Finanzierungskrise

Start-ups in Europa drosseln Personalwachstum

Start-ups in Europa treten bei der Erweiterung ihrer Belegschaft in diesem Jahr deutlich auf die Bremse. Vor allem bei Firmen in der Spätphase ist die Einstellungsquote im Vergleich zum Vorjahr stark gesunken, wie eine Analyse zeigt. Für die Mehrheit hat eine kurzfristige Aufstockung des Personals derzeit keine Priorität.

Start-ups in Europa drosseln Personalwachstum

Start-ups drosseln Personalwachstum

Einstellungsquote in Europa laut Studie stark zurückgegangen – Finanzierungskrise zwingt Jungfirmen zu mehr Disziplin

Start-ups in Europa treten bei der Erweiterung ihrer Belegschaft in diesem Jahr deutlich auf die Bremse. Vor allem bei Firmen in der Spätphase ist die Einstellungsquote im Vergleich zum Vorjahr stark gesunken, wie eine Analyse zeigt. Für die Mehrheit hat eine kurzfristige Aufstockung des Personals derzeit keine Priorität.

kro Frankfurt

Der selbsternannte Jobmotor der Wirtschaft gerät in Zeiten von Inflation, Zinssteigerungen und Konjunkturschwäche ins Stottern. Die sogenannte Einstellungsquote, die sich aus der Zahl der Neueinstellungen relativ zur durchschnittlichen Mitarbeiterzahl ergibt, ist bei europäischen Start-ups von 60% im Vorjahr auf nun 37% gesunken, wie die britische Vergütungsplattform Ravio in einer Analyse ermittelt hat.

Die Zurückhaltung beim Personalaufbau sei in sämtlichen Entwicklungsphasen zu beobachten, schreiben die Autoren der Studie. Besonders drastisch sei die Einstellungsquote bei Unternehmen in der Spätphase (Late Stage) zurückgegangen – und zwar von 62% im Vorjahr auf nun 31%. Dies hänge wahrscheinlich mit den sinkenden Bewertungen an den öffentlichen Märkten und dem quasi geschlossenen IPO-Fenster zusammen, heißt es. Den Firmen blieben vor dem Hintergrund nicht mehr viele Finanzierungsoptionen, weswegen sie nun beim Personal ansetzen müssten. Für die Analyse hat die selbst erst im Januar 2022 gegründete Ravio Daten von 900 Unternehmen mit Sitz in Europa ausgewertet und parallel dazu 1.000 Personalverantwortliche befragt.

Eine Erweiterung der Belegschaft hat für die Mehrheit der Firmen auch in den kommenden sechs Monaten keine Priorität. 55% gaben demnach an, dass Mitarbeitende, die das Unternehmen verließen, zwar ersetzt würden. Die Angestelltenzahl soll dadurch aber insgesamt nicht steigen. Das plant der Umfrage zufolge derzeit nur ein Fünftel der Start-ups.

Nach dem Boomjahr 2021, in dem Start-up-Investoren so viel Geld wie nie zuvor in innovative Jungfirmen gepumpt haben, muss die Gründerszene nun schon eine ganze Weile mit deutlich weniger Mitteln zurechtkommen. Im vergangenen Jahr sind die Wagniskapitalinvestitionen in Europa laut dem Datenanbieter Dealroom um 17% auf etwa 100 Mrd. Dollar zurückgegangen. In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres fiel der Rückgang gegenüber dem Vorjahr mit 44% auf 47 Mrd. Dollar nochmal deutlich kräftiger aus.

„Das aktuelle wirtschaftliche Umfeld setzt Personaler enorm unter Druck“, kommentiert Raymond Siems von Ravio die Analyseergebnisse. „Die Verantwortlichen stehen vor der Herausforderung, mehr mit weniger zu erreichen.“ Da die Budgets begrenzt seien, würden die Unternehmen verstärkt dazu übergehen, Mitarbeitende mit Anreizen wie Firmenbeteiligungen und Benefits zu halten und zu motivieren. Die in Deutschland geplanten steuerlichen Reformen für solche Beteiligungen dürfte den Firmen vor dem Hintergrund nochmal stärker entgegenkommen.

Lohntransparenz noch kein Thema

Auf EU-Ebene angestoßene Vergütungsreformen dürften künftig ebenfalls Auswirkungen auf hiesige Start-ups haben. Bis Juni 2026 sind alle Mitgliedstaaten gemäß einer Richtlinie zur Verbesserung der Lohntransparenz verpflichtet, entsprechende Instrumente in nationales Recht einzuführen. Ziel ist es, geschlechtsspezifische Lohnlücken, auch bekannt als Gender Pay Gap, abzubauen. In der Start-up-Szene sind die Gehaltsunterschiede nach bisherigen Forschungen sogar größer als in der Gesamtwirtschaft. So beziffert Ravio den mittleren Gender Pay Gap bei den von der Plattform untersuchten Jungfirmen auf 26%. In der gesamten europäischen Wirtschaft belief sich das Gefälle zuletzt auf 13%.

Für die meisten Jungfirmen spielt das Thema Lohntransparenz derzeit aber trotzdem noch keine große Rolle. 69% der in der Ravio-Analyse befragten Unternehmen fühlen sich durch die Richtlinie nicht unter Druck gesetzt – der Großteil davon begründet dies mit dem langen Zeitraum bis zur geforderten Implementierung.

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