Tech-Deals treiben die Transformation der Autoindustrie
Serie: IAA Mobility (1)
Tech-Deals treiben die Transformation der Autoindustrie
Investoren stecken Geld in Batterien, Infrastruktur und Software – Bewertungen ziehen an – Partnerschaften gesucht
In der Autoindustrie spielt die Musik im M&A-Geschäft derzeit bei allen neuen Technologien rund um die gewaltige Transformation vom Verbrenner zur E-Mobilität. Es geht um "Autotech", also "die gesamte Wertschöpfungskette entlang der Batterietechnik, von Rohstoffen über Komponenten, Zellfertigung bis hin zu Recycling", wie Christian Kames, Co-Chef bei Lazard für die DACH-Region, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung sagt.
Von Heidi Rohde, Frankfurt
hei Frankfurt
Auf der ersten Automobilmesse in Shanghai nach den Corona-Jahren war in diesem Frühjahr der „massive technologische Fortschritt der chinesischen Autobauer für die deutsche Autoindustrie ein Weckruf“, erklärt Christian Kames, Co-Chef der Investmentbank Lazard für die DACH-Region, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Die Flaggschiffe der Branche, VW, BMW und Mercedes, für die China über Jahre der wichtigste Profitpool war, hätten feststellen müssen, „dass sie Aufholbedarf haben, was den Geschmack der chinesischen Kunden betrifft, und dass sich die chinesische Konkurrenz deutlich weiterentwickelt hat. Chinesische Kunden setzen aktuell vermehrt auf heimische Marken“, so der Branchenkenner.
Gesamte Wertschöpfungskette
Um dem abzuhelfen, haben die Unternehmen längst gelernt, dass sie den Anschluss nicht gänzlich aus eigener Kraft schaffen werden. Sie treiben Forschung und Entwicklung „in China für China“ vor allem mit Kooperationen oder Joint Ventures voran. „Aktuell werden vor allem Minderheitsbeteiligungen oder reine Partnerschaften anvisiert. Auf Übernahmen liegt der Fokus im Moment praktisch kaum“, sagt Kames.
Private Equity am Ball
Die M&A-Musik in der Automobilindustrie spielt dafür an anderer Stelle, und zwar bei allen neuen Technologien rund um die gewaltige Transformation vom Verbrenner zur E-Mobilität. An vorderster Front stehe dabei „die gesamte Wertschöpfungskette entlang der Batterietechnik, von Rohstoffen über Komponenten, Zellfertigung bis hin zu Recycling“. Prominentes Beispiel in Europa ist das schwedische Start-up Northvolt, in das Investoren, darunter große Private-Equity-Fonds wie der von Goldman Sachs sowie VW und Siemens, bisher rund 7,5 Mrd. Dollar gepumpt haben.
Darüber hinaus zieht die Mobilität inzwischen „auch besonders finanzstarke Staatsfonds aus den arabischen Ländern an“, betont Kames. Ein Blockbuster-Deal ist dem saudi-arabischen Staatsfonds bereits beim amerikanischen E-Autohersteller Lucid Motors gelungen, bei dem der Fonds 2018 mit einem Investment von 1 Mrd. Dollar eingestiegen war. Aus dem Börsengang 2021 zogen die Saudis, die noch knapp drei Viertel an Lucid halten, einen Gewinn von 20 Mrd. Dollar. Sie haben außerdem in Human Horizon investiert. Der Staatsfonds von Abu Dhabi ist bei Nio engagiert.
Die Investoren in Northvolt, die voraussichtlich im kommenden Jahr an die Börse gehen soll, machen sich ebenfalls Hoffnung auf hohe Investmentrenditen. Das Gros der M&A-Aktivitäten spielt sich allerdings bei anderen Technologien rund ums Auto ab. So entfielen nach Erhebungen der Investmentboutique Hampleton Partners in den vergangenen 30 Monaten 39% der Transaktionen im „Auto-Tech-Bereich“ auf Software-Applikationen für Vertrieb, Händlersysteme und Kundenkontakt, 21% sind den Themen Connected Car, Embedded Software und autonomes Fahren zuzuordnen.
Zulieferer unter Druck
In letztere Kategorie fiel der 1,5 Mrd. Euro schwere Kauf von Veoneer Active Safety durch Magna International, ein Deal, der für Kames wenig überraschend ist, „denn der Druck, sich neu aufzustellen, ist aus seiner Sicht bei den Zulieferern teilweise noch deutlich größer als bei den Herstellern (OEMs)“. Viele kleine Unternehmen der Branche sind komplett von wenigen großen OEMs abhängig und tun sich schwer, in der Wertschöpfungskette der E-Mobilität ihren Platz zu finden.
