RECHT UND KAPITALMARKT

Smart Contract statt Wertpapier

Die Blockchain und das Recht - Eventuell völkerrechtliche Regelung nötig - Glaskugel oder fester Boden unter den Füßen?

Smart Contract statt Wertpapier

Von Manuel Lorenz *)Auch Juristen haben das Zukunftsthema Blockchain auf dem Radar. Es gibt erste Gedankenansätze zu den Rechtsfragen, die beispielsweise auf einer Konferenz des E-Finance Lab und der DZ Bank im September an der Frankfurter Universität diskutiert wurden.Mit der Blockchain-Technologie ist es möglich, manipulationssicher die Zuordnung eines Vermögensgegenstandes beliebiger Art (Wertpapiere, Geld etc.) elektronisch festzuhalten. Die Transaktionshistorie wird in der Blockchain, einem stetig länger werdenden verschlüsselten Datensatz, protokolliert. Dieser wird auf den Rechnern vieler Beteiligter gespeichert. Bei jeder neuen Transaktion entscheiden diese Rechner dann per Mehrheitsentscheid, ob die Transaktion gültig ist. Durch die verteilte Anordnung (Distributed Ledger) und die eingesetzte Verschlüsselung soll es sehr schwer bis unmöglich sein, die Einträge zu manipulieren.Zudem wäre es mit der Blockchain technisch möglich, die papierhafte Verkörperung eines Wertpapiers und das Clearing und Settlement vollständig zu ersetzen. Dazu benötigt man Programme, die für eine automatische Zahlung von Zinsen und Kapital und des Kaufpreises bei Verkauf sowie für Lieferung des Wertpapiers sorgen (Smart Contracts). Die Blockchain könnte damit zentrale Institutionen wie beispielsweise Wertpapierzentralverwahrer, Clearingstellen und Banken obsolet machen. Wem gehört ein Wertpapier?Ein komplexes Netz von sachenrechtlichen und depotrechtlichen Regelungen legt bei zentral verwahrten Wertpapieren fest, wann das Miteigentum an der Urkunde und die darin verbrieften Rechte übergehen. Dabei wird auf die Besitzübertragung in der Verwahrkette abgestellt. Bei Namensschuldverschreibungen und sonstigen unverbrieften Rechten finden dagegen die schuldrechtlichen Vorschriften über die Abtretung Anwendung. Findet das Sachenrecht Anwendung, ist an dem Vermögensgegenstand aufgrund der Eigentumsvermutung zugunsten des Besitzers ein gutgläubiger Erwerb möglich, was bei einer Abtretung nicht der Fall ist.Bei der Blockchain werden diese Vorschriften durch technische Regelungen ersetzt: Eigentümer ist, wer in der Blockchain (verschlüsselt) als solcher ausgewiesen ist. Die Umschreibung des Wertpapiers in der Blockchain müsste einen sachenrechtlichen Besitzerwechsel bewirken. Wenn es keine Verwahrkette mehr gibt, ist das schwierig. Alternativ könnte an eine Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen die Wertpapiersammelbank gedacht werden. Dann müsste die Blockchain die auf den Inhaberwechsel gerichteten Willenserklärungen der Beteiligten dokumentieren. Ob man per Blockchain ein Papier gutgläubig erwerben kann, ist völlig offen. Weg mit dem PapierMan kann auch darüber nachdenken, die Wertpapierurkunde als Anknüpfungspunkt ganz wegzulassen. Unverbriefte Wertrechte gibt es im deutschen Recht, allerdings beschränkt auf Bundeswertpapiere. Diese werden durch die gesetzliche Fiktion eines Wertpapiersammelbestands depotfähig. In Ermangelung einer solchen Regelung bei der Blockchain fällt das Depotrecht als Anknüpfungspunkt weg, ebenso wie ein rechtlich geregeltes Verwahr-, Clearing- und Settlement-System. Kommen Wertrechte abhanden, gibt es keinen Verwahrer, der für unsorgfältige Verwahrung haften könnte. Ob es ein Trost ist, dass die Blockchain technisch sicherstellt, dass keine Wertrechte abhandenkommen, bleibt offen. Auch Bitcoins wurden schon von Hackern “gestohlen”. Zudem gibt es derzeit noch keine Behörde, welche die Sicherheit der Technologie vor Manipulation prüft und zertifiziert.Ersetzte man künftig den Gegenstand Wertpapier durch einen Smart Contract, also durch Bits und Bytes, stehen wir zunächst – scheinbar – im rechtlichen Niemandsland. Das kann leicht an der Bitcoin vorgeführt werden. Diese Kryptowährung ist kein offizielles Zahlungsmittel, aber wird als Zahlungsmittel anerkannt. Ihr wird von den beteiligten Kreisen ein Wert beigemessen, der in erster