Digitalisierung

Telekomfirmen fordern Lastenteilung

Der Datenverkehr auf den Telekommunikationsnetzen wächst in der Pandemie mehr denn je, die Kosten für den teuren Netzausbau liegen einseitig bei den Netzbetreibern. Diese fordern nun einen Beitrag von Amazon, Netflix und Co.

Telekomfirmen fordern Lastenteilung

hei Frankfurt

Die rasant wachsende Auslastung der Telekommunikationsnetze, die durch Homeoffice sowie Kontaktbeschränkungen bei Freizeitaktivitäten einen weiteren Schub erhalten hat, lässt bei den Netzbetreibern die Alarmglocken schellen. In einem von 13 CEOs, darunter Telekomchef Tim Höttges, Vodafone-Lenker Nick Read und Telefónica-CEO José Maria Alvarez Pallete unterzeichneten Brief an die EU fordern die Manager Änderungen bei der Wettbewerbspolitik und verbesserte regulatorisch Rahmenbedingungen im Verhältnis zu den großen Technologie- und Internet-Unternehmen.

Der Streit ist alt. Internet-Services, die hohe Bandbreiten in Anspruch nehmen, wie Musik- und Video-Streaming sowie Gaming, das noch dazu äußerst geringe Latenzzeiten erfordert, machen einen immer größeren Teil des Verkehrs auf Festnetz und im Mobilfunk aus. Die Wachstumsrate dieser Verkehre, die sogenannten OTT-(Over-the-Top-)Angebote, wird auf 30% pro Jahr geschätzt. Dies steht im krassen Gegensatz zu den fallenden Preisen für die IP-Transit-Preise in Europa, wo in den kommenden Jahren mit einem Rückgang um rund ein Viertel gerechnet wird. Nach Angaben der Telekommunikationsnetzbetreiber verursacht allein die FANG-Gruppe (Facebook, Amazon, Netflix und Google) die Hälfte des gesamten Verkehrs auf den europäischen Telekommunikationsnetzen. 80 % des Verkehrs stamme von insgesamt 10 Internetfirmen.

Verhandlungen gescheitert

Die Branche versucht seit vielen Jahren eine Beteiligung der Internet-Service-Anbieter an den hohen Ausbaukosten der Netze zu erreichen. Jedoch haben alle Verhandlungen bisher kein Ergebnis gebracht; der Siegeszug von Netflix und Co ging ungebremst zu Lasten der Kassen der Telekomnetzbetreiber. Im vergangenen Jahr hat die Branche in Europa insgesamt 52,5 Mrd. Euro investiert, die höchste Summe binnen sechs Jahren. Angesichts dieses Kraftakts bemängeln die Unternehmenslenker, dass sich „Europas Rolle“ nicht darauf beschränken dürfe, „Technologie, die von anderen entwickelt wurde, zu regulieren und zu kaufen“. Es gehe darum, selbst die „Bedingungen schaffen, um heimische digitale Infrastruktur und Services zu fördern, die einen globalen Standard setzen“ könnten.

Dabei erneuern die Konzernchefs auch ihre altbekannte Forderung, den Telekommunikationsfirmen mehr Wege zur Skalierung ihres Geschäfts zu eröffnen. Dies habe Priorität „innerhalb von Märkten sowie über Ländergrenzen hinweg“. Vodafone-CEO Nick Read hatte bereits vor kurzem in einem eindringlichen Appell eine Konsolidierung der Branche angemahnt. Allerdings sind die Vorteile entsprechender M&A-Transaktionen zumindest in Teilen zweifelhaft, wie Experten betonen. Die Bildung „paneuropäischer Player in der Telekommunikationsbranche stößt nicht nur auf regulatorische Hindernisse, sie kann auch keine nennenswerten Sy­nergien bringen“, sagt Karim Taga, Managing Partner und Leader Time Pratice bei Arthur D Little (ADL), der Börsen-Zeitung. „Die Musik spielt lokal: die Regulierung ist lokal, der Vertrieb ist lokal, die Netzkosten sind lokal, da die Vergabe von Spektrum ebenfalls von Land zu Land unterschiedlich ist.“ Begrenzte Chancen aus einer Skalierung ergäben sich allenfalls durch Einkaufskooperationen, die sich zumindest teilweise auch auf Infrastrukturkomponenten erstrecken könnten. Was die Netztechniklieferanten angeht, sehen sich die Telekomnetzbetreiber allerdings in Teilen einem Oligopol von Ausrüstern gegenüber, deren Zahl jüngst noch durch politische Maßgaben eingeschränkt wurde.

Weitaus effizienter wäre dagegen aus Sicht des ADL-Experten eine stärkere Konsolidierung innerhalb einzelner Länder, der die EU-Wettbewerbshüter allerdings seit Jahren enge Grenzen gesetzt haben. Alle Branchenkenner seien sich einig, dass die Anzahl vor allem der Mobilfunknetze in Europa zu groß sei, um sie rentierlich zu betreiben. „Indes beobachten wir insgesamt eher einen Trend zur Fragmentierung anstatt zur Konsolidierung der Netze in Europa“, betont Michael Opitz, ebenfalls Partner und Telekommunikationsexperte bei ADL. Zum einen dringen große Infrastrukturfonds mit Macht in Glasfaser als lukrative und risikoarme Assetklasse vor. „Zum anderen übernehmen große Funkturmbetreiber wie Cellnex immer mehr die Kontrolle über wichtige Teile der Mobilfunkinfrastruktur, nicht nur der passiven, sondern teils auch der aktiven Infrastruktur. Die Telekommunikationsfirmen verzichten dabei bewusst auf die Kontrolle über Teile dieser Assets, weil sie den Netzausbau ohne Hilfe nicht finanzieren können.“

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