"Tech-Übernahmen bedürfen hoher Disziplin"
Zuletzt war es zwar ruhiger im Markt für Technologie-M&A. Größere Deals im Hardware-Bereich würden durch strengere Regulierung erschwert, sagt Abhinav Gattani von Moelis. Gerade im Software-Bereich gehe aber viel. Als jüngster Nachweis darf die 34 Mrd. Dollar schwere Übernahme von Red Hat durch IBM gelten.Von Sebastian Schmid und Walther Becker, FrankfurtBranchenübergreifende Technologietrends wie Industrie 4.0, autonomes Fahren, künstliche Intelligenz und Cyber-Security bringen immer mehr traditionelle Industrieunternehmen dazu, mehr in Software- und IT-Know-how zu investieren. Aus Sicht von Jan Caspar Hoffmann, dem Leiter der M&A-Beratung der US-Investmentbank Moelis & Company in Deutschland, ist kaum eine Branche immun gegen transformationelle Veränderungen, die von den großen Technologiefirmen wie Apple, Google oder Amazon vorangetrieben werden.Moelis hat ihre größten Büros außerhalb der USA in London, Dubai und Frankfurt. Derzeit sind in der Mainmetropole zwölf Banker tätig, davon zwei Partner sowie mit dem früheren McKinsey-Europachef Herbert Henzler ein Senior Advisor der Gruppe. Hoffmann hat gemeinsam mit seinem Kollegen Abhinav Gattani aus London etwa Siemens bei der Übernahme von Mendix beraten. Als BindegliedDie Bank sieht sich im Technologiebereich auch als Bindeglied zwischen US-Verkäufern und deutschen Kaufinteressenten. Letztere würden in den USA schon allein wegen ihrer Distanz oft erst spät angesprochen, wenn im Silicon Valley viele klassische Interessenten abgewinkt hätten. “Das ist auch ein Grund, warum die meisten großen deutschen Konzerne im Valley inzwischen Flagge zeigen”, sagt er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. So hätten die Autozulieferer Bosch und Continental ihre Präsenz im Technologiemekka zuletzt kräftig ausgebaut. “Für die deutschen Industrieunternehmen ist die Transformation ihrer Geschäftsmodelle eine Herausforderung, die die meisten mittlerweile erkannt haben – auch außerhalb der Automobilindustrie”, beobachtet er. Dies zeigten auch die gestiegenen Investitionen in eigenes IT-Know-how, Beteiligungen an und Akquisitionen von Tech-Unternehmen.”Erstaunlich ist auf den ersten Blick, dass das M&A-Volumen global derzeit zwar auf einem Allzeithoch liegt, das weltweite Technologie-Übernahmevolumen aber um 15 bis 20 % unter dem Hoch der Jahre 2015/2016 liegt.” Hoffmann erklärt dies mit einem Rückzug der großen Technologiekäufer vergangener Jahre – darunter neben Microsoft, Oracle und IBM auch SAP. Der schwerste Konzern im Dax habe sich allerdings bereits sehr gut auf die Cloud ausgerichtet und sei besser als viele andere traditionelle Softwarekonzerne in der Lage, Wachstum in dem neuen Geschäftsmodell zu generieren.”Der wesentliche Vorteil der Cloud ist der Netzwerkeffekt, der deutlich höhere Marktanteile zulässt”, sagt Hoffmanns Kollege Abhinav Gattani. Selbst zu ihren besten Zeiten hätten SAP und Oracle maximal 50 % Anteil in einem bestimmten Markt auf sich vereinen können. Nun komme Salesforce in manchen Gebieten im CRM-Geschäft bereits auf 60 bis 70 %. Während SAP sich frühzeitig auf die Cloud ausgerichtet habe, sei Oracle hier spät dran gewesen. “SAP hat im Vergleich zu Oracle smartere Assetkäufe vorgenommen. Insbesondere der Hardware-Zukauf mit Sun hat sich als kostspieliger Fehler erwiesen”, erklärt Gattani, der selbst für Oracle tätig war, bevor er zu Moelis ging.Auf der Käuferseite sei heute vor allem die wachsende Bedeutung von Private Equity und von traditionell eher selten in Erscheinung getretenen strategischen Käufern wie Siemens bemerkenswert. Die Zahl der großen Deals sei auf der Industrieseite aber überschaubar. “In jedem der vergangenen drei Jahre haben wir etwa eine Handvoll Transaktionen mit mehr als 100 Mill. Euro Volumen gesehen – drei davon allein durch Siemens.” Wenige MegadealsGattani erklärt das abnehmende Volumen in Tech-M&A auch damit, dass riesige Transaktionen, die die Statistik verfälschten, in den vergangenen beiden Jahren ausblieben. “Insgesamt ist der Tech-M&A-Markt sehr gesund”, befindet er. Private Equity sei sehr aktiv und komme derzeit auf 25 % der globalen Tech-Transaktionen – in manchen Marktsegmenten sogar auf deutlich mehr. “Wir nennen Private Equity deshalb schon die neuen Strategen.” Eine Ursache, warum traditionelle Käufer