„Techem hat einen klaren Wachstumskurs eingeschlagen“
Von Helmut Kipp, Frankfurt
Der Messdienst Techem ist bisher nach eigener Einschätzung unbeschadet durch die Pandemie gekommen. Im Zeitraum April 2020 bis März 2021, der komplett in die Coronakrise fällt, hätten Umsatz, Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) sowie das operative Ergebnis vor Abschreibungen (Ebitda) auf Plankurs gelegen, versichert Finanzchef Carsten Sürig im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Techem hat also ein resilientes Geschäftsmodell.“
Wachsen will Techem mit der Digitalisierung der Energiewende. Daher richtet sich der Heizkostenerfasser zum Dienstleister für Energieeffizienz aus. Im Gebäudesektor lägen enorme Potenziale für CO2-Einsparungen, sagt Sürig. Daher investiere Techem massiv in digitale Infrastruktur wie die Fernauslesung und die digitale Steuerung von Energieanlagen. Durch monatliches Auslesen der Verbrauchsdaten könne das Unternehmen den Energieverbrauch analysieren und daraus Hinweise für Energieeinsparungen entwickeln. „Ziel ist die Energiewende Wirklichkeit werden zu lassen“, sagt der CFO, der als Chief Performance Officer (CPO) auch für das operative Geschäft Verantwortung trägt. In den vergangenen drei Geschäftsjahren mit vollen zwölf Monaten habe Techem im Schnitt 120 Mill. Euro investiert. „Die aktuelle Planung sieht einen merklichen Anstieg in den kommenden Jahren vor“, so der 1966 geborene Manager. Haupttreiber seien das Neugeschäft, der Austausch von Bestandsgeräten sowie der Rollout der Smart-Reader-Technologie, mit der Verbräuche jederzeit ausgelesen werden können.
Hohe Verbindlichkeiten
„Techem hat einen klaren Wachstumskurs eingeschlagen“, betont Sürig. Der Zugewinn an Geräten, etwa neue Heizkostenverteiler oder Wärmemengenzähler, sei in den letzten zwölf Monaten etwa doppelt so hoch gewesen wie vor zwei Jahren: „Das wird man mit dem entsprechenden Zeitversatz in den finanziellen Kennzahlen sehen.“ Das Geschäft sei kapitalintensiv, so dass es dauere, bis die Investitionen auf Umsatz und Ergebnis durchschlügen. Neue Kunden müssten zunächst mit Geräten ausgestattet werden. Zudem habe sich die Umsetzung von EU-Vorgaben in einigen Ländern hingezogen. In Spanien und in Polen, einem wichtigen Auslandsmarkt, sei das inzwischen geschehen. „Davon werden wir jetzt profitieren“, versichert der frühere Unternehmensberater, der seit Ende März 2019 CFO und CPO sowie Mitglied der Geschäftsführung der Techem GmbH ist.
Schon heute seien 80% der Endgeräte von Techem digital. Nahezu bei jedem vierten Gerät könnten die Messwerte jederzeit aus der Ferne ausgelesen werden, berichtet Sürig. Durch den Smart-Reader-Rollout steige der Anteil Quartal für Quartal um vier bis fünf Prozentpunkte. Insgesamt verfüge Techem über 52,1 Millionen Messgeräte in Europa, davon 32 Millionen in Deutschland. Hinzu kämen knapp neun Millionen Rauchwarnmelder. Betreut werden 11,9 Millionen Wohnungen.
