IM BLICKFELD

Steigende Kosten der Energiewende gefährden Wählerstimmen

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 16.8.2012 Wenn sich in der Politik Regierung und Opposition einig sind, ist äußerste Vorsicht angesagt. So auch bei der Energiewende, deren erste Stufe die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard...

Steigende Kosten der Energiewende gefährden Wählerstimmen

Von Ulli Gericke, BerlinWenn sich in der Politik Regierung und Opposition einig sind, ist äußerste Vorsicht angesagt. So auch bei der Energiewende, deren erste Stufe die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder um die Jahrtausendwende zündete mit dem Atomausstieg und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Den zweiten Schub bekam das Vorhaben nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima, als die schwarz-gelbe Regierung das Abschalten der deutschen Kernkraftwerke noch einmal beschleunigte und der Stromerzeugung aus Wind, Wasser und Sonne ein größeres Gewicht zuwies. Der Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch soll von 20 % im Vorjahr – und 25 % im sonnen- und windreichen ersten Halbjahr 2012 – auf mindestens 35 % im Jahr 2020 steigen, lautet das Berliner Ziel, das im Prinzip auch von einer breiten Bevölkerungsmehrheit getragen wird. Verbunden mit dem Versprechen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass “die EEG-Umlage nicht über ihre heutige Größenordnung hinaus steigen” soll.Diese Umlage fängt alle Zusatzkosten auf, die durch die teuren Solarmodule oder Windräder entstehen. Ein Häuslebauer erhält etwa – garantiert für 20 Jahre – für seinen selbsterzeugten Solarstrom das Vierfache je Kilowattstunde (kWh) dessen, was Elektrizität aus herkömmlichen Kraftwerken kostet. Windmüller müssen sich mit dem Doppelten begnügen bei einer deutlich kürzeren Garantiezeit. In toto summiert sich die EEG-Umlage auf inzwischen gut 16 Mrd. Euro jährlich – mit stark steigender Tendenz, geht doch der Zubau neuer Solaranlagen trotz hektischer Reformen un gebremst weiter mit neuen Rekordzahlen im Halbjahr.Trickreich hatte der Erfinder des EEG, der frühere grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin, diese Zusatzkosten nicht dem Staatshaushalt in Rechnung gestellt, sondern den Verbrauchern – wobei schon vor gut zehn Jahren die energieintensive Industrie weitgehend von der EEG-Umlage befreit wurde, um nicht ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit durch zu hohe heimische Strompreise zu gefährden. Dieses Abschieben der Zusatzkosten stellt auch die schwarz-gelbe Koalition nicht in Frage – im Gegensatz zum Gesamtverband der Textil- und Modeindustrie. Industrie geht vor GerichtDieser kritisiert die hohen Energiekosten als Bedrohung für kleine und mittelständische Firmen und hat folglich Klage eingereicht. Dabei berufen sich die vor Gericht gehenden Unternehmer auf ein Gutachten des Regensburger Verfassungsrechtlers Gerrit Manssen, der die EEG-Umlage als eine unzulässige Subvention und damit als verfassungswidrig bezeichnet. Diese Zwangsabgabe sei mit dem 1994 vom Bundesverfassungsgericht zu Fall gebrachten “Kohlepfennig” vergleichbar. Nach Ansicht der damaligen Karlsruher Richter hätten die Stromverbraucher keine besondere Finanzierungsverantwortung für die Förderung der Steinkohle – vergleichbar heute: des Grünstroms. Müsste Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble diese gut 16 Mrd. Euro – und einige Milliarden mehr in den nächsten Jahren – übernehmen, würde der ohnehin angespannte Haushalt völlig aus dem Ruder laufen. Kein Wunder, dass Regierung und Opposition am Status quo festhalten.Dennoch sieht auch die Koalition, dass die rapide steigende EEG-Umlage, die aller Voraussicht nach 2013 auf etwa 5 Cent je kWh hochschnellen dürfte und damit teurer würde als Strom, der an der Leipziger Energiebörse EEX gehandelt wird, und damit vor allem für Einkommensschwache eine enorme Belastung wird, die Wählerstimmen kosten könnte. Kein Wunder, dass Wirtschaftsminister Philipp Rösler einen grundlegenden Umbau des Fördersystems für erneuerbare Energien fordert. Wie die Stromindustrie bezeichnet auch der FDP-Chef das EEG als guten Anschub, um neuen Techniken wie die Photovoltaik oder Windenergie auf die Sprünge zu helfen und an die Marktreife heranzuführen. Inzwischen sei das Nischendasein aber längst überwunden, weshalb zunehmend Marktmechanismen greifen und Subventionen zurückgedrängt werden müssten. Damit Grünstrom endlich dort erzeugt wird, wo er gebraucht wird, und das zu Zeiten, in denen Bedarf herrscht, und an Orten mit ausreichender Netzinfrastruktur.Unterdessen laufen im Norden weitere Zusatzkosten auf. Weil sich die Netzanbindung von Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee als weit komplizierter und störungsanfälliger erwiesen hat als ursprünglich gedacht, wollen Wirtschafts- und Umweltministerium Haftungsregelungen installieren, um die Investitionsblockaden aufzubrechen. Schon heute verweist der Windenergieverband die Berliner Pläne, 10 000 Megawatt bis 2020 offshore zu installieren, ins Reich der Fantasie. Maximal gut die Hälfte sei realistisch. Marge für VersicherungenUm wenigstens diese Leistung zu ermöglichen, will das zuständige Wirtschaftsministerium die Risiken der Netzanbindung auf die Stromkunden überwälzen. Nur wenn der Netzbetreiber grob fahrlässig agiert, muss er (nach einem ersten Entwurf der Gesetzesnovelle) für einen – kleinen – Teil der Schäden haften. Speziell für Tennet, dem finanziell klammen Übertragungsnetzbetreiber in niederländischem Staatsbesitz, der die Windparks in der Nordsee mit dem Festland verbinden muss, wäre diese Reform ein Segen. Denn wenn realiter der Verbraucher haftet, und nicht mehr das Unternehmen, wäre der Weg frei für Versicherungen und Pensionsfonds, sich nicht nur an der Finanzierung von Offshore-Parks, sondern auch an deren Anbindung zu beteiligen – wofür die Bundesnetzagentur eine schöne 9-prozentige Rendite verspricht. Dass die Netzanbindung die Verbraucher viele Milliarden und die Haftung viele Millionen kostet, ist verglichen mit der ausufernden EEG-Umlage Möwenschiss.