RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: INGO KLEUTGENS

Steuerdaten-CD liefert Munition für Verfahren gegen Cum-Ex-Geschäfte

Finanzverwaltungen auf Beweissuche - Selbstanzeigen mit Auflagen verbunden

Steuerdaten-CD liefert Munition für Verfahren gegen Cum-Ex-Geschäfte

– Herr Dr. Kleutgens, die Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen hat eine Daten-CD mit Hinweisen auf umstrittene Cum-Ex-Geschäfte gekauft. Was ist der Hintergrund dieser Transaktionen?Bei Cum-Ex-Transaktionen besteht die Gefahr, dass die Kapitalertragsteuer aus der Dividende mehrfach zur Erstattung gebracht wird, da sowohl Käufer als auch Verkäufer der Aktien sich bezüglich derselben Dividendenausschüttung die Kapitalertragsteuer erstatten lassen. Das rührt daher, dass der Käufer die Aktie zwar mit (cum) dem Dividendenanspruch kauft, sie ihm aber ohne (ex) Dividendenanspruch geliefert wird, so dass in der Zeit zwischen Kauf und Lieferung sowohl der Verkäufer als rechtlicher Eigentümer als auch der Käufer als wirtschaftlicher Eigentümer sich für erstattungsberechtigt halten. Dieses Auseinanderfallen von rechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum hält die Finanzverwaltung für eine Fiktion. Die Verfechter des Modells berufen sich dagegen auf ältere Rechtsprechung und meinen, sich bis zu der Rechtsänderung im Jahr 2012 auf rechtlich gesichertem Boden zu bewegen. Wirklich abschließend geklärt ist diese Frage trotz gerichtlicher Urteile bis heute nicht.- Welche Ziele verfolgt die Finanzverwaltung mit dem Ankauf dieser Steuerdaten-CD?In erster Linie geht es darum, zu Unrecht erstattete Steuern zurückzuholen oder unberechtigte Erstattungsansprüche abzuwehren. Es kann aber auch darum gehen, Beweisketten zu schließen: In den Erstattungsverfahren haben die Cum-Ex-Käufer häufig eingewandt, sie hätten die Aktien auf dem freien Markt erworben und von einer möglichen (Doppel-)Erstattung an den Verkäufer nichts gewusst beziehungsweise es gar nicht hätten wissen können. In den Altfällen kann sich auch die Finanzverwaltung dieser Argumentation nicht ohne Weiteres entziehen – es sei denn, sie weist nach, dass Käufer und Verkäufer zum Nachteil des Fiskus zusammengewirkt haben. Das könnte dann als rechtsmissbräuchlich einzustufen sein. Es ist nicht auszuschließen, dass die Daten auf der CD zu weiteren Erkenntnissen führen.- Die Beteiligung an Cum-Ex-Transaktionen ist strafrechtlich relevant. Ist eine Selbstanzeige möglich?Strafverfahren im Zusammenhang mit Cum-Ex-Transaktionen sind bereits im Gange, und die Ermittler gehen offenbar davon aus, dass die Daten auf der CD weitere Hinweise liefern. Wirken Käufer und Verkäufer zusammen, um bewusst eine Mehrfacherstattung der Kapitalertragsteuer zu erreichen, kann dies eine Steuerhinterziehung, unter Umständen sogar in bandenmäßiger Form, sein. Gerade in diesem Fall sind Selbstanzeigen zwar grundsätzlich möglich. Sie sind jedoch mit weiteren Auflagen verbunden, wie der Zahlung der Steuer plus eines prozentualen Zuschlags. Die Betroffenen wenden aber wie gesagt ein, dass zumindest bis 2012 solche Modelle vom Gesetzgeber geduldet wurden. Die Finanzverwaltung bestreitet dies vehement.- Unterscheiden sich die Fälle?Das strafrechtliche Risiko ist in den Fällen höher, in denen durch Leerverkäufe die Erstattungen “gehebelt’ wurden. Dabei wurden dieselben Aktien durch Leerverkäufer in einer Kette von Erwerbern weitergereicht, ohne dass die Aktien physisch geliefert wurden. Das Argument des wirtschaftlichen Eigentums kommt in diesen Fällen kaum noch zum Tragen, so dass bei konzertiertem Vorgehen der Beteiligten die strafrechtliche Vorwerfbarkeit kaum noch zu bestreiten sein wird.- Welche Maßnahmen sollten betroffene Institute oder Marktteilnehmer ergreifen?Dividendenstripping ist nicht per se gesetzeswidrig. Es hat in den Cum-Ex-Konstellationen, zu denen jetzt ermittelt wird, aber möglicherweise rechtlich angreifbare Formen angenommen. Da sich die Transaktionsstrukturen zum Teil stark voneinander unterscheiden, lässt sich kaum eine allgemeingültige Empfehlung geben. Vielmehr wird jeder Einzelfall rechtlich genau untersucht und eingeordnet werden müssen. Auf die Betroffenen kommt bei der Bewertung der Transaktionen ebenso wie auf die Ermittler bei der Auswertung der Daten auf der CD eine Menge Arbeit zu.—-Dr. Ingo Kleutgens ist Partner bei Mayer Brown in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.