Streik in US-Autobranche ufert zunehmend aus
Streik in US-Autobranche ufert zunehmend aus
Gewerkschaft United Auto Workers nimmt neue Ziele ins Visier – Politische Hemmnisse für Elektrostrategie von Ford rücken in den Fokus
xaw New York
Im hitzigen Arbeitskampf in der US-Automobilbranche ist keine Abkühlung in Sicht. Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) droht den betroffenen Konzernen General Motors, Ford und Stellantis vielmehr mit einer Ausweitung ihres Streiks auf zusätzliche Werke. Laut Arbeitnehmervertretern will der Chef der Organisation, Shawn Fain, am Freitagmorgen neue Ziele ausrufen. Ab dem Mittag könnten sich dann weitere Stundenarbeiter dem Ausstand anschließen, an dem bisher mehr als 18.600 Lohnkräfte beteiligt sind.
Im historischen Vergleich besitzt der aktuelle UAW-Streik zwar noch geringes Ausmaß. So legten während des großen Nachkriegsstreiks der Jahre 1945 und 1946 bei General Motors 320.000 Arbeiter 113 Tage lang die Arbeit nieder, und 1970 war der gleiche Konzern von einem 67-tägigen Ausstand von 400.000 Kräften betroffen. Der Streik kostete GM seinerzeit mehr als 1 Mrd. Dollar und gilt noch immer als einer der branchenübergreifend teuersten aller Zeiten.
Allerdings könnte sich der erste, gleichzeitig bei drei Autobauern abgehaltene Ausstand noch kräftig auswachsen – derzeit sind schließlich nur 13% der insgesamt 146.000 bei GM, Ford und Stellantis beschäftigten Mitglieder von United Auto Workers beteiligt. Sollten sie alle gleichzeitig die Arbeit niederlegen, wäre die Gewerkschaft in der Lage, sie über ihren Streikfonds elf Wochen lang für ausgefallene Löhne zu entschädigen.
Dauer und Ausmaß des UAW-Streiks bei GM aus dem Jahr 2019, an dem 48.000 Arbeiter teilnahmen und der den Konzern schätzungsweise 3,6 Mrd. Dollar kostete, würde der aktuelle Arbeitskampf damit übertreffen. Schon zu Beginn des diesjährigen Ausstands prognostizierte die Research-Boutique Anderson Economic Group ökonomische Schäden von über 5,6 Mrd. Dollar, wobei sie lediglich eine Dauer von zehn Tagen zugrunde gelegt hatte. Inzwischen läuft der Streik seit zwei Wochen. Jede zusätzliche Woche könnte die Erträge der drei betroffenen Autobauer mit jeweils 500 Mill. Dollar belasten.
Geringere Forderungen
Am Donnerstag befestigten sich die Aktien von Ford und General Motors im frühen New Yorker Handel dennoch, auch Stellantis erzielten in Paris leichte Zugewinne. Trotz der Aussichten auf einen lang anhaltenden Arbeitskampf reagierten die Anleger zunächst erleichtert darauf, dass UAW offenbar von ihrer ursprünglichen Forderung einer Lohnanhebung um rund 40% abrückt. Stattdessen ist eine Steigerung um mindestens 30% laut Gewerkschaftsinsidern das neue Ziel.
Diese Marke schätzt UAW angeblich als passend ein, um aktuelle Mitglieder zufriedenzustellen und zugleich das Interesse bisher nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeiter zu wecken. Eingerechnet ist dabei wohl die sogenannte "Cost of Living Allowance" (COLA) – die Erstattung der Lebenshaltungskosten, über die Löhne jährlich an die Inflation angepasst werden. Die bisherigen Angebote der Autobauer beinhalten Lohnanhebungen um rund 20% über die Laufzeit des Tarifkontrakts.
Hohe Elektroinvestitionen nötig
Die Autobauer betonen ihren hohen Bedarf an Mitteln für Investitionen in die Mobilitätswende. Denn im Wettbewerb mit Elektrovorreiter Tesla, dessen Mitarbeiter nicht gewerkschaftlich organisiert sind, hinken die Traditionshersteller deutlich hinterher. Gerade Ford hat sich im laufenden Jahr indes auf eine Rabattschlacht mit Tesla eingelassen: Den Einstiegspreis für den Elektro-Pick-up F-150 Lightning senkte der Konzern im Juli effektiv um fast 10.000 Dollar.
Im Rahmen eines Investorentags im Mai betonte Ford-CEO Jim Farley allerdings auch, dass die jährliche Kostenbelastung bei dem Konzern aus Michigan 7 Mrd. Dollar höher ausfällt als bei Wettbewerbern. Neben Qualitätsverbesserungen und einer höheren Effizienz in den Lieferketten sollen dazu eigentlich auch Personalkürzungen und ein flexiblerer Einsatz von Arbeitskräften beitragen.
Batteriewerk im Fokus
Bei den Elektrobemühungen werden für Ford neben dem UAW-Streik, in den sich zuletzt auch US-Präsident Joe Biden mit unterstützenden Worten für die Arbeitnehmer eingeschaltet hat, zunehmend auch außen- und wirtschaftspolitische Faktoren zum Hemmnis. So hat der Konzern in dieser Woche mitgeteilt, er unterbreche die Arbeiten an einem im Februar angekündigten, 3,5 Mrd. Dollar teuren Batteriewerk in Michigan.
Das Projekt steht in der Kritik, weil Ford für die Herstellung günstiger Lithium-Eisenphosphat-Batterien Technologie des chinesischen Konzerns CATL lizenziert. Politiker im Kongress fürchten einen zunehmenden Einfluss Chinas auf die US-Industrie; auch GM-Vorstandschefin Mary Barra soll gegenüber Vertretern aus Washington Kritik an dem Projekt geäußert haben. Nun steht in Zweifel, ob sich mithilfe chinesischer Technologie produzierte Ford-Elektroautos für umfangreiche Steuergutschriften qualifizieren.
Aufgeheizte Stimmung
In diesem Umfeld ist der Streik zur zusätzlichen Belastung geworden. Derweil droht die aufgeheizte Stimmung unter den US-Arbeitnehmern auch in der internationalen Automobilbranche Konsequenzen nach sich zu ziehen. Denn abseits vom Streik bei Ford, GM und Stellantis legten in der vergangenen Woche auch UAW-Mitglieder in einem Werk des Zulieferers ZF Friedrichshafen in Alabama die Arbeit nieder. Dort werden vor allem Teile für Mercedes-Benz hergestellt.
Die Gewerkschaft United Auto Workers könnte ihren Streik bei Ford, GM und Stellantis noch kräftig ausweiten. Damit kommen auf die Konzerne erhebliche Zusatzbelastungen für die Erträge zu, die zum Hemmnis für ihre Elektroambitionen zu werden drohen. Zugleich wachsen die politischen Risiken für den Sektor.