wie SAP sich mit Übernahmen zurückhielten, dürfte neben ihrer bereits sehr guten Position in wachsenden Geschäftsfeldern auch das hohe Preisniveau sein. Dieses befinde sich nach Jahren steigender Aktienkurse sowohl bei öffentlich als auch privat gehaltenen Gesellschaften auf einem Allzeithoch. Oftmals würden Umsatz-Multiples aufgerufen, die traditionell eher Ebitda-Vielfachen entsprächen. “Dennoch gibt es Transaktionen, die sinnvoll sind, wenn Unternehmen dringend ihr Geschäftsmodell ändern müssen”, weiß Hoffmann. Allerdings benötige das Umfeld “einen besonders hohen Grad an Disziplin” der Kunden, wenn es um die Bewertung einer Transaktion gehe. “Wir dienen den Kunden da auch als Sparringspartner und scheuen auch nicht davor zurück, unsere Bedenken zum Ausdruck zu bringen, wenn wir welche haben.”Dass gerade im Tech-Sektor häufig Unternehmen zu hohen Bewertungen gekauft werden, die operativ tiefrote Zahlen schreiben, “ist nicht zwingend ein Anzeichen von Übertreibungen”, sagt Hoffmann. Ein Unternehmen, das auf Stand-alone-Basis Verluste schreibe, könne nach der Integration hochprofitabel sein. Gerade globale Konzerne seien oft ideale Partner für den internationalen Roll-out, könnten Zugang zu einem ganz anders dimensionierten Vertrieb und vielen Kunden bieten. “Dies bietet oft enorme Umsatzsynergien, die nur ein strategischer Großinvestor heben kann.””Dem wachsenden Interesse deutscher Konzerne an US-Technologieunternehmen steht ein anhaltend hohes Interesse von US-Gesellschaften an Investitionen in Deutschland gegenüber”, beobachtet Hoffmann. Viele US-Unternehmen, auch aus dem Technologiesektor, hätten mittlerweile große Einheiten in Deutschland aufgebaut. “In Deutschland lockt die Kombination aus einem attraktiven lokalen Markt, Nachfrage, gut ausgebildeten Mitarbeitern und tiefem Branchenwissen insbesondere in der Industrie.”Im vergangenen Jahr habe Moelis sowohl deutsche Kunden beraten, die in den USA zugekauft haben, als auch US-Interessenten und japanische Unternehmen, die sich in Deutschland umgeschaut haben. “Unsere Aufstellung ist unseren Ambitionen entsprechend global.” Regulierung wird Kernthema Die Regulierung wird immer intensiver, gerade für Tech-Deals. Der Freigabeprozess durch die Wettbewerbshüter dauert länger als in der Vergangenheit, und die Zahl der blockierten Großtransaktionen nimmt zu. Wenn ein chinesischer Käufer einen Halbleiterproduzenten in den USA übernehmen wolle, sei klar, dass er auf Widerstand stoßen dürfte. Aber auch in den Details müsse man aufpassen. “Es ist kaum bekannt, dass Kuka eine kleine US-Tochter aus dem Luftfahrttechnologie-Sektor hatte, die kurz vor dem Midea-Einstieg verkauft worden war. Das wäre sicher auch etwas gewesen, was dort ins Kalkül hätte einbezogen werden müssen”, erinnert Hoffmann. Das neue Außenwirtschaftsgesetz sorge dafür, dass Regulierung in grenzüberschreitenden Transaktionen zunehmend zum zentralen Thema werde, während es früher meist eine Randerscheinung gewesen sei.Gattani führt auf die strengere Regulierung auch den Rückgang großer Deals zurück. Gerade im Hardware-Bereich seien diese derzeit nur schwer durchzubringen. “Wenn man sich allerdings die Software-Seite ansieht, kann ich mich an keinen größeren Deal erinnern, der von den Regulierungsbehörden gestoppt worden wäre. Das gilt auch für IT-Dienste.” Andere Gebiete wie Netzwerktechnologie seien schon ziemlich konsolidiert, so dass hier wenig Optionen blieben. Interessant werde es sein zu beobachten, was die Regulierungsbehörden tun, wenn ein großer Technologiekonzern über eine Akquisition in eine neue Branche vordringe. “Was passiert beispielsweise, wenn Amazon einen großen europäischen Lebensmittelhändler übernimmt? Was machen die Regulierungsbehörden? Derzeit lässt sich das nicht sagen”, sagt Gattani.Moelis müsse sich in einer sich rasant ändernden Regulierungslandschaft mittlerweile bei praktisch bei jedem Deal mit dem Thema auseinandersetzen, befindet Hoffmann. Ein großer Vorteil von Moelis sei es, dass man mit dem ehemaligen House Majority Leader Eric Cantor einen Vice Chairman habe, der über großen Einblick in die US-Regulierungslandschaft verfüge. Allerdings könne man hier auch nicht die komplette Beratung allein übernehmen, sondern konzentriere sich auf relevante Expertise in den Feldern industrieller Technologie und Tech 4.0.