Gamesa-Belastung

Siemens Energy erleidet historischen Kursrutsch

Die Gewinnwarnung von Siemens Energy hat zu einer Massenflucht von Anlegern aus dem Dax-Wert geführt. Der Aktienkurs sank infolge neuer Qualitätsprobleme bei der Tochter Siemens Gamesa um rund ein Drittel. Folgen für die Windkraft-Strategie aus der Sonderbelastung wollte Energy-Vorstandschef Christian Bruch noch nicht nennen.

Siemens Energy erleidet historischen Kursrutsch

Siemens Energy erleidet historischen Kursrutsch

Kurs sinkt um 37 Prozent wegen Sonderkosten von mehr als 1 Mrd. Euro bei Siemens Gamesa – Energy-CEO Bruch: Probleme wurden unter Teppich gekehrt

mic München

Die Gewinnwarnung von Siemens Energy hat zu einer Massenflucht von Anlegern aus dem Dax-Wert geführt. Der Aktienkurs sank infolge neuer Qualitätsprobleme bei der Tochter Siemens Gamesa um mehr als ein Drittel. Folgen für die Windkraft-Strategie aus der Sonderbelastung von mehr als 1 Mrd. Euro wollte Energy-Chef Christian Bruch noch nicht nennen. Es sei aber die Gamesa-Unternehmenskultur zu verbessern.

Der Aktienkurs von Siemens Energy verzeichnete bis zum Schluss des Xetra-Handels mit 37,3% auf 14,65 Euro den größten Einbruch der Firmengeschichte. Infolge der Nachricht einer Kostenbelastung bei der Windkraft-Tochter Siemens Gamesa von mehr als 1 Mrd. Euro aufgrund von Qualitätsproblemen, die – wie bereits von der Börsen-Zeitung berichtet – am Vorabend veröffentlicht worden war, sackte der Kurs sofort zu Handelsbeginn ab. Der Absturz ist auch deswegen besonders bemerkenswert, weil die Anleger zuletzt stark auf die Aktie gesetzt haben. Der Kurs liegt nach dem Einbruch auf dem Niveau des November 2022.

Am Freitagmorgen zeigte sich das Management von Siemens Energy und Siemens Gamesa in Telefonkonferenzen erst mit Analysten und dann mit Journalisten zutiefst enttäuscht über die erneute Gewinnwarnung – Siemens Gamesa hatte in den vergangenen Jahren vielfach die Ziele verfehlt (siehe Grafik). „Auch wenn es für jeden klar sein dürfte, möchte ich nochmals betonen, wie bitter das für uns alle ist“, sagte Christian Bruch, Vorstandsvorsitzender von Siemens Energy.

Siemens-Gamesa-Chef Jochen Eickholt erklärte: „Das ist ein enttäuschender, herber Rückschlag.“ Er habe in der Vergangenheit mehrfach gesagt, dass bei Siemens Gamesa nichts sichtbar sei, was er nicht woanders auch schon mal gesehen habe. Nun müsse er feststellen, „dass ich das heute nicht noch mal so sagen würde“.

Bruch vermied konkrete Aussagen über die Konsequenzen für die Strategie von Siemens Energy. Er verwies darauf, dass die Erkenntnisse über die Qualitätsmängel sehr neu und noch in keinem ausgereiften Stadium seien: „Es ist wirklich zu früh, daraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Die Antwort auf die Frage, ob es etwas sei, was die Strategie verändern könne oder nicht, komme noch. Der Vorstandsvorsitzende verwies auf die Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal am 7. August.

Festhalten an Windenergie

Der Siemens-Energy-Chef ließ aber erkennen, dass eine Trennung von Gamesa in toto momentan nicht ansteht: „Grundsätzlich bin ich nach wie vor überzeugt: Energietransformation geht nur mit Wind.“ Er sehe nicht, warum Siemens Gamesa das nicht schaffen könne. Die Komplettübernahme der Tochter, die in diesen Wochen abgeschlossen wird und für die Siemens Energy 4,05 Mrd. Euro aufwendet, hält Bruch „nicht für einen Fehler“. Unter damaligen Rahmenbedingungen sei auch der Preis absolut richtig und sinnvoll gewesen.

Bruch strich im Gespräch mit Analysten heraus, dass die jetzige Überprüfung, die zu den neuen Erkenntnissen führt, vom Siemens-Gamesa-Verwaltungsrat initiiert worden sei. Von personellen Konsequenzen war bisher keine Rede. Eickholt hat sein Amt im März 2022 angetreten.

