RECHT UND KAPITALMARKT

Tax Compliance Management rückt in den Fokus der Besteuerungspraxis

Anforderungen an interne Überwachungsfunktionen nehmen enorm zu

Tax Compliance Management rückt in den Fokus der Besteuerungspraxis

Von Jens Blumenberg *)Die Anforderungen an die Tax-Compliance-Funktion haben stark zugenommen. Stetig neue und immer umfangreichere steuerliche Pflichten zwingen die Unternehmen dazu, steuerbezogene Überwachungs- und Ordnungsfunktionen einzuführen. Für die Geschäftsleitung stellt sich mehr denn je die Frage, wie sie das Unternehmen und seine gesetzlichen Vertreter bei steuerlichen Fehlern vor Bußgeldern oder strafrechtlichen Sanktionen schützt. Gesetzliche VerschärfungenVor diesem Hintergrund hat die in einem neuen Anwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) getroffene Aussage für Aufmerksamkeit gesorgt, ein innerbetriebliches steuerliches Kontrollsystem bei der steuerlichen Fehleranzeige könne ein Indiz gegen eine Steuerhinterziehung darstellen. Inzwischen hat auch das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) reagiert und den Entwurf eines Positionspapiers zur Ausgestaltung und Prüfung eines Tax-Compliance-Management-Systems (“Tax-CMS”) veröffentlicht.Nicht nur die Komplexität des Steuerrechts hat massiv zugenommen, sondern auch die zu erfüllenden Abführungs-, Aufzeichnungs-, Mitteilungs- und Nachweispflichten. Bei Verstößen drohen teils empfindliche Sanktionen. Zudem hat sich das Klima in den Betriebsprüfungen verschärft. Die Betriebsprüfer haben die Bußgeld- und Strafsachenstelle bereits dann einzuschalten, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass ein Strafverfahren durchgeführt werden muss; die Schwelle des strafrechtlichen Anfangsverdachts muss nicht erreicht sein.Deutlich schneller als noch vor zehn Jahren wird heute die individuelle (auch strafrechtliche) Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung für steuerliche Fehler thematisiert. Nach § 69 Abgabenordnung (AO) haften die gesetzlichen Vertreter einer Gesellschaft für vorsätzlich oder grob fahrlässig verkürzte Steuern. Bei grob fahrlässiger Verletzung von Aufsichtspflichten können zudem Bußgelder verhängt werden. Bei vorsätzlicher Steuerverkürzung drohen steuerstrafrechtliche Sanktionen. Einschneidend ist, dass bereits der Eventualvorsatz strafrechtlich sanktioniert wird, wenn also der Täter die Steuerverkürzung für möglich hielt und sie billigend in Kauf nahm.Die bloße Berichtigung eines nachträglich erkannten Fehlers ist strafrechtlich natürlich nicht relevant. Nach § 153 AO hat der Steuerpflichtige Fehler unverzüglich anzuzeigen und zu berichtigen. Unterlässt er dies, steht schnell der Vorwurf der Steuerhinterziehung im Raum. In der Vergangenheit war die Unterscheidung zwischen bloßem Versehen, Leichtfertigkeit und Vorsatz allerdings weniger wichtig. Im Zweifel wurde die nachträgliche Berichtigung selbstanzeigefest gemacht. Seit der Verschärfung der Regelungen über die strafbefreiende Selbstanzeige im Jahre 2014 ist dies kaum mehr möglich. Neuer AnwendungserlassDie Finanzverwaltung hat ob der praktischen Bedeutung der Abgrenzungsschwierigkeiten versucht, die durch die gesetzgeberische Überreaktion verursachte steuerstrafrechtliche Problematik zu entschärfen. In einem BMF-Schreiben vom 23. Mai 2016 wird insbesondere eine Abgrenzung der steuerlichen Anzeige- und Berichtigungspflicht gemäß § 153 AO von der strafrechtlich relevanten Selbstanzeige nach § 371 AO vorgenommen. Zwei Punkte sind hervorzuheben:Erstens wird klargestellt, dass allein aus der Höhe einer Steuernachzahlung, die aus einer Berichtigung folgt, nicht automatisch auf ein Steuervergehen geschlossen werden kann; Gleiches soll bei einer Mehrzahl von Berichtigungen gelten. Dies ist zu begrüßen.Zweitens findet sich am Rande der Hinweis, dass ein Tax-Compliance-Management-System als ein Indiz dafür zu werten sei, dass eine tatsächlich gegebene Steuerverkürzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig war. Fällt dieser Vorwurf weg, drohen weder straf- noch bußgeldrechtliche Sanktionen. Hierauf bezugnehmend hat das IDW im Juni den Entwurf des “IDW Praxishinweises 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax-Compliance-Management-Systems gem. IDW PS 980” veröffentlicht. Das IDW konkretisiert darin die Anforderungen zur Ausgestaltung eines Tax-CMS und gibt Hinweise zur Prüfung desselben. Keine PflichtNach wie vor besteht indes keine steuergesetzliche Pflicht zur Implementierung eines Tax-CMS. Der Hinweis im BMF-Schreiben und die Verlautbarungen des IDW dürften die Geschäftsleitung aber schon im eigenen Interesse und ganz ungeachtet einer womöglich bestehenden gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung veranlassen, ein Tax-CMS einzurichten, um Haftungs- und Sanktionsrisiken zu reduzieren. Das bedeutet zusätzlichen Aufwand, beinhaltet aber auch die Chance, das Risiko von straf- und bußgeldrechtlichen Sanktionen substanziell zu verringern. Die spannende und noch zu klärende Frage dürfte sein, wie ein Tax-CMS genau ausgestaltet sein muss, um den Eventualvorsatz einer Steuerhinterziehung auszuschließen. Dabei dürften branchenspezifische Besonderheiten ebenso eine Rolle spielen wie das jeweilige Geschäftsmodell und Größenmerkmale.—-*) Prof. Dr. Jens Blumenberg ist Experte für Steuerrecht und Partner bei Linklaters in Frankfurt am Main.