IM BLICKFELD

Start-ups hoffen auf neue Deutschland AG

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 11.5.2017 Für Start-ups und Venture Capital ist die nun langsam zu Ende gehende Legislaturperiode ein Wechselbad der Gefühle, ein beständiges Auf und Ab. "Wir werden Deutschland als Investitionsstandort für...

Start-ups hoffen auf neue Deutschland AG

Von Ulli Gericke, BerlinFür Start-ups und Venture Capital ist die nun langsam zu Ende gehende Legislaturperiode ein Wechselbad der Gefühle, ein beständiges Auf und Ab. “Wir werden Deutschland als Investitionsstandort für Wagniskapital international attraktiv machen und dafür ein eigenständiges Regelwerk (Venture-Capital-Gesetz) abhängig von den Finanzierungsmöglichkeiten erlassen, das unter anderem die Tätigkeit von Wagniskapitalgebern verbessert.” So hieß es vielversprechend im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Berliner Zwangsehe. Damals war es auch, dass letztmalig von einem VC-Gesetz gesprochen wurde.Nur ein Jahr später waren die Pläne im Finanzministerium dann so weit gediehen, dass Ulrike Hinrichs, Vorstand des Venture-Capital-Verbands BVK, wütete, sie sei es leid, “immer nur mit dem Feuerlöscher durch die Gegend zu laufen, um das Schlimmste zu verhindern”. Aus purer Verzweiflung legte der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften schließlich einen eigenen Gesetzentwurf vor.Unterdessen blockte die Deutsche Börse das Ziel der Koalition ab, die ein neues Börsensegment “Markt 2.0” prüfen wollte, um die klaffende Finanzierungslücke von Firmengründern und Wachstumsunternehmen zu schließen. Stattdessen installierten die Frankfurter eine Online-Plattform “Deutsche Börse Venture Network”, um den jungen Firmen den Zugang zu Investoren zu erleichtern.Nach diesen Tiefschlägen für all die hochfliegenden Ideen und Businessmodelle von Start-up-Entrepreneuren wurde es besser – was Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Start-ups, maßgeblich auf Jens Spahn zurückführt, der Mitte 2015 neuer Parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium wurde.Mit diesem offenen, engagierten Nachwuchspolitiker sei wieder Bewegung in die Dinge gekommen, sagt Nöll, der die vergangenen vier Jahre als “gute Legislaturperiode” charakterisiert. Auch Feuerwehrfrau Hinrichs sieht die Gefechtslage inzwischen entspannter. Auch verglichen mit den eigenen Vorschläge sei vieles umgesetzt worden – “da kann ich mich nicht beklagen”.Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Weil es nun doch keine Besteuerung von Streubesitz gibt, wie sie zwischenzeitig drohte? Weil Verlustvorträge nun doch an neue Investoren weitergereicht werden können? Weil die Förderbank KfW im staatlichen Auftrag mit Hilfe eines neuen Tech Growth Fund in den nächsten zehn Jahren 10 Mrd. Euro bereitstellen soll, womit weitere 10 Mrd. von privaten Investoren eingeworben werden sollen? Und weil die Deutsche Börse mit “Scale” doch noch ein Segment für kleine und mittlere Firmen eingerichtet hat?Das grundsätzliche Problem sei mit all den öffentlichen Geldern nicht zu lösen, relativiert Nöll die jüngsten Erfolge. Wenn in Europa 10 Mrd. Euro für Wagniskapital zur Verfügung stehen – davon zuletzt nur gut 2 Mrd. hierzulande -, während es in den USA jährlich 50 Mrd. Dollar sind, geht es nicht nur um steuerrechtliche Rahmenbedingungen. Es geht auch um Forschungsförderung, fügt Hinrichs an – vor allem, wenn Start-ups nicht nur billig zu bauende E-Commerce-Lösungen entwickeln, sondern aufwendige technologische Fortschritte anstreben. Und es geht um die Frage, wie Kapitalsammelstellen wie Versicherungen, Stiftungen und Pensionskassen motiviert werden können, zumindest einen Teil ihrer Gelder in VC-Fonds anzulegen. Wenn es gelänge, nur 1 % der hiesigen Versicherungsgelder in Start-ups zu investieren, hätte die Branche für die nächsten fünf Jahre genug Geld, urteilt Nöll.Bislang steht dem jedoch Solvency II entgegen, das für Risikofonds eine (zu) hohe Eigenkapitalunterlegung vorschreibt. Um dieses Dilemma zu lösen, initiierte die dänische Regierung zusammen mit drei Pensionsfonds den Dachfonds Dansk Vaekstkapital, in dem das nordische KfW-Pendant drei Viertel des Eigenkapitals als ausfallgesicherte Schuldverschreibung mit dänischer Bonität eingebracht hat. Da die institutionellen Anleger bei diesem Modell zumindest zum Teil in risikolose (Staats)Anleihen investieren, ist damit das Solvency-II-Problem gelöst. Da es zudem eine Gewinndeckelung gebe, bleibe im Normalfall immer genügend Geld im Fonds, um Ausfälle überbrücken zu können, wirbt Nöll für eine Kopie dieses Modells. Incentives für KooperationZudem plädiert er für eine neue “Deutschland AG”. Doch statt der früher engen Konzernverflechtungen sei heute eine Zusammenarbeit von großen Firmen und kleinen Start-ups gefordert. Um etablierten Unternehmen den Weg in die Digitalisierung zu erleichtern und die oftmals brachliegenden riesigen Datenmengen zu erschließen, müssten mehr Firmen in Wagniskapital investieren. Wie wichtig dies gerade für die “klassische Wirtschaft” ist, hat unlängst Kanzlerin Angela Merkel beim Zukunftskongress der Unionsparteien betont. Da berichtete sie von Überlegungen in der Koalition, die mögliche steuerliche Forschungsförderung mit Incentives für den Fall zu versehen, “dass man mit Start-ups zusammenarbeitet”. Vor allem sei wichtig, dass dieser “Findungsprozess” nicht zu langsam stattfinde.