Strommarktliberalisierung nur teilweise geglückt
Als die Bundesrepublik vor 15 Jahren ihren monopolistisch geprägten Strommarkt auf einen Schlag öffnete, waren die Erwartungen groß. Aus geschlossenen Versorgungsgebieten sollte ein Markt des fairen Wettbewerbs werden. Doch diese Entwicklung lässt in Teilen noch heute auf sich warten. Zwar haben zahlreiche Gesetzesänderungen, vor allem aber der Atomausstieg und die Energiewende, für Bewegung am Markt gesorgt. Jedoch haben sich günstigere Strompreise zumindest für die Verbraucher noch nicht durchgesetzt. Ein Grund, die Liberalisierung als missglückt zu bezeichnen, ist das aber noch lange nicht. Marktmacht brichtVier große Konzerne sind es immer noch, die mit einem Marktanteil von 80 % den größten Teil des Stroms in Deutschland erzeugen. Wer sich anschaut, was sich in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten beim Absatz für Strom und Gas getan hat, muss dem Markt eine gewisse Dynamik zusprechen. Die regulatorischen Rahmenbedingungen haben sich fortlaufend verändert: Nach der Liberalisierung des Strommarktes 1998 folgte bereits 2000 die Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die damit angeordnete bevorzugte Einspeisung von nachhaltig erzeugtem Strom stellte Versorger, Netzbetreiber und Händler gleichermaßen vor neue Herausforderungen. 2004 wurde dann der Gasmarkt geöffnet. Ein Jahr später setzte das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) europäische Richtlinien in nationales Recht um.Nach der durch ein Erdbeben ausgelösten Reaktorkatastrophe in Fukushima (Japan) im März 2011 beschloss die Bundesregierung den endgültigen Atomausstieg: Acht Kraftwerke gingen sofort vom Netz, bis 2022 soll auch das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet sein. All das hat nicht nur dazu geführt, dass die alten Versorgungsstrukturen in Deutschland aufgebrochen wurden und die Marktmacht der großen Erzeugerkonzerne RWE, Eon, EnBW und Vattenfall Europe Risse bekam. Vielmehr rufen die Entwicklungen neue Anbieter mit innovativen Konzepten auf den Plan, die den Gedanken eines freien Marktes endlich umsetzen.Zwar hat die einst so vielversprechende deutsche Solarbranche bis ins Jahr 2008 Umsatzrekorde an Umsatzrekorde gereiht und sich zeitweise sogar als Weltmarktführer gesehen. Sie hat sich jedoch zu früh auf ihrem Erfolg ausgeruht und mit Fehlinvestitionen letztlich ihre Beweglichkeit insbesondere in der späten Konsolidierungsphase seit 2010 eingebüßt. Doch sie ist ein gutes Beispiel dafür, dass – wenn aus den Fehlern gelernt wird – ein freier Strommarkt an einem technisch hoch entwickelten Standort wie Deutschland gelingen kann. Großes Angebot für KundenSo gehört die Bundesrepublik heute zu den vielfältigsten Energiemärkten Europas. Rund 300 Stromerzeuger, mehr als 900 Netzbetreiber und über 1 000 Stromlieferanten sorgen für ein großzügiges Angebot. Diese hohe Anzahl von Marktteilnehmern deutet darauf hin, dass der Wettbewerb auf den unterschiedlichsten Stufen der energiewirtschaftlichen Wertschöpfung funktioniert.Das bekommen auch die Verbraucher zu spüren, zumindest im Hinblick auf die Anbietervielfalt. Laut Bundesnetzagentur (BNetzA) können Haushaltskunden im Durchschnitt aus 147 Anbietern je Netzgebiet wählen. Auch die Wechselhürden wurden erheblich reduziert. Im EnWG ist festgelegt, dass Stromkunden jederzeit innerhalb von drei Wochen ihren Lieferanten wechseln können. Davon machen sie auch Gebrauch: Die Zahl der Stromanbieterwechsel unter den Endverbrauchern ist zwischen 2006 und 2011 gemäß Monitoringbericht 2012 der BNetzA fast um das Fünffache gestiegen. So haben im Jahr 2011 mehr als 3,8 Millionen Lieferantenwechsel stattgefunden – fünf Jahre zuvor waren es erst 800 000. Allein gegenüber 2010 war dies ein Zuwachs von 27 %.Die Situation aller Marktteilnehmer hat sich in dieser Hinsicht also verbessert. Die vier großen Energiekonzerne samt Vertriebstöchtern versorgten 2011 nur noch rund 40 % (Stand 2010: 43,8 %) der privaten Haushalte. Einen Teil davon allein deshalb, weil sie aufgrund ihres öffentlichen Auftrags zur Stromversorgung noch immer eine besondere Position innehaben: Jeder Stromabnehmer ist gesetzlich einem Grundversorger zugeordnet, solange er sich nicht von selbst an einen anderen Anbieter wendet. Wenn also der Verbraucher von seinem Recht Gebrauch macht, seinen Stromanbieter selbst zu wählen, ist der freie Markt tatsächlich in den privaten Haushalten angekommen. Alles gut, bis auf den PreisWirklich motiviert, sich damit auseinanderzusetzen, sind die Verbraucher jedoch erst, seit sie eine Verteuerung von Strom spüren. Die Einmischung durch den Staat hat nämlich dazu geführt, dass das wichtigste Merkmal eines freien Marktes auf der Strecke geblieben ist: die freie Preisgestaltung. Stromproduzenten, Netzbetreiber und der Staat geben hier den Ton an. Die Anbieter selbst haben indes auf den Strompreis zum großen Teil gar keinen Einfluss.Der Anteil von Steuern und Abgaben sowie gesetzlich regulierten Bestandteilen am Strompreis ist in den vergangenen 15 Jahren um fast 30 % gestiegen. 1998 lag er noch bei weniger als 50 %, im Jahr 2013 dagegen bei mehr als 75 %. Steuern, Abgaben, Umlagen sowie gesetzlich regulierte Preisbestandteile machen also rund drei Viertel des Strompreises für Endverbraucher aus. Zuletzt war es die drastische Erhöhung der EEG-Umlage, die für Diskussionen gesorgt hat. Betroffen sind davon vor allem kleinere und mittlere Unternehmen sowie private Haushalte. Eine Preisentlastung bekommt allenfalls die verbrauchsintensive Industrie zu spüren, die – um nicht ins steuergünstigere Ausland abzuwandern – von der Bundesregierung im großen Stil mit Sonderregelungen privilegiert wird.So haben Verbraucher wie auch kleine und mittlere Unternehmen zwar die Möglichkeit, aus einer Vielzahl an Anbietern und Tarifmodellen zu wählen. Über den Preis entscheiden können sie dadurch aber nur geringfügig. Das ist die Kehrseite der Entwicklung, die gleichzeitig eine große Herausforderung darstellt. Damit steigende Kosten nicht zulasten der Akzeptanz einer atomstromfreien Zukunft gehen, muss die Energiewende effizienter gestaltet werden. Der Staat verspielt sonst womöglich die Chancen eines freien Marktes, der so vielversprechend ist wie noch nie – auch aus europäischer Sicht. Hier ist die Politik gefordert: Der Strompreis muss in einem verträglichen Bereich bleiben.Um die Energiewende als eines der größten wirtschaftspolitischen Projekte der Bundesrepublik nachhaltig zum Erfolg zu führen, muss also auf politischer Ebene noch viel passieren. Dabei spielt die Bundesnetzagentur eine zentrale Rolle. Der leitungsgebundene Strommarkt muss mehr Flexibilität ermöglichen, um mittelständische Energieanbieter nicht nur am Ende der Wertschöpfungskette, sprich in der Belieferung der Endkunden, mitspielen zu lassen. Auch dürfen die Kosten nicht nur auf den Schultern der Verbraucher und des Mittelstandes lasten. Wenn die Bundesregierung Angst hat, dass die großen Industriekonzerne abwandern, dann muss umgedacht, nicht einfach nur umgelegt werden. Fairer Wettbewerb ist und bleibt das Schlüsselwort – unter Rahmenbedingungen, die allen Marktteilnehmern die gleichen Möglichkeiten bieten. Dann kann der Strommarkt sich gesund entfalten und Deutschland mit seiner Energiepolitik zu einem Vorbild für Europa machen.—Von Andreas Hergaß, Mitglied des Vorstands der Ensys AG