Es gebe einen dringenden Bedarf, die Unternehmenskultur zu verbessern, sagte Bruch den Analysten mit Blick in die auch fernere Vergangenheit: „Zu viel wurde unter den Teppich gekehrt.“ Das Kulturproblem liege nicht in der Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Nationalitäten, sondern in der Art und Weise, wie mit Problemen umgegangen werde, sagte Bruch im Gespräch mit Journalisten.

Die Qualitätsprobleme seien nicht früher aufgefallen, weil sie sich erst beim Einsatz der Windturbinen zeigten, sagte Eickholt. Er fügte hinzu: „Mit dem heutigen Wissen muss ich sagen, dass der Turnaround von Siemens Gamesa länger dauern wird, als ich gedacht habe.“ Die Cash-Belastungen würden sich über viele Jahre strecken, sagte Bruch. Finanzvorständin Maria Ferraro sagte im Analysten-Call auf die Frage, ob Siemens Energy neues Kapital benötige: „Es ist zu früh, dies zu sagen.“

Siemens Gamesa hatte bereits im Januar angekündigt, dass Qualitätsmängel zu Sonderkosten von 472 Mill. Euro führten. Dass nun zusätzlich mehr als 1 Mrd. Euro anfallen, begründete Eickholt mit deutlich erhöhten Ausfallraten von Windturbinen-Komponenten. Dazu zählten Rotorblätter und Lager. Es gehe um einzelne, aber wichtige Komponenten von bestimmten Zulieferern. Es seien über die Lebenszeit der Anlagen 15 bis 30% des Onshore-Bestands betroffen, detaillierte er im Gespräch mit Analysten.

Eickholt betonte, bisher habe man kein abschließendes Resultat über den Umfang der Schäden. Indikatoren für die erwarteten Belastungen seien akut erhöhte Ausfallraten, aber auch Frühwarnindikatoren wie ein abnormales Schwingungsverhalten der Windräder im Betrieb. Die Untersuchung sei von einer recht neuen Führungsmannschaft durchgeführt worden, die unbelastet von früheren Verantwortlichkeiten sei und deswegen etwas anders auf die installierte Flotte schaue.

Eickholt detaillierte darüber hinaus die Schwierigkeiten beim Hochlauf der Fertigungskapazitäten für seegestützte Windräder. Man erweitere die Kapazität in den Offshore-Fabriken um rund 30%, sagte Eickholt. Man habe ein ganzes Bündel von Themen. Keines wäre herausragend oder aufregend, die Summe aber bereite dem Management schon Sorgen. So gebe es Verzögerungen bei der Konstruktion von Gebäuden, eine längere Qualifizierung von Fertigungsprozessen und Verzögerungen beim Anwerben von Arbeitskräften.

Darüber hinaus seien die geplanten Verbesserungen der Produktivität nicht in allen Fällen so eingetreten wie geplant, sagte Eickholt. Beispielsweise seien einzelne Materialkosten höher als ursprünglich kalkuliert.

Siemens AG wird getroffen

Das Siemens-Gamesa-Desaster hat auch Folgen für die Siemens AG. Der zu erwartende höhere Jahresverlust wird anteilig auf ihre Gewinn-und-Verlust-Rechnung durchschlagen, denn der Konzern hält nach der Energy-Kapitalerhöhung noch 31,9% an Siemens Energy.

Unklar ist bislang, ob eine Sonderabschreibung im dritten Quartal notwendig wird. Siemens hatte im zweiten Quartal einen Sondergewinn nach Steuern in Höhe von 1,59 Mrd. Euro verbucht, weil der Xetra-Schlusskurs der Siemens-Energy-Aktie zum Quartalsende am 31. März signifikant über dem Schlusskurs vom 30. Juni 2022 gelegen hatte: 20,24 Euro gegenüber 13,99 Euro. Per Ende Juni 2022 hatte die Siemens AG den Energy-Anteil um 2,7 Mrd. Euro abgeschrieben.

Eine Beteiligung an Kapitalerhöhungen von Siemens Energy hatten Siemens-Vorstandsvorsitzender Roland Busch und Finanzvorstand Ralf Thomas seit der Eigenständigkeit der Tochter strikt abgelehnt.

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