INTERNATIONALE AUTOMOBIL-AUSSTELLUNG

Smartphone mit Lenkrad

Von Heidi Rohde, Frankfurt Börsen-Zeitung, 17.9.2015 Für den Gartner-Experten Thilo Koslowski, der seit mehr als zwei Jahrzehnten die Autoindustrie beobachtet, ist die diesjährige IAA ein besonderes Ereignis. Die erstmalige Präsenz von Google auf...

Smartphone mit Lenkrad

Von Heidi Rohde, FrankfurtFür den Gartner-Experten Thilo Koslowski, der seit mehr als zwei Jahrzehnten die Autoindustrie beobachtet, ist die diesjährige IAA ein besonderes Ereignis. Die erstmalige Präsenz von Google auf der Messe bestätigt eine Entwicklung, die von Koslowski bereits vor fünf Jahren mit damals prophetisch anmutendem Weitblick vorhergesagt wurde: 2015 werde “mindestens ein großes IT-Unternehmen ein automobiles Angebot vorstellen”, formulierte er, ohne konkrete Namen zu nennen.Jedoch ließ sich bereits erahnen, dass der gedankliche Sprung vom “mobil vernetzten Leben”, das zunehmend über das Smartphone definiert und gesteuert wird, zur neuen Automobilität für Konzerne wie Google oder Apple nicht weit war.Wenig überraschend offenbarte Google-Europachef Philipp Justus in einer Podiumsdiskussion auf dem New Mobility Forum der IAA, dass der Internet-Riese “schon seit sechs Jahren am Thema ,autonomes Fahren` arbeitet”. Ebenso wie Apple unterstreicht der Konzern seine Ambitionen durch die jüngste Verpflichtung von Managern aus der Autoindustrie und verfährt wie stets nach dem Motto “think big”. Da scheint es nicht zu gewagt, sich das Auto der Zukunft als eine Art omnipotentes Smartphone mit Lenkrad vorzustellen, zumal Justus betont, Google habe sich ja sogar “eine ganz andere Aufgabe gestellt, nämlich ein selbstfahrendes Auto ohne Lenkrad”. Noch ZukunftsmusikIndes waren sich alle Podiumsteilnehmer einig, der Zeitpunkt des Autofahrens “ohne jegliche Aufmerksamkeit der Insassen” liege noch so weit in der Zukunft, dass ihn keiner vorhersagen wollte. Bosch-Lenker Volkmar Denner blickt deshalb mit Gelassenheit auf die Bestrebungen der US-IT-Giganten. Niemand zweifelt daran, dass die Autoindustrie zu neuen Ufern aufbrechen muss und “ganz neue Partner” finden wird, wie VDA-Präsident Matthias Wissmann in seinem Grußwort erklärte.Dabei geben sich auch die großen Zulieferer offen. Dennoch hält es Denner für geboten, sich zunächst erreichbaren Nahzielen zuzuwenden. So will der Manager die eigene führende Rolle in der Sensorentechnik dafür nutzen, um “in wenigen Jahren” beispielsweise zu ermöglichen, “dass das Auto vollständig allein einparkt”.Solche Fortschritte mögen im Hinblick auf den Stellenwert, den das Auto für künftige Generationen haben wird, immerhin den konkreten Nutzen der Digitalisierung verdeutlichen. Während diese im Fahrzeug schon sehr weitgehend integriert ist, bildet nach Denners Worten die intelligente Vernetzung noch die eigentliche Aufgabe – etwa “um das Fahrzeug durch Echtzeitdaten aus der Cloud vor einem Stau hinter der nächsten Biegung zu warnen, den die beste Sensorentechnik nicht rechtzeitig erkennen kann”.Vernetzung ist auch das Stichwort, das dem CEO von ZF Friedrichshafen, Stefan Sommer, einfällt, um dem “Wertewandel in der Gesellschaft” Rechnung zu tragen. Der Manager betonte in der Diskussion die veränderte Bedeutung von Mobilität. Während das Auto einst als Inbegriff der individuellen Mobilität zum begehrten Besitz und Statussymbol wurde, hat das Smartphone dessen Stellenwert relativiert. Früher fuhr man Auto, um zusammenzukommen und sich auszutauschen, heute ermöglicht das Smartphone insbesondere über soziale Netze einen vielfältigen Austausch, der den Bedarf an persönlicher Mobilität mindert. Sommer sieht es daher als Aufgabe der Branche, eine Antwort auf diesen Wertewandel zu finden und “Lösungen für komplexe Mobilitätsbedürfnisse zu entwickeln.”Aktuelle Umfragen zur Befindlichkeit der Deutschen im Hinblick auf das Automobil geben ihm Recht. Das Marktforschungsinstitut Gartner hat Zahlen erhoben: Rund 30 % der Befragten können sich demnach vorstellen, auf den Autobesitz zu verzichten, und legen stattdessen lediglich Wert auf die Verfügbarkeit einer “Mobilitätslösung im Bedarfsfall”, sei es durch Carsharing oder auch Dienste von Unternehmen wie Uber. Neue GeschäftsmodelleKoslowski prophezeit der Autoindustrie daher einen tiefgreifenden Wandel im Geschäftsmodell. Der klassische Autoverkauf mit der Erfolgsmessung in Absatzzahlen werde künftig allein nicht mehr genügen, sondern neben eine Vielzahl anderer Produkte und Lösungen treten. Für eine Variante gab es auch schon eine konkrete Testfrage von Gartner: Würden Sie eine langjährige Bindung mit einem Telekomnetzbetreiber eingehen, wenn diese mit einem verbilligten Autokauf verknüpft wäre? Ein substanzieller Teil der Befragten antwortete mit Ja. So könnten nicht nur die Autos vernetzt werden, sondern auch direkt die Geschäftsmodelle von Auto- und Telekomindustrie.—– Personen Seite 16 ——–Die Automobilindustrie sucht Antworten auf den Wertewandel der Gesellschaft und auf neue Mobilitätsanforderungen.——-