur ein Sechstel einer traditionellen Kapitalaufnahme, insbesondere da keine Marketmaker involviert wurden.

Das Siemens-Treasury, das mehr als 500 Menschen beschäftigt, hat Rathgeb nach seinem Amtsantritt im Jahr 2018 so aufgestellt, dass die Verantwortung für die Bereiche, etwa für den Zahlungsverkehr, in einzelnen Produktlinien innerhalb des Treasury gebündelt wird: „Jede Produktlinie hat klare Ziele und Rahmenvorgaben zur Weiterentwicklung und Optimierung bekommen, das Wie wird dabei der Kreativität der jeweiligen Produktlinie überlassen.“ Seit dem Jahr 2018 habe die Treasury ihre Kosten außerdem um ein Viertel gesenkt.   

Regulierung kann dabei für die Kostenreduzierung durch Standardisierung ein Hemmschuh sein.  Beispielsweise kläre Siemens aktuell, ob der Konzern bei den geplanten Zahlungen ein Problem mit der Zahlungsverkehrsregulierung haben könnte. Die Antwort auf diese Frage werde entscheidend dafür sein, wie groß die Rolle der Banken weiterhin sein müsse.  Eine besondere Bedeutung für die geplanten künftigen Geschäftsmodelle habe auch die Einführung eines digitalen Euro, sagt Rathgeb: „Dies würde einen großen Vorteil gegenüber den derzeit etablierten Zahlungswegen bringen.“

Im Gespräch: Peter Rathgeb

Siemens-Treasurer will Erbringung von Dienstleistungen und Abrechnung verschmelzen – Projekte für Digitalisierung und Automatisierung von Zahlungsflüssen

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