Eigentümer ist seit 2018 der Finanzinvestor Partners Group, der den Energiedienstleister zusammen mit zwei Partnern für 4,6 Mrd. Euro einschließlich Nettoschulden vom Infrastrukturinvestor Macquarie gekauft hat. Anders als bei den vorherigen Gesellschaftern müsse Techem keine Dividenden ausschütten, sagt Sürig. „Die Gewinne bleiben im Unternehmen. Daher haben wir Spielraum für Investitionen.“
Die Bilanz ist allerdings von hohen Verbindlichkeiten geprägt. „Wir haben einen hohen Leverage, aber das ist im Private-Equity-Umfeld nicht unüblich“, sagt Sürig. Der letzte Konzernabschluss (per 30.9.2020) weist 2,64 Mrd. Euro langfristige Finanzschulden aus, hinzu kommen 1,45 Mrd. Euro Gesellschafterdarlehen. Die Eigenkapitalquote des Konzerns liegt bei 3,1%. Sürig betont, dass die Kapitalkosten durch die Refinanzierung im vergangenen Jahr signifikant gesunken seien. „Anfangs hatten wir für die Refinanzierung einen deutlich niedrigen Betrag angesetzt, aus dem dann 1,145 Mrd. Euro geworden sind.“ Der Zinssatz der Anleihe beträgt 2%. Der CFO denkt über weitere Optimierungsmaßnahmen im laufenden oder im nächsten Jahr nach, um die Kapitalstruktur abermals zu verbessern. Denn für den anderen, 2018 begebenen Bond über 413,9 Mill. Euro sind mit 6% hohe Zinsen zu zahlen.
Im Kalenderjahr 2020 hat der Wärme- und Wasserdienst laut Sürig 344,4 Mill. Euro Ebitda und 105,4 Mill. Euro Ebit erwirtschaftet. Der Umsatz erreichte 787,4 Mill. Euro. Vergleichsdaten für 2019 liegen nicht vor, wohl aber für den Zeitraum April 2019 bis März 2020, das bisher letzte volle Geschäftsjahr. Damals wurden aus 779,5 Mill. Euro Umsatz 350,5 Mill. Euro Ebitda und 114,2 Mill. Euro Ebit erwirtschaftet. „Die Geschäftszahlen sind also weitestgehend stabil“, sagt Sürig.
Lösungen für Quartiere
Den Bilanzstichtag hat Techem vom 31. März auf 30. September verlegt, um die Erstellung des Jahresabschlusses und die Abrechnungssaison, die ins erste Quartal fällt, zu entkoppeln. 70% der Abrechnungen haben laut Sürig den Stichtag 31. Dezember. Das Ablesen der Heizungsröhrchen, die keine Funkverbindung haben, sei trotz Pandemie reibungslos verlaufen, berichtet der promovierte Elektroingenieur, der zwei Jahrzehnte für die Unternehmensberatung McKinsey arbeitete und zehn Jahre den Energie- und Grundstoffbereich leitete. Es habe kaum Zutrittsverweigerungen gegeben, und die Antreffquote sei höher gewesen als in früheren Jahren.
Aufmerksam verfolgt der Westfale und Borussia-Dortmund-Fan die Diskussion, die Vermieter an den Mehrkosten zu beteiligen, die durch die im Januar 2021 eingeführte CO2-Abgabe auf Öl und Gas in Deutschland entstehen. Die Bundesregierung hat gerade beschlossen, dass Vermieter die Hälfte der Kosten tragen sollen. Werde der Vermieter mit herangezogen, entstehe ein Eigeninteresse, Energie zu sparen, sagt Sürig: „Das wird einen Push für Techem Solutions bringen.“ In der früheren Techem Energy Contracting hat der Konzern die Wärmeversorgung von Immobilien und die Produkte rund um Energieeffizienz gebündelt. „Techem Solutions war früher auf das Neubaugeschäft ausgelegt, jetzt gehen wir massiv in den um ein Vielfaches größeren Bestandsmarkt.“
Anders als der Wettbewerb sei Techem nicht nur in Wohnungen, sondern auch im Heizungskeller präsent. „Die meisten Heizungsanlagen sind nicht richtig dimensioniert und gesteuert“, weiß Sürig. „Wenn man das System nicht im Viertelstundentakt misst und nachregelt, geht viel Energie flöten. Das kann man mit verringertem Verbrauch in der Wohnung nicht mehr kompensieren.“ Das reine Ablesen und Abrechnen bleibe die Eintrittskarte, also der Grundservice, sagt Sürig. „Am Ende des Tages wollen wir Energielösungen für Quartiere anbieten. Das beginnt bei der Steuerung der Solarpanels auf dem Dach und hört beim Charging der E-Autos im Keller auf.“