Börsengänge

So viele IPOs wie nie zuvor

So viele Börsengänge gab es noch nie zuvor. Das Neuemissionsvolumen ist im ersten Quartal weltweit auf den Rekordwert von mehr als 200 Mrd. Dollar gestiegen.

So viele IPOs wie nie zuvor

cru Frankfurt

Die Rekorde purzeln. Billionenschwere staatliche Hilfsprogramme und der offene Geldhahn der Notenbanken sowie die neuen Impfstoffe haben die Aktienindizes im ersten Quartal auf neue Höchststände getrieben. Investmentbanker verzeichnen im Geschäft mit Börsengängen, Fusionen und Private-Equity-Deals das beste Auftaktquartal eines Jahres aller Zeiten.

„Oberflächlich betrachtet waren die Aktienmärkte im ersten Quartal 2021 förderlich für globale Aktienemissionen“, kommentiert Bastian Schiedat, European Head of Equity Syndicate bei Berenberg. Die Indizes seien seit Jahresbeginn um 5 bis 10% gestiegen, der Volatilitätsindex Vix sei habe weite Strecken des Quartals unter 25 verharrt, und die Bewertungen blieben hoch.

Trügerische Ruhe

„Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche gibt es mehr Volatilität und große Rotationen, da sich die Anleger einerseits mit einem möglichen Wachstumsschub nach der Pandemie auseinandersetzen, während sie andererseits wegen neuer Covid-Varianten weiterhin vorsichtig sind“, erklärt Schiedat. Parallel zu den im Laufe des Quartals zunehmenden Aktienemissionen kam es zu einer Verschiebung von Wachstums- zu Substanzwerten, da die bisherigen Lockdown-Gewinner litten, während die Kurse von Unternehmen zulegten, die von der bevorstehenden Öffnung profitieren. Ein Großteil der unterschwelligen Volatilität lässt sich auf den Anleihemarkt zurückführen, wo die Renditen von US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit sich im Quartal nahezu verdoppelten, beginnend bei 0,92% Anfang Januar und kürzlich endend bei 1,74%. Zur Verunsicherung trug auch bei, dass Privatanleger den Kurs des US-Videospielehändlers Gamestop binnen einer Woche um 400% nach oben trieben – während die Wall Street über die drohende Inflation und überzogene Tech-Bewertungen nachdachte.

Trotz der unübersichtlichen Lage feiert der globale Markt für Börsengänge sein Comeback mit einem Paukenschlag. Mit mehr als 200 Mrd. Dollar an IPO-Emissionen im ersten Quartal war das Volumen größer als jemals zuvor. In Europa war das IPO-Emis­si­ons­volumen mit 23 Mrd. Euro so groß wie seit dem zweiten Quartal 2014 nicht mehr – davon knapp 5 Mrd. Euro aus deutschen Börsengängen. Angekurbelt wurde der Markt vor allem durch die Rekord-IPOs des polnischen Internethändlers InPost (3,2 Mrd. Euro) in Amsterdam, die Vodafone-Funkturmsparte Vantage Towers (2,3 Mrd. Euro) in Frankfurt und den Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 (1,8 Mrd. Euro) in Frankfurt sowie eine ganze Reihe anderer wachstumsstarker Unternehmen. Technologiewerte machten laut Berenberg mehr als 60% der europäischen IPO-Aktivität aus.

Daneben haben Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) den IPO-Markt weiter angeheizt. Die Blankoscheck-Übernahmevehikel, die zunächst nur als leere Hülle Geld für Akquisitionen einsammeln, haben seit Jahresbeginn weltweit mehr als 90 Mrd. Dollar eingeworben – mehr als der Gesamtbetrag im vollen Jahr 2020 von 83 Mrd. Dollar.

Spac-Boom in USA

Während der Großteil der Spac-Börsengänge in den USA stattfand, hat die Aktivität in Europa mit bisher drei Spac-Börsengängen in Amsterdam und Frankfurt (Lakestar) in diesem Jahr zumindest zugenommen. Als erster europäischer Spac in diesem Jahr und als erstes auf ESG fokussiertes Übernahmevehikel dieser Art sammelte ESG Core Investments 250 Mill. Euro in Amsterdam ein. Wegen des allgemein stark gestiegenen Spac-Emissionsvolumens litten Spacs, die ab Mitte März zum Standardpreis von 10 Dollar oder 10 Euro je Aktie an den Markt kamen, unter der Angebotsschwemme. Das führte dazu, dass viele Spacs unmittelbar nach dem Start unter dem Emissionspreis gehandelt wurden.Über Ostern hat den Investoren zudem das Desaster des Börsengangs des Lieferdiensts Deliveroo in London zu denken gegeben. „Ein 26-prozentiger Kurs-Rückgang beim Debüt für einen 1,5 Mrd. Pfund schweren Börsengang würde immer für weltweite Schlagzeilen sorgen. Es wird sofort die Frage aufgeworfen, ob die Performance von Deliveroo am ersten Tag die IPO-Pipeline beeinflussen wird?“, skizziert Berenberg-IPO-Experte Schiedat die Lage.

„Deal-Müdigkeit, schrumpfende Kursgewinne bei den jüngsten IPOs und himmelhohe Bewertungen hatten bereits begonnen, die Stimmung der Investoren zu belasten, als wir uns dem Ende des Quartals näherten, also war es vielleicht nicht überraschend.“ Ein einzelner, schlecht gelaufener, großer „Trade“ habe Auswirkungen, aber er diktiere nicht einen ganzen Markt, der von so vielen anderen Faktoren geprägt werde: „Angesichts einer breiteren Pipeline von Unternehmen verschiedener Sektoren, die noch vor dem Sommer an die Börse gehen sollen, werden die Anleger wahrscheinlich preissensibel und äußerst selektiv bei ihren IPO-Investitionsentscheidungen sein.“

Neuerdings dreigleisige Exits

„Wenngleich neben den klassischen Börsengängen auch Spacs und M&A boomen, glauben wir, dass die IPO-Pipeline weniger verstopft sein wird als befürchtet“, meint Schiedat. Einige potenzielle Unternehmens-Kandidaten für einen Verkauf würden von einem zweigleisigen Dual-Track-Verfahren zu einem dreigleisigen Prozess übergehen – möglich sind nun IPOs, Spac-Fusionen und Übernahmen. „Bei so viel Feuerkraft von Private Equity und vielen Spac-Vehikeln, die nach Investitionen suchen, werden einige der aktuellen IPO-Kandidaten wahrscheinlich alternative Wege zur Vermarktung oder zum Cash-out finden.“