Linie durch die endliche Verfügbarkeit der Bitcoin bestimmt wird und dadurch, dass dieser Wert einfach und fälschungssicher übertragen werden kann. Die Bitcoin ist aber weder Sache noch Recht, sondern nur ein Datensatz, dessen Zuordnung zu einer bestimmten Person nur technisch, aber eben nicht rechtlich geregelt wird. Dieses Vakuum scheint aber die beteiligten Verkehrskreise nicht zu stören. Gewiss wäre ein Vertrag, bei dem ein Gut gegen Bitcoin verkauft wird, trotzdem rechtlich wirksam und vor Gericht durchsetzbar. Aber die Frage, welche rechtliche Norm das Eigentum an der Bitcoin regelt, bleibt dunkel.Kompliziert wird dies durch die Vorfrage, welches nationale Recht eigentlich das Eigentum regeln soll. Bei Wertpapieren gilt die Regelung, dass das Recht am Lagerungsort der Urkunde anwendbar ist, auch wenn der Wertpapierinhaber und seine Depotbank in einem anderen Land sitzen. Bei langen Verwahrketten, die sich über mehrere Länder erstrecken, kann es sehr schwierig sein, den Eigentümer zu ermitteln. Insoweit könnte die Blockchain durchaus auch als eine wesentliche Erleichterung bei der Lösung der Eigentumsfrage gesehen werden. Smarte VerträgeSmart Contracts, also Bits und Bytes anstelle von Wertpapierurkunden, würden es ermöglichen, auf die Anwendung sachenrechtlicher Grundsätze zu verzichten. Die Frage bliebe aber: Was gilt dann rechtlich, außer der technischen Antwort, dass die Blockchain den jeweiligen Eigentümer eines Smart Contract ausweist?Für Wertpapiere gibt es immerhin einen Anspruchsinhaber (den Wertpapiereigentümer) und einen Anspruchsschuldner (den Emittenten). Daher liegt es nahe, dass es neben dem rein elektronischen Smart Contract einen rechtlich durchsetzbaren vertraglichen Anspruch des Inhabers gegen den “Emittenten” eines Smart Contract gibt. Mithilfe der Blockchain muss dieser rechtssicher übertragen werden. Das löst man rechtlich über eine Abtretungskonstruktion. Auf die Abtretung wäre das Recht der abgetretenen Forderung anwendbar, so dass wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.Damit der Emittent an den richtigen Gläubiger zahlt, muss ihm allerdings die Abtretung auch angezeigt werden. Das ist aber bei der Blockchain nicht automatisch sichergestellt, auch wenn sich der Smart Contract im Idealfall selbst die Zahlung vom Emittenten holt.Sind Wertpapiere durch Smart Contracts ersetzt, stellt sich weiter die Frage, ob diese den Vertrag selbst darstellen oder einen Vertrag voraussetzen. Wenn die Vertragsdurchführung gestört ist, z. B. die falsche Person eine Zahlung erhalten hat, müsste dass gerichtlich oder rein technisch geklärt werden? Kann man solche Verträge anfechten, kündigen oder von ihnen zurücktreten? Und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und wie wäre das zu programmieren? Gibt es Prospektpflichten und Prospekthaftung? Gesetzliche RegelungDas zeigt, dass die Blockchain ohne eine dahinterliegende rechtliche Regelung nur schwer als Instrument zum Ersatz von Verwahrung, Clearing und Settlement dienen kann. In einer geschlossenen Benutzergruppe könnte man dies durch einen Kollektivvertrag sicherlich regeln. Für offene Benutzergruppen müsste über eine gesetzliche Regelung nachgedacht werden. Stellt sich also heraus, dass die Blockchain-Technologie eine machbare und akzeptierte Form der Zuordnung von Vermögensgegenständen ist, so empfiehlt sich längerfristig gesetzgeberisches Handeln. Wegen der verteilten Speicherung der Blockchain über Ländergrenzen hinweg mag sich, ähnlich dem Wechsel- und Scheckrecht, eine völkerrechtliche Regelung anbieten, die einen weltweit einheitlichen Regelungskanon sicherstellt.Dass hier noch mehr Probleme zu lösen sind, sei als Schlussbemerkung nicht verschwiegen. Etwa, ob und unter welchen Voraussetzungen die Eigentümer/Betreiber der Rechner, auf denen die Blockchain gespeichert wird, als Wertpapierverwahrer oder -händler anzusehen sind, die eine BaFin-Erlaubnis benötigen. Darüber denkt die BaFin intensiv nach. Und was datenschutzrechtlich gilt, ist ebenfalls noch unklar. Die Materie bleibt spannend.—-*) Dr. Manuel Lorenz ist Partner von Baker & McKenzie in Frankfurt.