Triebfeder KI
Im laufenden Jahr bleiben Elektrifizierung und künstliche Intelligenz (KI) die „Triebfedern“ von M&A in der Automobilwirtschaft, wie Michael Annink, Director bei Hampleton, betont. 68 Transaktionen im ersten Halbjahr stehen der Rekordzahl von 77 in der Vorjahresperiode wenig nach. „Und die Bewertungen ziehen wieder an“, so Annink. Das Umsatz-Multiple über alle von den Beratern erfassten Deals im Autotech-Segment „war mit 3,4 das zweithöchste seit 2018“. Damals wurde im Mittel ein Umsatzfaktor von 4,6 erreicht. Ein operatives Ergebnis-Multiple (Ebitda-Basis) war nicht bei allen Käufen und Verkäufen zu ermitteln. Es lag im Mittel jedoch bei 5,6. Dabei wurden vor 2020 allerdings deutlich höhere Multiples gesehen.
Während Private Equity bei M&A von Automobilherstellern traditionell kaum eine Rolle spielt, gehören die Fonds bei Technologien rund um die neue Autowelt zu den aktivsten Käufern. Stärkster Investor binnen 30 Monaten war Imaweb 2000, eine Gesellschaft von Providence, die allein 6 Transaktionen im Bereich Autoverkauf und Kundenbeziehungen durchgezogen hat. An zweiter Stelle mit 5 Deals im gleichen Segment steht The Reynolds and Reynolds Co., die von Vista Equity Partners und Goldman Sachs kontrolliert wird. Laut Annink ist im Umfeld von Software- und Subskriptionstechnologien sowie Management von Kundenbeziehungen „in den nächsten Jahren mit einer M&A-Welle zu rechnen“. Denn etablierte Autokonzerne benötigten „mehr Innovation“ neben Kostensenkungen, um mit der wachsenden chinesischen Konkurrenz mitzuhalten. Überdies setzen sie Hoffnungen in neue Erlösströme aus abonnierten Services im Auto. Stellantis hat beispielsweise das Ziel, bis 2030 rund 22 Mrd. Dollar damit zu erlösen.
Start-ups im Visier
Annink rechnet auch mit einer Konsolidierungswelle unter Ladeinfrastrukturbetreibern, insbesondere in Europa, weil für den Durchbruch der E-Mobilität eine Standardisierung nötig sei. Diese ist in den USA durch die beiden großen Anbieter Tesla und die VW-Tochter Electrify America schon weiter fortgeschritten. In Europa seien bei kleineren regionalen Anbietern Fusionen programmiert. Zu den aktivsten Investoren im Bereich Ladeinfrastruktur gehören die europäischen Öl-Multis BP, Total und Shell. „Die Versorger wollen rechtzeitig ihre Position auf diesem Wachstumsmarkt sichern und vor allem auch ihre Nachhaltigkeitsziele unterstützen“, betont Annink.
Die Konzerne konzentrieren sich dabei auf die Start-up-Szene mit Netzen und neuen Technologien rund um neue Charging-Systeme. Shell hat allein in diesem Jahr zwei Zukäufe in diesem Bereich gestemmt: zum einen den US-Netzbetreiber Volta, der rund 3.000 Ladesäulen in Shopping-Centern und bei Einzelhändlern in 31 US-Staaten betreibt, für 169 Mill. Dollar; zum anderen die Schweizer Firma Evpass zu einem nicht genannten Preis. Zuvor hatte der Ölriese bereits einen Minderheitsanteil am größten britischen E-Ladenetz Ubitricity erworben und in Holland den Ladesäulenbetreiber New Motion.
100 Mrd. Dollar für Ladesysteme
100 Mrd. Dollar für Ladeinfrastruktur
Größter Autotech-Deal in diesem Jahr bisher war indes die 325 Mill. Euro schwere Übernahme von Dura- Shiloh, einem Unternehmen, dass Batteriesysteme entwickelt, durch Linamar Corp. Tatsächlich sind Batterien und Ladeinfrastruktur erst kurzfristig „quasi aus dem Nichts“ zu einem Hot Topic für Investoren geworden. „Wir haben dies erstmals in einem eigenen Segment erfasst, das in den letzten 30 Monaten allerdings erst 12% der Transaktionen ausmachte“, erklärt Annink. Gleichwohl entscheiden diese Technologien im Kern über die Transformation zur E-Mobilität. Marktforschern zufolge dürften allein in Ladeinfrastruktursysteme in den nächsten drei Jahren global rund 100 Mrd. Dollar investiert werden.